Claudia Mathis - Geschichten des Windes

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Dunnottar Castle, Schottland im Jahre 1689:
Der junge Alleinerbe des Lairds findet die geheimnisvolle Reisebeschreibung einer Weltumseglung. Sofort wird er von unbändiger Sehnsucht nach Abenteuer und fernen Orten gepackt. Gemeinsam mit seinem besten Freund wagt er es einige Jahre später, dem von Eintönigkeit und Konventionen geprägten Dasein auf der Burg zu entrinnen. Ein aufregendes Leben ohne jegliche Sicherheit oder Garantie beginnt. Als sich die beiden schließlich Richtung Westen aufmachen, eröffnet sich ihnen eine völlig neue Welt mit ungeahnten Erlebnissen, Herausforderungen und moralischen Konflikten.
Wohin wird diese Reise führen?

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Claudia Mathis

Geschichten

des

Windes

Historischer

Abenteuerroman

1 Auflage 2021

Copyright © by Claudia Mathis

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweiser Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art sind vorbehalten.

Titelbild: Pixabay Alfons Schüler

Umschlagentwurf: Claudia Mathis

Pilum Verlag, Strasshof an der Nordbahn, Österreich

ISBN 978-3-99090-038-3

für Raffael

Kommst aus dem Nichts

Bist unsichtbar

Zeigst dennoch Wirkung

Kannst überall sein

Ohne Grenzen

Ohne Schranken

Nur unsere Fantasie kann dir folgen

Wirst niemals alt

Hast alles gesehen

Wir müssen nur lauschen

R.B.B.

Prolog

Seine Augen blitzten auf. Was hatte er da gerade gelesen? Er klappte das Buch zu und schaute sich den Einband noch einmal an. Daran war nichts Außergewöhnliches zu erkennen. Durch Zufall hatte er das Buch hinter den alten Reisebeschreibungen ganz oben auf dem großen Regal entdeckt.

Warum er es herausgezogen hatte, wusste der Junge nicht. Wie von einer unsichtbaren Hand gelenkt hatte er nach dem verstaubten, unscheinbaren Buch gegriffen und bemerkt, dass es ohne Titel und sogar handgeschrieben war. Die Schrift konnte er nur mit Mühe lesen, die Schreibweise kam ihm seltsam vor. Einige Worte kannte er nicht.

Es musste uralt sein.

Der Junge untersuchte das Buch erneut und fand zunächst keinen Hinweis zu dessen Autor. Erst nach einer ganzen Weile angestrengter Suche bemerkte er ganz hinten drei kleine Buchstaben: R.B.B. Was sollten sie bedeuten? Eine seltsame Aufregung überkam ihn.

Erschrocken drehte er sich um. Hatte er ein Geräusch gehört? Der Junge versteckte das Buch unter seinem Hemd und schlich zur Tür der weiträumigen Halle mit den zahlreichen Bücherregalen. Fast vergaß er seine Lampe, die er auf einen kleinen Tisch gestellt hatte. Hoffentlich wurde er nicht bemerkt. Er durfte um diese Zeit gar nicht hier sein.

Als er die schwere Eichentür einen kleinen Spalt weit öffnete, stellte er erleichtert fest, dass draußen alles ruhig war. Der Junge glitt vorsichtig hinaus. Hastigen Schrittes eilte er die dunklen Gänge entlang bis zu seinem Gemach. Erschöpft ließ er sich auf seine Schlafstätte fallen und nahm ein paar erleichterte Atemzüge.

Erst jetzt fiel seine Aufmerksamkeit wieder auf das Buch. Behutsam holte er es hervor, öffnete es zaghaft und begann aufgeregt noch einmal von Beginn an zu lesen.

I

Der Sohn des Lairds

Echte Freundschaft

Knüpft feste Knoten in dein Lebensseil

Wenn du sie als Tritt benutzt

Kannst du unerreichbare Höhen bezwingen

R.B.B.

Eins

1686 - drei Jahre zuvor

Seufzend schaute der Junge aus dem Fenster. Wieder würde es ein langer, langweiliger Tag werden und es bestand keinerlei Hoffnung auf irgendeine Art von Zerstreuung. Obwohl er das Langweiligste heute schon hinter sich gebracht hatte, den sonntäglichen Gottesdienst in der kleinen Kapelle des Castles, wusste er nicht, wie er sich hätte beschäftigen können.

Wegen dieses lächerlichen Vorfalls vorgestern durfte er sein Zimmer ein paar Tage nur zu den Mahlzeiten, zum Unterricht, zum Abtritt und zum Gottesdienst verlassen. Ansonsten war er in Stille und Einsamkeit gefangen und verfolgte die quälend langsam dahinwandernden Schatten an der Wand.

