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Mühsam schob Markward einige dicke Felsbrocken zur Seite, die in das Verließ hinein gestürzt waren. Die Decke war geradewegs über ihnen herunter gekommen und hatten sie unter einem Berg aus Steinen und Holzbalken begraben. Was immer das auch gerade gewesen war, das sie heimgesucht hatte, es war mächtig gewesen, gewaltig, zerstörend. Als er aufblickte konnte er den Himmel über ihnen erkennen. Das gesamte Gebäude über ihnen war regelrecht weggerissen worden. Überall lagen nur noch Trümmer herum, überdeckt von einer dicken Staub- und Sandschicht.
„Emily?“, fragte er leise und beugte sich hinunter zu der Frau, die zusammengekauert zu seinen Füßen hockte. Er berührte sie sachte an der Schulter. Aber er bekam keine Reaktion. Ein Stein schien sie am Hinterkopf getroffen zu haben. Er sah das Blut aus einer kleinen Wunde an ihrem Kopf sickern und erschrak. „Emily?“, flehte er sie an. „Emily, sprich mit mir!“ Aber er bekam keine Antwort.
Nur ein leises Wimmern war zu hören, und erst jetzt erkannte er mit ungläubigem Erschrecken, dass Emily ihren kleinen Sohn dabei gehabt hatte. Sie hatte ihn schützend fest in seinem Tuch an sich gebunden und ihn zwischen ihrem Körper und ihren aufgestellten Knien vor den umherwirbelnden Trümmern geschützt. Aber nun saß sie leblos, mit dem Kopf vornüber auf ihre Knie gesunken, da und der kleine Asrar weinte verwirrt vor sich hin.
„Bei den Bäumen!“, entfuhr es Markward. Vorsichtig legte er Emily auf den Boden und löste das Tragetuch, um Asrar auf den Arm zu nehmen. Er besah sich den Jungen sehr genau. Aber es schien ihm eigentlich gut zu gehen. Er atmete erleichtert auf. Dann machte er sich daran sich das Tragetuch selber umzubinden, und nahm, nachdem er Asrar wieder sicher auf seinem Rücken verstaut hatte, Emily sehr vorsichtig auf, um sie von hier weg zu bringen. Er hoffte nur darauf, dass die überlebenden Bewohner der Stadt ihm keine große Aufmerksamkeit schenkten und er mit ihr von hier entkommen könnte.
Er wurde nicht enttäuscht. Die Stadt war menschenleer, wenn man von einigen Opfern absah, die unter schweren Trümmern erschlagen lagen. Aber es bereitete ihm die größte Mühe über all diese Trümmer mit Emily auf den Armen hinweg zu klettern. Es gab keine Straßen mehr, keine Wege, keine Gassen. Es gab nur noch Verwüstung, dicke Trümmer und noch dickeren Staub überall. Mehrmals musste er eine Pause einlegen, in der er sich immer wieder suchend umsah. Das war nicht nur ein Sturm gewesen, der hier gewütet hatte! Kein einziges der Häuser stand mehr. Es waren nur Schutt und Asche zurückgeblieben. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich den einfachsten Weg über all diese Trümmern zu suchen, bis er endlich am Rande der Verwüstung angekommen wäre. Aber was dann? Dahinter lag eine unbarmherzige Wüste.
Er schüttelte leicht den Kopf, wie um seine trüben Gedanken zu verscheuchen und nahm Emily dann wieder auf, um seinen Weg fortzusetzen. Erst einmal mussten sie hier heraus. Alles weitere … ergab sich hoffentlich, wenn er dieses Chaos hinter sich hatte.
In der Ferne sah er ein Pferd aufgeregt hin und her laufen, als er nicht mehr weit von der einstigen Stadtmauer entfernt war. Im Sonnenlicht war es kaum zu erkennen. Aber genau das ließ ihn das Pferd erkennen: Es war Emilys Pferd! Wenn er es erreichen konnte, bevor die offensichtlich nervöse und total aufgeregte Stute das Weite suchte, waren sie gerettet!
Aber kurz bevor er zum Ende des Geröllfeldes kam, über das er so mühsam gestolpert war, hob die Stute den Kopf und preschte plötzlich davon.
„Na, toll!“, schimpfte er leise. Damit waren ihre Aussichten hier wegzukommen deutlich geschrumpft. Lange Zeit würde er sich mit Emily und Asrar nicht durch die Wüste schleppen können.
Aber noch während er über die letzten Steine hinweg kletterte, sah er aus der Ferne drei Reiter auf sich zukommen. Und Emilys Pferd galoppierte neben ihnen her. Sollte er sich nun darüber freuen oder nicht? Aber es bleib ihm hier kaum Deckung, und damit nichts anderes übrig, als abzuwarten, wer dort kam.
