Emily hatte verstanden! Sie wusste zwar nicht, wie weit weg Bahi-Dun lag, aber sie würde es herausfinden! Kieran hatte damals den weiten Weg von Bahi-Dun nach Gibal hinter sich gebracht, um sie zu retten. Vage konnte sie sich daran erinnern, dass er von einer Ewigkeit als Zeitangabe gesprochen hatte. Aber ihr selber war es eine Ewigkeit lang vorgekommen, als man sie nach Gibal verschleppt hatte. Wenn sie diese Ewigkeit von Kierans Ewigkeit abzog … nun, was würde sich dann für ein Zeitraum ergeben? Müßig darüber nachzudenken! Sie stieg auf ihr Pferd, band sich den kleinen Jungen wieder fest um, der sie artig mit großen Augen anlächelte, und ritt einfach drauflos!
Sehr früh am nächsten Morgen war Dakun in der zerstörten Stadt angekommen. Der Schein eines noch hoch auflodernden Feuers hatte ihn weiter ins Stadtinnere getrieben. Suchend blickte er sich um, fand aber nicht wonach er suchte. Zum Glück! Aber er fragte sich, was hier passiert war. Eine solche Zerstörung war eine offene Kriegserklärung! Und das Feuer sagte ihm, dass noch nicht viel Zeit vergangen war, seit man es angezündet hatte. Aber er hatte keine Truppen erkennen können. Die nächst gelegene Stadt war Hal-Abun im Norden Al-Alefs. Er hätte irgendetwas in der Steppe nördlich der Stadt sehen müssen, bevor er die Stadtmauern Al-Alefs erreicht hatte. Aber er hatte nichts, rein gar nichts erkennen können, was ihm Truppenaktivitäten verraten hätte.
Zügig durchritt er die Stadt. Nur kurz hielt er am Palast an, um sich mit einem schnellen Blick zu vergewissern, dass Emily nicht hier war. Sie war mit ihrem Pferd unterwegs. Das konnte man nicht einfach verstecken! Er hätte es gesehen! Sie besaß genügend gesunden Menschenverstand, um sich hier nicht länger aufzuhalten. Aber wohin war sie geritten? Er trieb sein Pferd immer weiter vorwärts, zum Westende der Stadt und zum Tor hinaus. Aber auch hier war weit und breit nichts zu sehen.
Und dennoch …. Er würde weiter nach Westen reiten. Er gab seinem Pferd die Sporen, aber das Tier kam nach dem langen, schnellen Ritt, den er ihm aufgebürdet hatte, nur noch sehr langsam in die Gänge. Er musste zugeben, dass er schon früher die Pferde aus der Zucht von Az-Hchal bewundert hatte, die Pferde, die Kieran und sein Vater gezüchtet hatten waren sehr viel härter, sehr viel kleiner zwar, weswegen er sie immer belächelt hatte, aber sehr viel ausdauernder. Er würde mit seinem Pferd nicht mehr weit kommen, wenn er ihm nicht eine Ruhepause gönnte. Fluchend saß er ab und führte das Pferd zurück zur Stadtmauer. Er würde sich nach Wasser umsehen müssen, bevor er weiter konnte. Ihm fiel der Stadtbrunnen auf dem Marktplatz ein, und lenkte seine Schritte in diese Richtung.
Er hatte sich im Schatten des Brunnens nieder gelassen und hatte noch gar nicht so lange dort verweilt, als er in der aufgehenden Sonne im Osten eine Bewegung gewahr wurde, die auf ihn zuhielt. Kampfbereit griff er nach seinem Messer an seiner linken Seite und nach dem Dolch zu seiner Rechten, und hockte sich unauffällig hin, um dem Ankommenden nicht zu verraten, dass er ihn gesehen hatte, und mit einer Bewegung auf den Füßen wäre, um ihn seinerseits anzugreifen, wenn es von Nöten wäre.
Aber der Ankömmling sprach ihn erleichtert an.
„Dakun! Endlich!“ Damaso ritt in einem Bogen aus dem Sonnenlicht heraus, damit Dakun ihn erkennen konnte.
„Damaso?“ Dakun schien fast überrascht ihn hier zu sehen. Er nickte dem Halbelben zu. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich tatsächlich auf den Weg machen würdest. Aber trotzdem: Schön dich zu sehen!“
„Hast du schon was entdecken können?“, fragte Damaso ohne Umschweife.
„Sie ist nicht hier.“, entgegnete er ihm knapp.
„Was ist mit Kieran und Markward? Hast du einen von ihnen gefunden?“, bohrte Damaso weiter.
