„Als … was passiert ist?“, fragte die junge Frau vorsichtig.
„Ihr wisst es nicht?“ Ofra war ehrlich erstaunt. „Aber Ihr wisst doch über Al-Alef Bescheid?!“
„Was ist Al-Alef?“, fragte die Frau wieder, ebenso vorsichtig.
Haza, Ofra und Nasim sahen sich verblüfft an.
„Ihr wisst es wirklich nicht?“, fragte Haza ebenso vorsichtig.
Die Frau schüttelte den Kopf.
„Dann sagt uns Euren Namen.“, forderte Haza sie auf. Aber er bekam nach einer Weile wieder nur ein Kopfschütteln zur Antwort. „Euren Namen! Ihr werdet doch wissen, wie Ihr heißt?“
„Nicht … Yasemin …?“ Die junge Frau war schon wieder den Tränen nahe. Sie konnte sich tatsächlich einfach nicht erinnern! Aber Yasemin war anscheinend nicht ihr richtiger Name. Aber warum nur nicht? Warum konnte sie nicht mal eine solch lächerlich einfache Frage beantworten?
Nasim zog mit einem leisen Pfiff die Luft ein und nickte.
„Ihr habt wirklich ein Problem!“ Er sah erst Haza an, dann aber wieder die namenlose Frau. „Allerdings ein hübsches!“
„Nun, ich denke wir sollten es vorerst auf sich beruhen lassen. Ofra, bring sie in ein angemessenes Gemach. Sie sollte sich ausruhen!“, sagte Haza.
Noch bevor Ofra mit ihr hinaus war, hatte Nasim aber Einwände.
„Verzeiht bitte, Fürst Haza. Aber solange die Truppen aus Bahi-Dun hier herumschnüffeln, wäre es da nicht besser, wenn wir nach der Geschichte handeln, die wir ihnen aufgebunden haben? Wenn es wirklich etwas zu verbergen gibt, sollten wir Hakkar nicht misstrauischer machen, als er ohnehin schon ist. Was wird er davon halten, wenn er erfahren sollte, dass Ihr die Frau eines unbedeutenden Mannes bei euch beherbergt?“
Ofra hielt noch in der Tür inne und schaute ihren Vater an. Der junge Mann hatte durchaus recht!
Auch Haza nickte langsam, während er nachdachte.
„Warte Ofra. Er hat recht. Schick jemanden los, Nasim wird mit ihr zusammen in das Haus neben dem Archivar einquartiert. Dort habe ich Euch im Blick und kann jederzeit eingreifen, wenn es nötig werden sollte. Und Ihr, Nasim, werdet jemanden nach Al-Alef schicken. Eure verbliebenen Truppen sollen sich im Verborgenen sammeln und bereithalten. Es kann sein, dass sie irgendwann sehr schnell gebraucht werden, wenn Sayyid Az-Hchal wieder zurück ist.“ Haza sah zu der Frau hinüber. Aber da war nichts in ihrem Gesichtsausdruck, was ihm verraten hätte, dass sie sich gerade an irgendetwas erinnert hatte. Nein, sie wusste tatsächlich nicht, wer sie war!
Haza deutete ihr wieder mit einer Handbewegung Platz zu nehmen und gab dem jungen Mann mit einem Zeig seines Kopfes zu verstehen, dass er sich schnell um diese Angelegenheit kümmern sollte.
Nach einer kurzen Weile kam er auch eilig wieder zurück.
„Fürst Haza! Es ist ein Bote unterwegs!“
„Gut, sehr gut, Nasim. Bleibt! Kommt her, setzt Euch!“ Haza bot ihm einen Platz an und klatschte in die Hände. Ein Diener kam gleich darauf und brachte ihnen wieder Tee und Gebäck auf einem großen Tablett herein.
Sie unterhielten sich noch lange, besser gesagt, Haza und Nasim unterhielten sich noch sehr lange, die junge Frau hörte nur zu und versuchte irgendetwas zu verstehen, bevor der Abend dann dämmerte und ein Diener ihnen mitteilte, dass alles für die Nacht nun vorbereitet wäre. Nasim sah sich die junge Frau mit einem nachdenklichen Lächeln an und hielt ihr seine Hand hin, damit er sie zu dem ihnen zugeteilten Haus führen könnte.
„Yasemin?“, fragte er dann auffordernd, als sie noch zögerte seine Hand anzunehmen.
„Aber damit Ihr wisst, auf was Ihr Euch da einlasst, und um meinen Ruf als netter, alter Zausel abzutun: Ihr werdet mir persönlich mit Eurem Leben für ihr Wohlergehen haften!“, warnte Haza ihn eindringlich.
