1 ...6 7 8 10 11 12 ...28 „Nein.“, sagte sie sehr leise, aber entschieden, und sah Asrar in ihren Armen an. „Wir müssen weiter, mein Kleiner. Wir werden deinen Vater finden und ihn zurückholen!“
Als die Sonne sich langsam senkte, begann sie das improvisierte Zelt wieder abzubauen und ihr Pferd zu bepacken. Sie würde, wie die letzten Nächte auch, bis zum Morgengrauen und weiter, bis zum nächsten Mittag, einfach weiter reiten. Irgendwann würde sie schon irgendwo ankommen. Hoffentlich!
Tatsächlich kam sie zwei Tage später an eine weitere Oase an. Emily konnte ihr Glück kaum fassen und weinte in ihrer Verzweiflung leise Tränen der Erleichterung. Sie machte an diesem Tag lange Rast, bevor sie spät abends mit neuem Proviant wieder weiter ritt. Sie war erschöpft!
Nach ewigen Tagen gelangten Dakun und Damaso mürrisch, und von der unbarmherzigen Sonne gepeinigt, an einer Oase an. Schnell stellten sie fest, dass kurz zuvor schon jemand hier gewesen sein musste. Deutlich konnten sie an den Palmen abgerissene Blätter erkennen, die daraufhin schließen ließen, dass hier jemand Datteln gepflückt hatte. Damaso grinste, als ihm die Erinnerung an ihren ersten gemeinsamen Wüstenritt kam.
„Sie war hier.“, nickte er hoch zufrieden und besah sich die kleine Frucht in seinen Händen, die er von einem der Bäume gepflückt hatte. „Sie war hier! Wir sind auf dem richtigen Weg!“
„Deine Zuversicht beruhigt mich!“, knurrte Dakun, aber eigentlich wusste er nicht, warum sich Damaso da so sicher war. Er ließ es auf sich beruhen. Damasos Gesichtsausdruck verriet mehr, als Dakun im Moment verstand. Aber das wollte er jetzt nicht zugeben.
„Aber sie weiß, was gut ist.“, stellte Damaso skeptisch fest und spuckte die Dattel wieder aus, die er gerade probiert hatte, und sah nach oben in die Bäume. „Sie hat uns nur die unreifen da gelassen.“
„Dann wird es ja wohl Zeit, dass du endlich das Jagen lernst!“, spottete Dakun und hielt ihm ein echsenähnliches Tier unter. Damaso rümpfte angewidert die Nase. „Brauchst es ja nicht zu essen. Aber ich werde heute satt werden!“, stellte Dakun fest und machte sich bereits daran ein Feuer zu entzünden.
Nach dem Essen gönnten sie sich und den Pferde eine etwas längere Pause, als an den Tagen zuvor, bevor sie abends wieder aufsaßen und ihren Weg fortsetzten.
Die zweite Oase, die sie erreichten bot ihnen das gleiche Bild. Dakun nickte besorgt.
„Wenn sie nicht mehr hier ist“, stellte er fest, „dann ist sie bereits in Bahi-Dun. Es ist nur ein knapper Tagesritt von hier aus.“ Alarmiert sah er Damaso an. Auch er wusste, was das bedeutete! „Wir können nicht lange hier bleiben. Wir sollten zusehen, dass wir noch etwas an Proviant zusammensuchen und sofort wieder aufbrechen!“ Damaso war schon dabei die Dattelpalmen zu untersuchen. Dakun stand unbewegt da und schaute Richtung Norden. Etwas schien ihn zu beunruhigen. „Scheiße!“, fluchte er vor sich hin. „Wir können nicht weiter!“, sagte er in einem fast schon zu ruhigem Ton zu Damaso. Er sah ihn an.