Er schaute aus dem Fenster, blickte auf den Hof und die vergnügt spielenden Kinder. Wie oft hatte er sie schon beobachtet! Stundenlang saß er dann am Fenster und tat nichts anderes. Obwohl er der Sohn des Lairds 1war, kannte er diese Kinder nicht. Sie gehörten zu den Bediensteten der Burg und waren laut seiner Eltern nicht würdig, um mit ihm zu verkehren . Nur zufällig schnappte er manchmal ein paar Namen auf, wie Baxter, Arran, Davie, Bonny, Arthur, Ivera und versuchte, diese den Kindern zuzuordnen.

Das ist so ungerecht!, dachte der Junge verzweifelt. Wieso darf ich nicht mit ihnen spielen?

Da er zudem Einzelkind war, führte er ein sehr einsames Leben. Auch mit seiner alten und strengen Amme Maiga konnte er keine Spiele spielen. Das Betreten des Burggeländes ohne Aufsicht war ihm strikt untersagt.

Vor zwei Jahren jedoch war eine positive Veränderung in sein tristes Leben getreten: er lernte lesen. Es fing damit an, dass er das Buch mit den Kindergeschichten, aus dem ihm seine Großmutter vorlas, genauer betrachtete und sie fragte, wie man diese Schriftzeichen aussprach. Mit der Hilfe seiner Großmutter lernte er die ersten Buchstaben und brachte sich die restlichen selbst bei. Auf sein Drängen hin stellten seine Eltern einen Hauslehrer für ihn ein, der ihm beim Lesen und Verstehen dessen half, was er las und später auch andere Fächer wie Geschichte und Mathematik unterrichtete.

Mr. Sutton, der extra aus Aberdeen anreiste und während der Woche mit auf dem Castle wohnte, war ein strenger, aber doch einfühlsamer Lehrer. Er bemerkte schnell die Begabung des Jungen und dessen klaren Verstand. Mr. Sutton erkannte die erstaunliche Leidenschaft für Bücher im Sohn des Lairds. Eines Tages schließlich, der Unterricht war gerade beendet, erzählte Mr. Sutton seinem Schüler von einem ganz besonderen Ort und ging mit ihm in die Bibliothek des Castles. Der Anblick der großen, mannshohen Bücherregale überwältigte den Jungen in solchem Maße, dass er beinahe das Atmen vergaß. Mr. Sutton ließ schmunzelnd seinen Schüler staunen und erklärte ihm die Anordnung der Bücher. Jedoch meinte er, dass sie noch zu schwierig zu verstehen seien für einen sechsjährigen Jungen, der gerade erst lesen gelernt hatte. Aber diese Masse an unterschiedlich dicken Werken des geschriebenen Wortes spornte den Ehrgeiz des Jungen dermaßen an, so dass er innerhalb eines Jahres harter Arbeit und nach vielen langen Abenden im Kerzenschein die Fähigkeit besaß, ganze Bücher in einer, für sein Alter, erstaunlichen Geschwindigkeit zu lesen.

Sein scharfer Verstand ermöglichte es ihm, das Gelesene so weit zu verstehen, dass er bald zum Leidwesen seines Lehrers ununterbrochen wissbegierige Fragen stellte.

Schnell kam die Zeit, in der der Junge endlich auch Bücher aus der Bibliothek lesen durfte. Es bereitete ihm die größte Freude, in den staubigen Regalen zu stöbern und die Vielfalt der Bücher zu entdecken. Schnell entwickelte sich die Bibliothek zu seinem Lieblingsort.

Der Junge fand heraus, dass die meisten Werke uralt waren und von seinem Ururgroßvater stammten. Es kribbelte ihm angenehm in den Fingern, wenn er sacht über die Rücken der edlen ledergebundenen Bücher strich, und er nahm sie stets mit großer Behutsamkeit und Ehrfurcht aus den Regalen.

Die Bücher waren nach mehreren Fachgebieten gut sortiert. Sein Ururgroßvater Cailan Afton McCunham schien ein sehr belesener und vielseitig interessierter Mann gewesen zu sein. So fanden sich ebenso Werke über Geschichte (allgemein über die Welt und konkret über Schottland), über Medizin, Völkerkunde, Geografie und vieles mehr sowie auch Romane und Erzählungen über die verschiedensten Themen darunter.

Der Junge las weiterhin begierig und eignete sich in seinen jungen Jahren bereits ein beträchtliches Wissen an. Er bemerkte zu seiner großen Freude, dass er ein ausgezeichnetes Gedächtnis besaß. Und da sein tatsächliches Leben so eintönig war, flüchtete er sich immer öfter in eine Fantasiewelt, in der er mit den Charakteren aus den Büchern zu den aufregendsten Orten reisen konnte.

Doch nun durfte der Junge einige Tage nicht in die Bibliothek gehen, und er hatte gestern auch das letzte Buch auf seinem Zimmer zu Ende gelesen. Nicht einmal der Unterricht fand heute statt, da Mr. Sutton am Wochenende immer frei hatte und nach Aberdeen fuhr.

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