Umso größer war sein Erstaunen, als er Kieran in Begleitung von Dakun und Damaso erkannte.
„Ich dachte schon wir wären alle verloren!“, rief er ihnen entgegen.
„Markward!“, rief Damaso aufgeregt, als er ihn erkannte. Erleichtert zügelte er sein Pferd.
Kieran sagte nichts, als er im vollen Galopp vom Pferd sprang und die letzten Schritte auf Markward zu gerannt kam. Er konnte nicht wirklich Erleichterung fühlen, darüber, dass er seinen Freund doch nicht getötet hatte. Er sollte es wohl, aber seine Gefühle waren in heller Aufruhr und er konnte gerade mal wieder keinen klaren Gedanken fassen, … noch eine wirkliche Emotion. Sein Blick hing starr auf die Frau in Markwards Armen. Er hatte erkannt, wen sein tot geglaubter Freund da auf den Armen hielt. Kieran hatte nur Augen für Emily, die Markward gerade leblos vor ihm auf den Boden legte. Und konnte nur noch starren.
Kurz schaute Kieran fragend zu Markward auf, aber Markward nickte mit dem Kopf.
„Sie lebt!“, sagte er knapp, „Sie ist nur bewusstlos!“, und deutete auf die Verletzung am Hinterkopf.
Noch immer stumm ließ Kieran sich neben Emily auf die Knie nieder. Vorsichtig umfasste er ihr Gesicht und küsste sie ebenso vorsichtig auf den Mund. Er musste mehr als nur einmal schlucken, als sich die Erleichterung in ihm breit machte, sie lebend wieder zu haben. „Ich danke dir.“, sagte er mit leiser, zittriger Stimme zu Markward. Und musste ein paar mal tief einatmen, um sich überhaupt wieder gänzlich unter Kontrolle zu kriegen.
„Schon gut.“ Markward nickte ihm zu und wollte gerade aufstehen, um Kieran mit Emily allein zu lassen, ihnen etwas Intimsphäre zugestehen, als ihn Kieran daran hinderte. Er legte seinem Freund seine Hand schwer auf die Schulter und blickte ihm tief in die Augen.
„Es tut mir leid!“, sagte er leise. „Entschuldige. Ich hatte keine andere Wahl.“
Markward sah ihn lange an, nickte dann aber nur. Und grinste irgendwann.
„Hast mal wieder ganze Arbeit geleistet! Jetzt hat Hakkar seine Antwort!“
Dakun hockte sich neben Kieran auf den Boden und besah sich Emily. Sie schien ihm nicht einfach nur bewusstlos von einem Steinschlag zu sein. Er, als ein Magier, der die Gabe besaß anderer Menschen Bewusstsein zu manipulieren, erkannte das sofort.
„Was genau ist passiert?“, wollte er von Markward wissen.
Markward sah Dakun recht ernst an.
„Sie hat mich befreit, sie war plötzlich bei mir unten im Kerker und hat die Schlösser aufgebrochen, als plötzlich alles in Bewegung geriet. Ich glaube sie hat einen Bannzauber um uns herum gewirkt. Aber ich kann dir nicht sagen, wann sie zusammen gebrochen ist, ob es ein Stein war, der sie bewusstlos werden ließ, oder ob der Stein erst hinterher kam. Sie ist einfach in meinen Armen bewusstlos geworden.“
„Dann hat sie sich erschöpft!“, stellte Dakun fest. „Wollen wir hoffen, dass ihre Verletzung nicht so stark ist, um ihr wirklich etwas auszumachen.“
„Wir müssen trotzdem von hier weg. Im Norden gibt es nicht sehr weit von hier direkt an der Küste eine kleine Stadt.“, sagte Kieran und nahm Emily vorsichtig hoch, um sie auf sein Pferd zu setzen. „Ich will nicht länger hier bleiben und feststellen müssen, dass vielleicht doch noch irgendeiner hier ist.“ Er legte Emily vorsichtig vornüber, mit dem Oberkörper auf den Hals des Pferdes. Es war ihm lieber, wenn er sie auf dem Ritt vor sich, in seinen Armen hatte. Markward fing derweil Emilys Stute ein, die wieder aufgeregt herum tänzelte.
„Damaso, nimmst du ihn mir ab, bevor uns dieses Tier noch beide umbringt?“, fragte er an seinen Elbenfreund gerichtet und hielt Damaso ein großes Bündel irgendwas hin. „Damaso?“
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