„Was? Warum nicht?“, wollte Damaso wissen. Dakun wandte sich um und deutete knapp mit dem Kopf hinter sich. „Es kommt ein Sandsturm auf uns zu!“
Emily war dankbar für ihr beigefarbenes, golddurchwirktes Kleid, was sie von ihrem Schwiegervater bekommen hatte. Damit war sie in der Wüste so gut wie unsichtbar. Auch ihr Pferd tat sein übriges mit seiner außergewöhnlichen Fellfarbe wie Wüstensand dazu, damit sie unbemerkt, aber trotzdem schnell am Tage vorankam. So war sie in Bahi-Dun angekommen, ohne dass irgendjemand auf sie aufmerksam geworden war. Sie hatte Fesherra in der Wüste vor der Stadt laufen gelassen. Sie vertraute dem klugen Tier, dass es zu ihr zurückkommen würde, wenn sie nach ihrer Stute rief. Trotzdem vermied sie es allzu öffentlich durch die Stadt zu laufen. Sie nutzte jede Gelegenheit zur Deckung aus, ohne dass man es ihr als eben solche anmerken konnte, und sie sich allein dadurch verdächtig gemacht hätte. Ihr Seidenschal, den sie wieder als Schleier um den Kopf trug, verhinderte neugierige Blick der Passanten. Sie war eine Bewohnerin der Stadt. Nicht unbedingt eine, die sich oft sehen ließ, aber das störte niemanden. Sie fiel einfach nicht auf! Gründlich sah sie sich in der Stadt um und versuchte sich die einzelnen Gassen und Häuser zu merken. Zwar hatte sie den Hirten nicht verstanden; sie wusste nicht, ob Kieran sich hier in Gefangenschaft befand oder nicht. Aber da sie hier in Bahi-Dun war, war eben genau das für sie am wahrscheinlichsten. Also suchte sie in den Gassen weiter nach einem großen Palast und nach Gebäuden, die ihr verrieten, wo man hier Gauner und Diebe und sonstige Verbrecher gefangen hielt. Kieran würde mit Sicherheit dort sein!
Sie musste nicht allzu lange suchen. Sie betrat durch einen schmalen Seiteneingang unbemerkt einen großen Innenhof und sah sofort mit einem Blick die Treppe, die nach unten, unterhalb eines Gebäudes führte. Dort würde sie ihre Suche anfangen.
In sicherem Abstand zu den vereinzelten Wachen, die aufgrund der heißen Mittagssonne nicht unbedingt sehr wachsam waren, gelangte sie zu der Treppe und huschte sie leise hinunter. Glücklicherweise ließ sich die schwere Eingangstür leicht, und ohne Geräusche zu verursachen, öffnen. Lautlos schob sie sich in den dahinter liegenden Gang und hielt die Luft an, um besser in die dunkle Stille hinein zu horchen, die sie hier unten umfing. Als sie sicher war, dass sie hier nichts ungewöhnlicheres, als das schwere Atmen einzelner Menschen in ihren Zellen hören konnte, begann sie ihre Suche. Zelle für Zelle schritt sie im Gang ab, immer vorwärts und sich auch umblickend, dass sie ja nicht von plötzlich auftauchenden Wachen überrascht wurde, bis sie schließlich an einer Zelle ankam, in der sie ein vertrautes Gesicht wahrnahm. Aber der Mann schien sie gar nicht bemerkt zu haben. Erst als sie das Schloss an der Zellentür mithilfe ihres Messers mit einem leisen Knacken aufgebrochen hatte, und mit zwei schnellen Schritten bei ihm war, sah er auf und ihr direkt mit großem Erstaunen in die Augen.
„Emily!“, flüsterte er aufgeregt, und sah sich nervös um. „Was tust du hier?“
Emily war gerade dabei seine Handschellen aufzubrechen.
„Euch retten!“, flüsterte sie ebenso leise nur knapp zurück und lächelte ihn an. Ein leises Geräusch verriet ihm, dass sie es geschafft hatte ihn von den Handschellen zu befreien. Schnell griff er ihr mit beiden Händen in den Nacken und zog sie stürmisch zu sich heran, um ihr einen dicken Kuss auf den Mund zu drücken.
„Oh, Emily! Dafür liebe ich dich! Aber dein Mann ist nicht hier. Kieran konnte fliehen!“, zischte Markward ihr atemlos leise zu. Noch während Emily Markward mit großen Augen ansah und gerade wieder nicht klar denken konnte, konnten sie immer deutlicher ein dunkles Grollen hören, das geradewegs aus den Tiefen der Erde zu kommen schien. Ein heftiges Rauschen und das Brechen erster einzelner Steine wurden laut. Dann toste plötzlich ein gewaltiger Sturm über der Festung, der alles nieder walzte, die Grundfeste des Palastes erschütterte und ihnen den Boden unter den Füßen weg riss. Markward stürzte zu Boden. Emily kauerte sich schnell schützend über ihn und versuchte mit all ihrer Magie sie beide vor der beginnenden Zerstörung zu schützen.
Kieran war sich nicht sicher gewesen, ob er es riskieren konnte, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Der Trupp Reiter, der hinter ihm her war, würde ihn bald eingeholt haben. Und sie würden ihn jagen, egal wie lange und egal wohin. Er konnte entweder auf sein Glück und Geschick in der Nacht vertrauen, wenn er sich unbemerkt an den einen oder anderen anschleichen konnte, oder gleich hier und gleich jetzt dafür sorgen, dass gar niemand mehr in Bahi-Dun auf die Idee kam sich mit ihm anzulegen. Allerdings befand sich Markward noch immer in Gefangenschaft. Er hatte es nicht geschafft. Und er hatte ihm nicht unmittelbar helfen können.
Читать дальше