„Na, die roten Sohlen! Von diesem berühmten, unaussprechlichen französischen Schuh-Designer, Christian Wasweißich!“ Verzückt schlug sie die Augen gen Himmel.
„Sagt mir nichts.“
Gaby schnaufte verständnislos.
„Ihr Männer seid solche Ignoranten!“
Sie wandte sich von ihm ab, um die Frau zu betrachten. Die Unbekannte räusperte sich, um das allgemeine Raunen im Raum zu unterbrechen.
„Guten Tag, meine lieben Kolleginnen und Kollegen!“
Sie sprach freundlich, aber mit wenig Wärme in der Stimme.
„Mein Name ist Marita von Löbke. Ich bin die Nachfolgerin Ihres Abteilungsleiters Dieter Frankenstein und somit ab heute Ihre Vorgesetzte. Ich weiß bereits, dass Sie aktuell an einem Mordfall arbeiten. Ich wünsche, über jeden Ihrer Ermittlungsschritte und natürlich auch über Ihre Ergebnisse informiert zu werden. Ich gehe davon aus, dass ich dieser Bitte nicht regelmäßig Nachdruck verleihen muss. Wer von Ihnen ist Norbert Wenger?“
Norbert atmete tief durch, bevor er den Arm hob. Eine Frau als Vorgesetzte! Und noch dazu eine so aufgeblasene und obendrein adelige Pute. Norbert hatte nichts gegen Frauen in Führungspositionen, beobachtete aber immer wieder, dass sie ihre weibliche Seite zu einem großen Teil einbüßten, sobald sie das Sagen hatten. Oder sie mutierten zur Domina. Er sah Marita von Löbke kurz an und stellte sie sich im schwarzen Lederkostüm vor, mit Ketten an der Weste und Peitsche in der Hand. Im Geiste hörte er ihre Stimme, die ihn fragte, ob er unartig gewesen sei.
„Ich habe gehört, dass Sie im vergangenen Jahr sehr erfolgreich die Ermittlungen bei den Prinzenparkmorden geleitet haben.“
Marita von Löbke sah Norbert interessiert an.
„Wir waren als Team erfolgreich.“
Wer ihn gut kannte, konnte den leicht genervten Unterton in seiner Stimme nicht überhören.
„Wie auch immer, ich wünsche, dass Sie im Fall Bredel ebenfalls die Leitung der Ermittlungen übernehmen.“
Norbert verzog das Gesicht. Diese Frau hatte wirklich eine Menge Wünsche. Er sah mit einem Gefühl aufkeimender Wut, dass Hauptwachtmeister Erkan Yildiz auf einen unmissverständlichen Blick von ihr seinen Platz räumte und sich auf den freien Stuhl neben Klorenz setzte.
„Bilden Sie bitte eine Ermittlungsgruppe“, sagte von Löbke, nachdem sie sich auf Yildiz’ Platz gesetzt hatte, „immerhin handelt es sich bei dem Mordopfer um ein bekanntes Mitglied der Braunschweiger Gesellschaft. Ich wünsche, dass dieser Fall bei Ihren derzeitigen Ermittlungen vorrangig behandelt wird.“
Und ich wünsche, dass du zur Hölle fährst, dachte Norbert wütend. Er fragte sich insgeheim, wie man ihm nach dem unerträglichen Dieter Frankenstein diese eingebildete Megäre vor die Nase setzen konnte. Eigentlich war der Braunschweiger Polizeipräsident ein fähiger Mann, aber bei der Auswahl der neuen Leiterin des FK1, des Morddezernats, hatte er mal wieder ins Klo gegriffen. Wir beide werden keine Freunde, dachte er, bevor er das Wort ergriff.
„Vielleicht sollten wir unserer neuen MoKo erstmal einen Namen geben“, begann er, „hat jemand einen Vorschlag?“
„Wie wäre es mit MoKo Meißen?“, fragte der schlaue Rolf, „in Anbetracht der aufgefundenen Meißner Tasse erscheint mir dieser Name angemessen.“
Die übrigen Mitglieder des Ermittlungsteams nickten zustimmend. Norbert bemerkte auf beinahe jedem der anwesenden Gesichter ein unterdrücktes Grinsen. Der Name war eher ein Akt des versteckten Ungehorsams gegenüber der neuen Vorgesetzten als eine ernst gemeinte Bezeichnung einer polizeilichen Ermittlungsgruppe.
„Also gut, wenn niemand etwas dagegen hat, dann ist das ab sofort unser Name. Danke, Allershausen!“
Der Kriminaltechniker nickte huldvoll und hob die rechte Hand zu einem großmütigen Winken, zum Zeichen, dass er den Dank annahm.
