Am nächsten Morgen ist mir mein Hausarrest völlig egal. Ich verlasse den Hof noch früher als sonst, um meiner Mutter nicht zu begegnen, und reite sofort zur Ranch rüber. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag gar nicht aus meinem Bett gekommen, aber irgendwann muss ich schließlich wieder zur Schule gehen, außerdem ist es eine Gelegenheit mehr, Danny zu demonstrieren, wie wenig mir seine Meinung bedeutet.
Auf dem Weg denke ich daran, dass er meine künftigen Fluchtversuche vereiteln könnte, indem er mein Sattelzeug manipuliert oder verschwinden lässt oder sich an meinem Einhorn vergreift. Aber Luna beruhigt mich mit einem Schnauben und versichert mir, dass er es nicht wagen wird.
„Ich wusste, dass ein kleiner Rebell in dir steckt!“, sage ich grinsend und habe seltsamerweise überhaupt kein schlechtes Gewissen. Es gibt so viel Wichtigeres in dieser Welt als Hausarrest. Vielleicht wäre ich nicht so mutig gewesen, wenn nicht die Gefahr bestanden hätte, dass ein Drache die Davis Ranch niederbrennt – und sei es, indem er aus Versehen hustet. Oder wenn der Vampir nicht aufgetaucht wäre. Oder wenn ich das Phantom nie mehr wiedergesehen hätte. Ich könnte mich wahrscheinlich glücklich schätzen, wenn Hausarrest mein größtes Problem wäre. Wenn ich ehrlich bin, ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Einmal mehr fehlt mir Andy, seine Schulter zum Anlehnen, seine aufbauenden Worte, seine Stimme, seine Küsse.
Ich versuche, mich auf den Weg zu konzentrieren. Er kommt mir kürzer vor als sonst, aber das kann daran liegen, dass ich Luna energisch vorwärtstreibe. Sie hat es eigentlich nicht verdient, so gehetzt zu werden, aber ich komme mir vor, als ob ich fliehen müsste. Ich entschuldige mich bei ihr und lasse sie auf der etwas abgelegenen Weide bei den anderen Einhörnern.
Dann mache ich mich auf die Suche nach Robin, um ihn nach Clip zu fragen. Er begrüßt mich mit einem Grinsen, das mir etwas Ruhe zurückgibt.
„Hat er dich also doch gehen lassen?“, fragt er. „Ich war überzeugt, ich müsste erst mein Schwert ziehen und dich von schmiedeeisernen Ketten befreien!“
„Sagen wir, ich konnte sie selbst sprengen!“, antworte ich.
Er pfeift. „Corazón, ich erkenne dich nicht wieder!“ Ich bin mir nicht sicher, ob er es mit Bewunderung oder Sorge sagt, vielleicht, weil er selbst nicht weiß, was überwiegt.
„Lass uns anfangen!“, sage ich, aber da wird sein Blick finster.
„Oscar ist heute noch nicht aufgetaucht. Ich weiß nicht, was der sich denkt, heute sollten die Fohlen ihre Brandzeichen bekommen. Ich brauche Stunden, wenn ich sie allein von den Stuten trennen muss, und Clip wartet auf sein Frühstück!“ Er setzt sein charmantestes Lächeln auf. „Kannst du mir vielleicht helfen, Querida?“
Ich verschiebe das Training mit meinen Pferden auf später und gehe mit ihm zu den Paddocks. Er hat das Brenneisen schon an der Wand stehen und wirft mir ein Lasso zu.
„Es wird schwierig für uns beide allein werden, du wirst die Pferde wahrscheinlich schlecht halten können – und ich glaube nicht, dass du das Eisen nehmen willst, oder?“ Er grinst frech und ich lehne dankend ab.
Wir beschließen, zunächst die Fohlen von der Herde getrennt einzupferchen und versuchen, sie einzeln herauszufangen. Es ist keine leichte Arbeit, weil sie ihren Müttern kaum von der Seite weichen und die Stuten nervös von einer Ecke in die andere traben. Nach ein paar Runden muss ich erst mal zu Atem kommen und mache eine Pause.
„Wie hast du das eigentlich vorher gemacht?“, frage ich. „Also ich meine, als Oscar noch nicht da war …“ Ich lehne mich an den Holzzaun und suche am Boden nach meiner Wasserflasche.
Robin setzt seinen Hut ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Mit meinem Vater“, sagt er. „Aber er sieht es nicht ein, mir zur Hand zu gehen, jetzt, wo er jemanden dafür angestellt hat. Er kümmert sich fast nur noch um die Abfertigung der Kunden und Reitschüler.“
Ich trinke in großen Schlucken und nicke dabei, ohne abzusetzen. Ich will ihn nach dem Drachen fragen, aber aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sein Gesicht versteinert. Er deutet über meine Schulter hinweg und mich befällt eine böse Ahnung, was mich erwartet. Bevor ich mich durchgerungen habe, nachzusehen, höre ich Danny über den ganzen Hof brüllen.
