Ach, verflucht! Er wünschte sich nur, dass sie endlich am Grenzpass ankommen würden!
Yasemin hatte nicht nur ihren Namen vergessen, sondern irgendwann auch die Zeit. Nasim bemühte sich auf so nette Art um sie, dass sie sich irgendwann in ihre neue Rolle als seine Frau schon einzufügen begann. Es machte ihr nicht mal etwas aus. Wer wusste es schon, vielleicht war an der Geschichte ja mehr Wahres dran, als sie glaubte! Haza, der sie täglich heimlich besuchte, wusste es, aber er hatte weder Nasim noch sie selbst über ihre Herkunft aufgeklärt. Nicht einmal ihren wahren Namen hatte er verraten. Und sie war sich sicher, dass er ihn wusste. Das stärkte nicht gerade ihr Vertrauen in den alten Mann. Nein, wenn, dann würde sie lieber Nasim vertrauen wollen, der zwar ebenfalls keine Ahnung von den Dingen hatte, die geschehen waren, aber er machte wenigstens keinen Hehl daraus, sondern war darum bemüht Tag für Tag etwas mehr Licht in das Dunkel, das in ihrem Kopf herrschte, zu bringen.
Nur eines war ihr in der Zwischenzeit klar geworden: Sie hatte keinerlei Mühe damit alle Arbeiten des täglichen Haushaltes zu meistern, also war sie keine hochgestellte Persönlichkeit, die Diener gewohnt war. Die Tatsache ließ sie zwar noch mehr darüber zweifeln, was dann eine so hoch gestellte Persönlichkeit wie Fürst Haza eigentlich mit ihr zu schaffen hatte, aber da sie ansonsten auch nichts mit sich anzufangen wusste, kümmerte sie sich gerne um Nasim und seinen bescheidenen Haushalt. Er tat es ja umgekehrt schließlich auch!
Irgendwann waren die Truppen von Hakkar wieder abgerückt und das Leben in der Stadt ging allmählich wieder seinen gewohnten Gang. Haza kam zu ihrem Haus, um ihnen mitzuteilen, dass nun wohl keine Gefahr mehr bestand.
„Ich möchte Euch unter meiner Obhut in meinem Palast wissen.“, sagte er mit eindringlichem Blick, als er gerade zum Abendessen in das kleine Häuschen des Archivars, das sie mit Nasim bewohnte, hereinschneite.
Nasim zuckte fast unmerklich zusammen, neige aber nur respektvoll sein Haupt.
„Wenn Ihr es so wünscht. Ich werde ihre Sachen holen gehen.“
„Nein.“, sagte Yasemin leise, aber dennoch recht entschieden. „Verzeiht mir, Fürst Haza, aber ich werde nicht mit in Euren Palast kommen. Ich fühle mich hier bei Nasim sicher, ich werde bleiben!“
„Yasemin!“, stieß Nasim erschrocken hervor. Wusste sie denn nicht, wem sie gegenüber stand? Natürlich nicht , schalt er sich selbst. Woher denn auch?
Haza zog die Augenbrauen in die Höhe, blieb aber ruhig.
„Ich fürchte, ich muss darauf bestehen.“, sagte er nur knapp und wartete. Mit einem Wink gab er Nasim zu verstehen, endlich ihre Sachen zu holen.
Nein!“, sagte Yasemin ganz entschieden.
„Yasemin!“ Nasim trat mit einem schnellen Schritt hinter ihr, fasste sie an den Schultern und beugte sich leicht zu ihr hinunter, und sprach dicht an ihrem Ohr. „Du weißt nicht, wen du vor dir hast!“, raunte er ihr eindringlich zu. „Tu, was er sagt.“
„Nein!“ Yasemin blieb stur. Sie verschränkte wenig beeindruckt die Arme vor der Brust und sah von Haza zu Nasim, der weiterhin in ihrem Rücken stand. Was sich für Yasemin ungemein tröstlich und beschützend anfühlte. „Ich weiß nicht wer ich bin und woher ich komme. Aber ich weiß, dass ich dir vertraue, dass du mich während der letzten Tage oder Wochen beschützt hast, obwohl du eigentlich keinerlei Veranlassung dazu hattest. Und ich weiß, dass er die Wahrheit kennt und sie mir vorenthält, und dass ich ihm deswegen misstraue. Nein, ich bleibe bei dir!“
„Die Wahrheit kommt noch früh genug!“, sagte Haza streng. „Alles zu seiner Zeit. Ich fürchte, Euch bleibt keine andere Wahl. Ich werde Nasim zu seinen Truppen zurückschicken! Sie müssen sich bereithalten. Es tut mir leid, aber Ihr werdet mich begleiten!“
„Verzeiht, Sayyid!“ Nasim verbeugte sich höflich vor dem alten Mann. „Gebt uns ein wenig Zeit. Ich werde sie noch im Laufe des Abends zum Palast hinüber bringen! Ihr habt mein Wort darauf!“
Haza zögerte einen Augenblick. Er sah sehr ernst die beiden jungen Leute vor sich an.