„Nein.“ Dakun erhob sich und sah sich um. „Bei all dieser Zerstörung hier … glaubst du wirklich, dass hier noch jemand lebt? In suche sie, sonst keinen mehr!“
Damaso sah Dakun an, aber erwiderte nichts darauf. Er schluckte nur schwer. Dakun hatte recht! Es würde vielleicht Tage dauern, bis sie unter all den Toten Kieran und Markward herausgefunden hätten. Aber was hätte es ihnen genutzt? Nein, sie mussten Emily finden. Das war jetzt wohl wichtiger.
„Aber wo könnte sie sein, wenn sie nicht hier ist?“, fragte Damaso nach einer Weile.
Dakun sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Wer von uns kennt sie wohl besser? Du oder ich?“, fragte er.
„Ich denke: Du!“ Damaso sah in fest an. Er musste sich eingestehen, dass er zwar viel Zeit mit ihr verbracht hatte, aber eigentlich nicht viel über das Mädchen aus dem Norden wusste. Nicht genug, um zu wissen, was in ihr vorgehen mochte, nachdem sie all das hier gesehen hatte. Er schüttelte betreten den Kopf und sah sich ebenfalls um.
„Sie wird weiter geritten sein. Da sie uns nicht entgegen gekommen ist, wird sie nach Norden, oder was ich für wahrscheinlicher halte, nach Westen unterwegs sein.“, erklärte ihm Dakun.
„Was für einen Grund sollte sie haben, einfach weiter zureiten?“ Damaso schüttelte schon wieder den Kopf. Nein, das machte für ihn keinen Sinn!
„Vielleicht hat sie hier nicht gefunden, wonach sie gesucht hat?“, gab Dakun gereizt zurück.
„Und woher willst du wissen, dass sie überhaupt weiter geritten ist? Vielleicht ist sie noch hier irgendwo und braucht unsere Hilfe, vielleicht ist sie verletzt …!“, begann Damaso und wurde von Dakun rüde unterbrochen.
„Oder vielleicht tot!“, schnaubte er. „Nein“, sagte er dann aber sofort und sah Damaso an. „Nein, sie ist nicht hier! Sie ist stark und sie ist eine Magierin. Sie wird sich nicht so leicht töten lassen! Und sie hat die Gabe zu Heilen!“
„Dann sollten wir uns sofort auf den Weg machen!“ Damaso sah ihn auffordernd an.
Dakun verstand die Anspielung, schüttelte aber leicht den Kopf.
„Mein Pferd braucht eine Pause!“, gab er zu. „Aber während du die Pferde tränkst, werde ich mich draußen vor der Stadt umsehen. Vielleicht kann ich irgendetwas erkennen!“, sagte Dakun und wandte sich zum Gehen um.
Er erreichte das westliche Stadttor und spähte hinaus in die dahinter liegende Steppe, die sich am fernen Horizont langsam, aber stetig zur Wüste wandelte. Aber nichts Außergewöhnliches war zu sehen. Keine Spur, die ihm etwas verraten hätte. Er ging mit langen Schritten Richtung Nordosten um die Stadt herum. Dass sie in Richtung Süden unterwegs war, war mehr als unwahrscheinlich. Im Süden gab es monatelang gar nichts! Nein, sie war bestimmt auf den Weg in einer der umliegenden Städte, um irgendetwas herauszufinden. Lange Zeit blickte er nach Norden, in Richtung der Stadt Hal-Abun. Es wäre die nahe liegendste Stadt. Aber er wusste auch, was ihr damals in Hal-Abun auf dem Sklavenmarkt widerfahren war. Nein, freiwillig würde sie nicht dorthin zurückkehren. Sie hatte noch immer Angst vor den Bewohnern dieser Stadt.
„Nichts.“, sagte er auf Damasos fragenden Blick hin, als Dakun wieder zu ihm zurückkam. „Wir brechen trotzdem Richtung Westen auf.“, entschied er.
Irgendwann verlor die Zeit an Bedeutung. Nicht, dass sie es nicht eilig gehabt hätte, aber Emily wusste irgendwann nicht mehr, wie lange sie schon unterwegs war, als sie an diesem Mittag Rast machte, um Asrar zu versorgen. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, seit sie aus Al-Alef fort geritten war. Vielleicht war es ein Fehler gewesen alleine zu reiten. Aber Damaso hätte es ihr niemals erlaubt, dass wusste sie. Und sie hätte es sich niemals verziehen, sich nicht auf die Suche nach Kieran gemacht zu haben. Es half nichts. Sie konnte nur hoffen, dass die nächste Oase nicht mehr weit entfernt war. Sie hatte aus der letzten Oase mitgenommen, was immer sie an Proviant, und vor allem an Wasser mit sich nehmen konnte, aber diese Vorräte waren fast aufgebraucht. Sie würden vielleicht noch zwei oder drei Tage halten. Nicht mehr! Sie fragte sich wie lange sie Asrar noch stillen konnte. Sie fühlte sich total ausgemergelt, einfach schrecklich!
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