„Du wirst unterliegen, kleine Kriegerin“, spottet er. „Du hast keine Chance.“
Ich sehe seine Fantasien, in denen er über mich triumphiert, mich irgendwo festhält, wo ich ihm hilflos ausgeliefert bin.
„Du kannst mir nichts tun!“, behaupte ich, obwohl ich es besser weiß, aber ich versuche, meine Gedanken zu verschleiern.
Sein Lachen klingt künstlich. Wahrscheinlich will er mir zeigen, wie sehr ich seine Zeit verschwende.
„Oh bitte, Gillian! Hast du vergessen, dass ich deine Angst riechen kann?“ Er täuscht einen Angriff an und ich weiche sofort zurück. Wieder lacht er mich aus. „Du weißt doch am besten, dass wir wie Tiere sind. Wir schlachten Unschuldige zu unserem Vergnügen ab.“
Du vielleicht, denke ich. Dieses Urteil nehme ich nicht an. Meine Opfer sterben fast immer in Wohlgefühl – selbst wenn ihre Angst ihren Reiz haben kann.
Aber jetzt darf ich nicht daran denken. Ich umkreise ihn langsam und bemühe mich, eine ungeschützte Stelle auszumachen. Die Haut, höre ich Joice in meiner Erinnerung, unsere verwundbarste Stelle ist die Haut. Ich verfluche mich, dass ich nicht einmal eine Waffe trage. Mein Hund liegt hinter mir auf dem Rücken, gestellt von unserem eigenen Wolf.
„Du fragst dich, was das bedeutet“, vermutet Crain. „Wie ich dich hier finden konnte.“ Er lächelt heimtückisch. „Meine Macht ist größer als du glaubst, Gillian!“
Mit einem schwungvollen Schlag seines Mantels gibt er mir den Blick auf einen Stab frei, den er in seiner Hand hält. Er sieht aus wie ein Spazierstock mit silbernen Beschlägen. Nun verstehe ich auch, weshalb er die Handschuhe trägt, denke ich düster. Dann fällt mir der rot glänzende Stein ins Auge.
„Der Rubin“, murmele ich fassungslos, „Destinys Auge und Stimme.“ Zuletzt habe ich ihn in meinem alten Zimmer gesehen, auf meinem Nachttisch, damals, als ich noch bei meinen Eltern lebte. Als ich noch eine der Krieger war. Damals war der Rubin unser Kommunikationsmittel mit der Obrigkeit. Und nun ist er in seinen Händen.
„Wahrscheinlich willst du gern wissen, wie dein Kristall seinen Weg zu mir gefunden hat“, vermutet er. Ich korrigiere ihn in Gedanken. Nur ein Idiot kann den Stein einen Kristall nennen. „Deine Hexenfreundinnen haben ihn für mich geholt. Sie gaben ihn mir ganz freiwillig – vor unserer kleinen Meinungsverschiedenheit …“
„Ich hoffe nur, sie haben meinen Eltern dafür nichts angetan!“, zische ich. „Sonst sind sie die Nächsten, die ich bezahlen lasse.“
„Nach mir meinst du?“ Sein Gesicht ist diesmal ehrlich überrascht und ich stelle fest, dass ich diesen Blick noch mehr hasse. „Du hast nichts von deiner Arroganz eingebüßt!“, lacht er.
Wütend springe ich ihn wieder an. Ich versuche, eine Hand auf den Rubin zu legen, aber er ist schneller als ich. Er schlägt mich mit dem Stock zu Boden, dann stellt er sich über mich und hält ihn mir von hinten an die Kehle. Ich kreische, als das Silber meine Haut versengt. Ich ringe mit den Händen, um ihn abzuwehren, doch er weiß, wie hilflos ich bin, und genießt seine Machtposition.
„Ich sagte ja: Keine Chance“, meint er mit ruhigem Atem, als hätte ich ihn überhaupt nicht angestrengt. Dann kommt er ganz nah an mein Ohr, sodass ich sein Haar auf meiner nackten Schulter fühle. „Weißt du, Gillian – Liebes!“, sagt er angewidert. „Eigentlich wollte ich deinem Geliebten nur andeuten, was ihn erwartet, wenn er mir folgt. Aber auf die Art wird er den Vorteil ganz von selbst sehen.“
Welche Art?, denke ich sarkastisch. Das Lächeln in seiner Stimme gefällt mir gar nicht.
„Du hast nicht zufällig Liliths Essenz bei dir?“, will er wissen.