„Ich wiederhole meine Bitte nur ungern“, begann Marita von Löbke, doch Norbert fiel ihr ins Wort, bevor sie weiterreden konnte. „Heute Morgen wurde der siebenundachtzigjährige Wolfgang Bredel von seiner Reinigungskraft tot in seiner Eigentumswohnung am Petritorwall 13 in Braunschweig aufgefunden. Der Name der Frau ist Aleksandra Pawlak, sie ist fünfunddreißig Jahre alt und polnische Staatsbürgerin. Sie stammt aus Breslau, lebt aber seit ihrer Heirat vor zehn Jahren mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Braunschweig. Sie hat ihn heute morgen um neun Uhr gefunden, ist daraufhin schreiend aus der Wohnung gestürmt und dann bis zur Sonnenstraße gelaufen. Passanten konnten sie daran hindern, auf die Straße zu rennen. Sie haben den Notarzt gerufen, der ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht hat. Erst dann konnte sie erzählen, was sie so erschreckt hat. Der Notarzt hat anschließend uns angerufen, nachdem er sich vor Ort davon überzeugt hatte, dass die Frau die Wahrheit gesagt hat. Der genaue Todeszeitpunkt Bredels wird derzeit von Zutschke und Bramann untersucht. Das Ergebnis bekommen wir möglicherweise erst morgen früh. Jedenfalls war der alte Mann länger als sechsunddreißig Stunden tot, als Frau Pawlak ihn fand.“
Er stellte sich vor den Flipchart, an dem er die Bilder vom Tatort befestigt hatte. Mit Genugtuung stellte er fest, wie Marita von Löbke beim Anblick der grausamen Fotos angewidert das Gesicht verzog. Er beschloss, so weit wie möglich ins Detail zu gehen.
„Dem Opfer wurde als erstes mit einem scharfkantigen Gegenstand in den unteren Rücken gestochen.“
Er deutete auf das Foto, das den Stich in Bredels Nierengegend zeigte.
„Vermutlich wollte der Täter das Opfer zunächst nur außer Gefecht setzen, denn dieser Stich war nicht todesursächlich. Bredel muss zusammengebrochen und nach vorn gekippt sein. Der Täter hat dann das Messer an seinen Hals gesetzt. Damit er einen effektiven Schnitt durchführen konnte, muss er den Kopf des Opfers gepackt haben. Bredel hatte sehr dichtes Haar, deshalb gehen wir davon aus, dass der Täter ihn am Schopf nach hinten gezogen hat. Er hat dem alten Mann von links nach rechts die Kehle aufgeschlitzt. Deshalb können wir sehr sicher sagen, dass er Rechtshänder ist. Der Schnitt war tief und hat nicht nur den Kehlkopf, sondern auch beide Halsschlagadern durchtrennt. Das Opfer ist praktisch vollständig ausgeblutet, wie sie auf diesem Foto“, er deutete auf das Bild mit dem blutgetränkten Parkettfußboden, „erkennen können. Allershausen, willst du weitermachen?“
Der Chef der KTU erhob sich und kam nach vorn, um die Ergebnisse der Spurensicherung zu präsentieren. Er zog sich Wegwerfhandschuhe über, um sich nicht an der zerbrochenen Meißner Tasse zu verletzen, und holte die Scherbe aus ihrem Plastikbeutel.
„Das Opfer muss es sich gerade gemütlich gemacht haben, als der Täter zuschlug.“
Auch Allershausen bemühte sich um eine möglichst anschauliche Ausdrucksweise.
„Auf dem Parkettfußboden haben wir nicht nur den vollständigen Inhalt von Bredels Blutgefäßen gefunden, sondern eben auch diese Meißner Porzellantasse. Sie weist das Muster Große Feldblume mit zwei Nebenblumen auf. Meißner Porzellan ist äußerst kostspielig, und das ist das Verwunderliche an dieser Sache. Die zerbrochene Tasse ist das einzige Stück, das wir gefunden haben. Wer dieses Porzellan sein eigen nennt, hat im allgemeinen ein vollständiges Service für mindestens sechs Personen. Ein solches Service existiert aber in Bredels Wohnung nicht.“
„Haben Sie die Putzfrau dazu befragt?“
„Sie meinen, ob sie es vor potentiellen Plünderern in Sicherheit gebracht hat?“ Norbert grinste vielsagend.
„Ich meine, ob sie weiß, ob Bredel ein solches Service besessen hat?“
Von Löbkes Frage klang nun nicht mehr ganz so arrogant wie ihre vorherigen Ansagen, sondern ehrlich interessiert.
„Aleksandra Pawlak liegt mit einem schweren Schock im Krankenhaus Salzdahlumer Straße und steht unter starken Beruhigungsmitteln. Sie ist bisher nicht vernehmungsfähig und wird von den Ärzten der Traumaambulanz abgeschottet. Da müssen wir noch warten.“
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