Nie zuvor hatte der Kapitän erlebt, dass der Wind so kontinuierlich und stark sein Schiff vorwärts getrieben hatte. Er war mehr als erstaunt, als der Mann im Ausguck viel zu früh Bescheid gab, dass der Zielhafen am Horizont zu sehen war.
Kieran hatte es eilig gehabt. Aber er hatte es niemanden gesagt, und niemand hatte jemals danach gefragt, was er ständig auf Deck machte. Es hatte für alle einfach so ausgesehen, als würde er ständig und stundenlang nachdenklich auf das Meer hinausschauen. Dabei mochte er das Meer nicht sonderlich. Er hatte zu viel Respekt davor. Was daran lag, dass er nicht schwimmen konnte. Und sich über einem Element zu bewegen, das einem nicht geheuer war und einen jederzeit absaufen lassen konnte, war nichts was ihn mit der gleichen stoischen Ruhe erfüllte, wie die anderen hier. Nein, wenn er an Deck war, betrachtete er nicht einfach das Meer. Was er in Wirklichkeit tat, hatte er sich nicht anmerken lassen … er, als Magier, der Macht über den Wind hatte!
Erst als der Kapitän, als sie alle von Bord gingen, vom Hafenmeister darauf angesprochen wurde, wie er es geschafft hätte die Reisezeit von gut drei auf knapp zwei Wochen zu verkürzen, lächelte Kieran Damaso wissend an.
Aber auch Dakun schien es eilig zu haben. Kaum, dass die Pferde aus dem Laderaum des Schiffes nach draußen geführt wurden, saß er auch schon im Sattel und sah Damaso und Markward auffordernd an.
Sie hatten sich fast zwei Wochen lang zur Genüge ausruhen können. Es bestand keine Notwendigkeit, jetzt auch noch weitere Zeit in der Hafenstadt zu vertrödeln. Außerdem war es kalt, zu kalt, fand Kieran. Auch er wollte lieber in Bewegung bleiben und so schnell wie möglich hier weg. Außerdem wollte er so schnell wie möglich einen Weg zurück finden, zurück zu Emily. Zwei Wochen waren bereits vergangen, zwei Wochen, in denen er nichts tun konnte, zwei Wochen, in denen er nichts anderes gehört hatte, außer den knarrenden Masten und Takellagen des Schiffes, wenn der Wind in die Segel griff. Er brauchte Nachrichten, Neuigkeiten, Informationen darüber, was in Sa-Lham geschehen war seit ihrer unfreiwilligen Flucht, was mit Emily und Asrar geschehen war.
Sie ritten zügig voran, und schon nach einem vollen Tag kam das Grenzgebirge am Horizont in Sichtweite. Nach zwei weiteren Tagen befanden sie sich am Fuße des Gebirges und ritten durch die karge und steinige Heidelandschaft am Gebirge entlang, immer weiter Richtung Osten, bis sie irgendwann auf den Grenzpass stoßen würden. Aber bis dahin war es noch ein langer Weg.
Kieran fluchte leise vor sich hin. Nie zuvor war er im Norden gewesen. Aber er wusste jetzt wenigstens warum Emily damals auf dem Weg in den Süden gewesen war. Dabei waren sie hier nicht mal wirklich im Norden, sondern mehr im Westen. Aber bereits hier schien ihm das Wetter tatsächlich zu unwirklich, als dass ein Mensch es auf Dauer ertragen könnte. Würde der ständige Regen denn nie aufhören? Das, was es in diesem Land zuviel gab, war in den südlichen Landen ein kostbares und seltenes Gut. Es schien fast so, als würde das Gebirge alle Wolken abfangen, die vom Meer her angetrieben wurden und eigentlich weiter ins Innere der Länder ziehen wollten.
Einzig Dakun schien das Wetter nichts auszumachen, obwohl sich Kieran sicher war, dass es in seinem Land nicht so kalt und nass war, wie hier. Allerdings war Dakun ebenfalls ein Magier, einer der über das Wasser gebieten konnte. Er fragte sich, ob Dakun das Wetter tatsächlich nichts ausmachte, oder ob er es einfach nicht mitbekam, dass alle anderen damit allmählich zu kämpfen hatten. Er hätte doch etwas dagegen tun können! Immer wieder sah er ihn verstohlen von der Seite her an, aber Dakun schien nichts davon mitzubekommen. Nichts von dem Wetter, nichts von Kierans Blicken, nichts von Kierans Flüchen gegen das Wetter. Er ritt einfach immer nur nach vorne, den Blick auf den Horizont gerichtet. Er schien nachzudenken.
Vielleicht hätte Kieran das auch besser tun sollen, statt immer nur Zweifel an allem zu hegen. Aber er hatte bereits ständig über sein Schicksal nachgedacht und war der Lösung seiner Probleme keinen Deut näher gekommen.
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