Ich lache auf. „Die wirst du nicht mehr bekommen.“
„Warum, kannst du mir wohl nicht sagen?“ Er drückt den Stock an meine Kehle und ich krächze: „Leider nein.“
„Vertrau mir, Liebes!“ Wieder betont er das Wort, als wäre es ein Fluch. „Ich bekomme es aus dir heraus!“
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie ein paar andere Vampire Swift einen schwarzen Sack überstülpen und ihn einschnüren. Dieser Anblick, das Winseln und der Druck an meinem Hals lassen meine Augen feucht werden. Dann bekomme auch ich eine Kapuze über den Kopf und werde grob über das stachelige Gras geschleift. Sie werfen mich in die Kutsche, zu Füßen von Crain, der die Tür zuschlägt und mich achtlos zur Seite stößt.
Heiße Tränen laufen über mein Gesicht. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal geweint habe, aber ich muss einen guten Grund gehabt haben. Ich denke an Joice, an Swift und plötzlich auch an meine Eltern. Bin ich immer noch ein Mensch?, frage ich mich. Und wenn er herausfindet, wie verletzbar ich bin – was wird er dann mit mir tun?
Als ich die Augen das erste Mal öffne, sehe ich ein Bild von mir selbst. Ich sitze in Lunas Sattel und umklammere einen Pokal für den besten Nachwuchs-Trailritt im Amarillo Rodeo. Stolz grinse ich in die Kamera – natürlich hat Andy das Foto gemacht. Und er hat es neben sein Bett gestellt, damit ich immer bei ihm bin. Mir fällt auf, wie lange ich nicht mehr in seinem Zimmer war. Wahrscheinlich hätte ich von mir erwartet, sofort in Tränen auszubrechen, aber seltsamerweise befällt mich eine unendliche Ruhe. Es ist, als würde ich seine Anwesenheit spüren, als würde er direkt neben mir sitzen. Ich atme tief durch und schließe die Augen wieder; ich genieße den Moment.
„Er hatte einen herrlichen Blick von hier“, sagt meine Mutter.
Erschrocken fahre ich hoch. Julia steht am Giebelfenster und deutet nach draußen.
„All die schönen Pferde da unten! Es ist eine richtige Herde, die sie haben, was?“ Sie lächelt.
Natürlich ist es eine Herde, denke ich, aber ich erwidere nichts.
„Ich habe dich vom Unterricht abgemeldet“, erklärt sie. Automatisch schaue ich auf die Uhr. „Celeste rief mich an, um mir zu sagen, dass du bei der Arbeit bewusstlos geworden bist. Da habe ich gleich den Arzt gerufen.“
„Und, was sagt er?“, frage ich gleichgültig. „Dass ich eine emotionale Störung habe und auf eine Sonderschule muss?“
Sie sieht mich traurig an. „Er sagt, dass du im Grunde gesund bist und dass du dich nicht überarbeitet hast. Dieser Schwächeanfall ist wohl eher … seelischer Natur.“ Sie macht eine Pause und sieht mich noch immer an. Ich weiche ihr aus und blicke aus dem Fenster.
Dann deutet sie auf das Bett. „Darf ich mich zu dir setzen?“, fragt sie versöhnlich.
Ich zucke mit den Schultern. „Warum nicht.“
„Ich weiß, Danny und du, ihr habt ein paar Probleme miteinander, ihr hattet keinen guten Start. Aber ich möchte jetzt nicht mit dir über Danny reden.“
„Ich möchte auch nicht über Danny reden“, sage ich frostig, aber sie geht nicht darauf ein.
„Ich möchte über dich reden. Über dich und Andy, wenn du willst. Oder über dich und Robin.“
Ich hole tief Luft. „Mom!“
„Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin ihm nicht böse. Und Danny – na ja, er wird es überleben, denke ich.“ Sie grinst schief. „Ich finde es wunderschön, dass du wieder jemanden gefunden hast, dem du so wichtig bist!“ Dem kann ich kaum widersprechen und so lasse ich sie fortfahren. „Er ergreift Partei für dich, das ist eigentlich sehr anständig von ihm.“
„Es freut mich, dass du das so siehst“, sage ich spöttisch, als ich mir vorstelle, wie er Danny einen Kinnhaken verpasst hat. „Aber das ist alles völlig anders, als du glaubst.“
Sie seufzt. „Natürlich war es nicht okay, dass er Danny verprügelt hat, aber ich glaube, das hat er vielleicht auch selbst provoziert. Vermutlich gab es keine andere Lösung, sie haben beide so ein lebhaftes Temperament!“ Sie lacht und ich blicke sie entsetzt an. „Männer, was? Deswegen lieben wir sie!“
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