„Also schön!“ Er nickte zum Abschied. „Ich habe Euer Leben, nicht nur Euer Wort! Vergesst das nicht!“ Damit drehte er sich um und ließ die beiden alleine.
Nasim stieß die Luft geräuschvoll aus, als Haza die Tür endlich wieder hinter sich zugemacht hatte. Er sah lange und sehr nachdenklich Yasemin an.
„Es tut mir wirklich leid.“, sagte er sehr leise. „Aber ich fürchte, ich muss dich zurückbringen. Mir bleibt keine andere Wahl. Obwohl ich deine Anwesenheit hier vermissen werde. Aber ich bin nur ein einfacher Soldat. Wenn mich Haza zurückschickt werde ich gehen müssen. Und du wirst hier bleiben. Ich kann dich unmöglich mitnehmen! Auch wenn ich es am liebsten täte.“ Er hielt ihr seine Hand offen hin und sah sie betreten an. Zögerlich legte Yasemin ihre Hand in die seine. Er ergriff sie und führte sie zu seinen Mund, um sie zu küssen.
„Ich habe keine Ahnung, wer du bist. Aber eines ist klar: Du bist eine wundervolle Frau, eine bezaubernde Gesellschafterin, eine wahre Augenweide und eine ganz hervorragende Köchin! Ich danke dir für die letzten Tage, die ich mit dir verbringen durfte!“ Eine verlegende Pause entstand. Schüchtern zuckte Yasemin mit den Achseln.
„Wer weiß … vielleicht ist das des Rätsels Lösung. Ich bin die Hofköchin von diesem Hakkar und habe ihm die Suppe versalzen, und er will sich jetzt dafür rächen!“ Sie grinste etwas verunglückt. Nasim stieß ein kurzes Lachen aus.
„Wenn es bloß so einfach wäre!“, gab er lachend zurück, schüttelte aber gleichzeitig den Kopf. Dann sah er sie wieder ernst an. „Ich werde das jetzt wahrscheinlich nie wieder tun können oder dürfen …!“ Er zog sie mit einem schnellen Griff an den Hüften fest an sich heran und legte ihren Kopf mit einer Hand auf seine Brust und schloss die Augen. Eine Weile hielt er sie so fest, hielt sie, damit sie ihm nicht entrinnen konnte, hielt sie, weil er sie einfach für alle Zeiten halten wollte. Doch sein Griff wurde lockerer, entspannter, als er feststellte, dass er sie gar nicht festhalten musste, dass sie ihm gar nicht entrinnen wollte, dass sie sich tatsächlich an ihn schmiegte, wenngleich auch etwas schüchtern.
Yasemin konnte deutlich seinen viel zu schnellen Herzschlag hören, fühlte seine kräftigen Hände an ihrer Hüfte und auf ihrem Hinterkopf liegen, fühlte, wie seine Finger mit ihren Haaren spielten. Mochte er sie etwa tatsächlich? So wie sie ihn? Sie wünschte sich, dass alles nicht so verworren wäre, dass sie ihn einfach … lieben könnte. Warum konnte es nicht so einfach sein? Warum musste alles kompliziert sein? Warum konnte sie nicht einfach hier bei ihm bleiben? Warum konnte sie nicht einfach bei dem Mann bleiben, bei dem sie sich sicher und verstanden fühlte, den sie mochte, und der sie mochte, oder vielleicht sogar noch mehr …? Plötzlich zuckte sie zusammen. Irgendwie kam ihr die Situation vertraut vor. Als hätte sie sie schon einmal erlebt ….
Nasim sah sie fragend an, als er spürte, wie sie kurz versteinerte. Er deutete ihren Blick richtig.
„Hast du dich an etwas erinnert?“, fragte er vorsichtig. Yasemin sagte noch nichts, also wartete er geduldig.
Aber dann schüttelte sie langsam den Kopf.
„Ich dachte gerade, dass ich das hier schon einmal erlebt habe …. Irgendwie kommt es mir vertraut vor ….“
„Ein Déjà vu?“ Nasim zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Vielleicht hätte ich dich schon eher mal in den Arm nehmen sollen … vielleicht aber auch besser nicht. Wer weiß, wenn du dich wieder erinnern kannst, wer du bist … wahrscheinlich bin ich dich dann für immer los.“, fügte er leise hinzu. „Und das will ich ehrlich gesagt gar nicht!“
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