„Das ist das letzte Mal, dass du deinen Willen durchgesetzt hast, junges Fräulein! Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du um eine Privatschule betteln!“ Er wirft die Autotür zu und kommt mit schnellen Schritten auf mich zu. Meine Mutter redet auf ihn ein, aber sie ist viel langsamer und schafft es nicht, ihn einzuholen. Bis er in meiner Nähe ist, beschimpft er mich viermal und Robin gleich mit. Ich weiche instinktiv ein Stück zurück und suche nach einer Fluchtmöglichkeit – hinter mir sind die Pferde, vor mir der Zaun. Ich kann mich unsichtbar machen, sage ich mir; ich will mein Geheimnis eigentlich nicht verraten, aber wenn ich muss, werde ich verschwinden.
„Habe ich mich vielleicht undeutlich ausgedrückt oder ist deine Auffassungsgabe zu beschränkt, um mich zu verstehen?“ Er macht sich nicht die Mühe, das Tor zu öffnen, sondern springt direkt über den Zaun. Das verschafft ihm wieder etwas Vorsprung vor meiner Mom. Als ich ihm nicht antworte, wird er noch lauter.
„Ist dir eigentlich klar, dass du alles, was wir für dich tun, mit Füßen trittst? Bedeutet dir deine Mutter vielleicht so wenig, dass es dir scheißegal ist, was sie sagt? Du musst doch selten dämlich sein, wenn du noch eine Strafe riskierst, um hierher zu kommen!“
Er spuckt das Wort aus wie Gift und tritt mit dem Fuß in den Sand, dass er mir beinahe in die Augen fliegt.
„Es reicht!“, sagt Robin und baut sich schützend vor mir auf. Aber Danny schafft es, sich an ihm vorbeizudrängen. Jetzt ist nichts mehr zwischen uns. Ich zwinge mich, ihm in die Augen zu sehen, mit allem Stolz, den ich aufbringen kann. Er schlägt mich tatsächlich mit der flachen Hand ins Gesicht. Während ich ihn entsetzt anstarre, packt er mein Handgelenk und dreht es mir grob auf den Rücken. Dann stößt er mich vorwärts, während er mich noch immer anschreit. Ich winde mich aus seinem Griff, stolpere ein paar Schritte und blicke mich panisch um.
Aus dem Augenwinkel sehe ich Oscars silbernen Jeep vorfahren; Señor Davis kommt aus dem Haus und ruft etwas. Auch die Stimme meiner Mutter kann ich hören, aber sie klingt weit weg. In meinen Ohren rauscht mein eigenes Blut vor Panik, die seine Berührung auslöst. Ich muss verschwinden, denke ich, ich muss weg! Sofort!
Plötzlich wird Danny mit Wucht von mir fortgerissen. Er geht zu Boden, ich bin frei. Ich kämpfe um mein Gleichgewicht und fange mich nach ein paar wackeligen Schritten.
Robin fragt mich, ob alles okay ist. Danny liegt im Sand, und Blut läuft ihm aus Mund und Nase. Jetzt ist meine Mutter bei ihm, ich komme mir immer noch vor wie in einem schlechten Film.
Robin belegt Danny mit den schlimmsten Flüchen, während meine Mutter ihm aufhilft und sich an ihn klammert, als er nochmal auf uns losgehen will. Auch Danny hat seine Sprache wiedergefunden und beschimpft Robin als Ausländer und droht, ihn zu verklagen. Meine Mutter bringt ihn zurück zum Wagen und widmet mir noch einen letzten besorgten Blick. Einen Moment später sind sie verschwunden, aber Robin läuft ihnen bis zum Tor hinterher und macht deutlich, dass er sie nie wieder hier sehen will.
Ich blicke in schockierte Gesichter. Celeste Davis und ihre Schwester stehen in der Tür, die Hände an die Lippen gepresst. Maya versteckt sich wimmernd hinter ihrer Mutter, Jeremy Davis starrt seinen Sohn an, unfähig, ihn für sein Verhalten zu maßregeln. Direkt neben mir, auf der anderen Seite des Zauns, steht Oscar. Auch sein Blick ist fassungslos, aber er richtet sich nicht auf mein Gesicht, sondern auf meine Füße. Als ich ihm folge, um zu sehen, was er anstarrt, bemerke ich erschrocken, dass ich zur Hälfte unsichtbar geworden bin; erst langsam materialisiere ich mich wieder.
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