„Aber was ist passiert?“, wollte sie noch immer wissen. Sie konnte sich noch keinen Reim darauf machen. Etwas fehlte noch. Sie konnte sich an das Verließ erinnern, aber dann erst wieder, wie sie von Haza eilig durch lange Flure gezogen wurde, bis sie auf diesen Hakkar stießen. Aber dazwischen fehlte doch noch etwas!
„Ich habe einen Sturm losgeschickt.“, sagte Kieran sehr leise und kam zu ihnen hinüber. „Ich hätte euch beide damit getötet, wenn du nicht einen Bannzauber um euch herum gewirkt hättest.“
Emily sah ihn entsetzt an. Jetzt erinnerte sie sich plötzlich wieder.
„Du warst das?“, fragte sie ungläubig. Kieran nickte nur traurig. „Ja.“
Eine Zeit lang sagte niemand mehr etwas. Erst als Dakun ebenfalls vom Pferd abgesessen war und auf Emily zukam, um sie zu umarmen, löste Kieran sich aus seiner Erstarrung.
„Kriege ich jetzt vielleicht mal meine Frau wieder zurück?“, fragte er in einem komischen Ton.
Emily trat auf ihn zu und wollte ihn gerade umarmen, aber er zog nur schnell den Kopf weg.
„Nein.“, sagte er zu ihr und zog sie am Handgelenk mit sich. Er bog eilig in eine kleine, ruhige Seitengasse ein und tauchte mit ihr in den Schutz eines Schattens ein, den ein buntes Sonnensegel an einer Hausecke ihnen dort bot.
Lange sah Kieran Emily an, ohne etwas zu sagen, hielt einfach nur ihr Gesicht in seinen Händen und konnte sie nur anstarren. Dann schlang er plötzlich seine Arme um sie und drückte sie fest an sich. Nur ein leises Schlucken und halb unterdrücktes Schluchzen verrieten ihr, dass er tatsächlich weinte!
Sie wussten beide nicht, wie lange sie dort so gestanden hatten, aber irgendwann kam Damaso langsam um die Ecke gebogen und blieb in einigem Abstand zu ihnen stehen.
„Emily“, begann Kieran langsam, „war da irgendetwas zwischen Nasim und dir?“ Er nahm ihr Gesicht wieder in seine Hände und sah sie aus tränenfeuchten Augen eindringlich an. „Ich könnte es sogar verstehen. Er ist um einiges jünger als ich und … war einfach für dich da.“
Aber Emily schüttelte nur leicht den Kopf.
„Nein.“, sagte sie und sah ihm dabei fest in die Augen. „Nein, er war tatsächlich einfach nur da, als ich jemanden brauchte. Er hatte zwar genauso wenig Ahnung, wie ich gehabt, aber er hat es wenigstens zugegeben und sich darum bemüht, dass ich mich wieder erinnern könnte. Nein, da war nichts! Und bis vorhin war er stets einfach nur sehr höflich und zurückhaltend mir gegenüber!“ Sie lächelte ihn aufmunternd an. „Er ist nett. Aber das sind Damaso und Markward auch!“
Ein wenig erleichtert atmete Kieran auf.
„Ich liebe dich!“, sagte er nur leise und drückte sie noch einmal ganz fest.
„Ich dich doch auch!“, gestand sie ihm und küsste ihn. „Warum zweifelst du nur immer so viel?“
„Na, du hast mich vorhin ganz schön erschreckt!“, sagte er lächelnd zu ihr. „Erst küsst du Markward zum Abschied in Aldomark, und jetzt finde ich dich hier in Hal-Abun in den Armen eines anderen Mannes wieder!“, erinnerte er sie.
„Kieran!“, schalt sie ihn lachend, aber erwiderte nur zu gerne seinen Kuss, den er ihr mit Leidenschaft gab.
Damaso räusperte sich ungeduldig am Ende der kleinen Gasse.
„Ich will ja nicht stören, aber wir befinden uns noch immer mitten im Krieg gegen Hakkar! Vielleicht sollten wir mal langsam von hier weg?“
„Hast ja recht!“, sagte Kieran zu ihn, und führte Emily an der Hand die Gasse hinunter auf ihn zu, während er noch darum bemüht war, die Tränen in seinen Augen wegzublinzeln.
„Kieran!?“, fragte Damaso, als er sich seinen Freund besah. Kieran wischte sich noch einmal mit der Hand über sein Gesicht.
„Kein Wort!“, warnte er ihn, bevor er um die Ecke bog und zu den anderen zurückkehrte. „Nasim!“, sprach Kieran den Soldaten dann übergangslos an. „Du wirst sie unverzüglich nach Sa-Lham zurückbringen und mir für ihre Sicherheit garantieren. Damaso, du begleitest sie! Ich werde Hakkar aufsuchen!“
„Kieran, nein!“, flehte Emily plötzlich überaus nervös aufgebracht, begegnete aber nur seinen entschlossenen Blick, und brach ab.
„Ich werde Hakkar suchen und ihm das alles hier vergelten!“ Kieran nickte sehr entschieden. „Ich werde ihm das nicht ungestraft durchgehen lassen. Er ist auf der Suche nach mir? Bitte sehr, dann soll er mich auch kriegen! Aber wenn er denkt, dass er damit alle seine Probleme aus der Welt schafft, hat er noch nicht erlebt welche Probleme ich ihm tatsächlich machen kann!“ Dann aber sagte er fast schon sanft zu Emily: „Mach dir keine Sorgen. Es wird mir nichts passieren! Aber ich kann dich hier nicht beschützen. Außerdem musst du zurück, du musst dich um Asrar kümmern!“ Er gab ihr zum Abschied noch einen langen Kuss, bevor er sie auf ihr Pferd setzte und Nasim die Zügel seines eigenen Pferdes in die Hand drückte. „Los jetzt!“, befahl er. „Wir treffen uns alle in Sa-Lham wieder!“ Damit drehte er sich um und ging mit Markward um die Straßenecke herum, und war im Getümmel verschwunden.
Nasim bewegte sich noch immer sehr langsam und steif.
„Komm schon, Kleiner!“, rief Damaso ihm zu. Er wartete aber geduldig, bis Nasim aufgestiegen war. Emily lenkte ihr Pferd direkt neben seines. Aufmunternd streckte sie ihm ihre Hand entgegen, um ihm zu signalisieren, ihr zu folgen, und lächelte ihn dabei an.
Damaso besah sich den jungen Soldaten.
„Ja, aufgepasst! Unsere Emily ist eine richtige Herzensbrecherin!“
„Das habe ich jetzt nicht gehört, Damaso!“, schalt sie ihn lächelnd.
„Du weißt aber, dass es wahr ist!“, neckte Damaso sie. „Deswegen lieben wir dich alle so sehr!“
„Damaso!“
„---Was?“
„Hör jetzt endlich auf! Ich frage mich manchmal, ob du wirklich Kierans Freund bist, oder ob du nur auf eine günstige Gelegenheit wartest!“
Damaso lachte auf.
„Alles nur Spaß, kleine Emily! Ich würde mich niemals zwischen Kieran und dir stellen, es sei denn, du würdest es so wollen!“
„Damaso! Jetzt reicht `s!“
Damaso lehnte sich lachend im Sattel zu ihr hinüber und küsste sie auf ihre Wange. Ja, er hatte sie vermisst. Und er war überglücklich sie wohlbehalten wieder zu haben. Auch wenn er das so niemals offen sagen würde. Zumindest nicht in Kierans Gegenwart.
„Hey!“, wandte er sich dann Nasim zu. „Das darf übrigens nur ich ungestraft!“
Emily knuffte ihn kräftig in die Seite.
„Schluss jetzt!“, schalt sie ihn und trieb ihr Pferd vorwärts.
Sie erreichten die Stadtmauer ohne weitere Probleme und kamen auch ohne Zwischenfälle zügig durch die Steppe in Richtung Westen voran.
Die Kämpfe in der Stadt kamen schnell zum Erliegen, allerdings ohne, dass Kieran den Fürsten von Bahi-Dun hätte ausfindig machen und stellen können. Aber die Überlegenheit der Männer aus Hal-Abun, die von den Truppen aus Al-Alef unterstützt wurden, war einfach zu übermächtig. Die Soldaten, die nicht gefallen oder gefangen genommen worden waren, suchten ihr Heil in der Flucht. Sie schienen ihren Befehlshaber verloren zu haben, und so stürmten einige recht kopflos davon in die Wüste hinein. Es war offensichtlich, dass sie nicht mit einer derartigen Gegenwehr gerechnet hatten.
Kieran verfluchte zwar den Umstand Hakkar nicht gefunden zu haben, aber war insgeheim dem jungen Soldaten Nasim dafür dankbar, seine Männer aus Al-Alef hier in Hal-Abun zusammengezogen zu haben.
„Verdammt!“, schimpfte er. „Und ihr habt wirklich jeden einzelnen Winkel und jeden einzelnen verbliebenen Soldaten genauer ins Visier genommen? Aber er muss doch irgendwo sein! Hakkar wird doch nicht so feige sein, seine Männer in den Kampf zu schicken und sich selber aus dem Staub zu machen!“ Er mochte nicht so recht glauben, was ihm der Befehlshaber der Truppen aus Hal-Abun da erzählte, mit dem er sich gerade im Palasthof getroffen hatte.
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