Eadgar blinzelte das Blut fort, um seinem Blick standzuhalten. Er wusste, dass Crain niemals an ihrer Seite kämpfte. Seine Aufgaben überstiegen das hier bei Weitem.
„Geh zu den anderen“, wiederholte er nun schon zum zweiten Mal. Dann schlug er seinen Kragen nach oben und hob den Stab, als ob er einen Spaziergang machen wollte. „Morgen Nacht holen wir uns die kleine Vampirin und fahren durch das Portal. Aber jetzt muss ich erst mal etwas trinken.“
* * *
Der Jäger erwartete sie in der Finsternis. Er wusste, sie würden sich nicht damit begnügen, in der Kirche auf ihn zu lauern. Zu groß war ihre Angst vor einem Feuer, das er legen könnte oder davor, dass er bis zum Morgengrauen hier draußen ausharrte. Natürlich hatten sie noch die Wölfe, die sie am Tage beschützten. Aber sie waren dann nicht halb so stark wie im Mondlicht.
Der Rappe schnaubte und der Jäger ließ ihn ein paar Schritte rückwärtsgehen. Die Hecke, in der sie sich verbargen, gehörte zu einem leer stehenden Haus. Die Vampire hatten sich ihr Versteck gut gewählt, fast einen Monat hatte er suchen müssen, bis er sie dieses Mal fand. Bis dahin hatte er nur eine Hand voll von ihnen zur Strecke gebracht; damit konnte er kaum ihre Vermehrungsrate halten.
Ihre neuen Fähigkeiten gaben ihm Rätsel auf. Mehr als einmal war er einem von ihnen über den Fluss gefolgt. Sein Hengst musste dazu seine Schwingen gebrauchen, aber der Vampir lief geradewegs über die Wasseroberfläche. Gut möglich, dass sie inzwischen auch Häuser betreten konnten, selbst wenn sie nicht eingeladen wurden. Der Jäger verbiss sich einen Fluch. Die Situation geriet außer Kontrolle.
Er sah, wie fünf von ihnen aus der Pforte schlichen, legte einen Bolzen auf die Armbrust und spannte den Hahn. Mit dem Schuss würde er sich verraten, und sie waren schneller und aufmerksamer geworden. Der Hengst spannte die Muskeln an, um sofort nach oben starten zu können. Der Jäger zielte. Er legte auf den Vampir an, der am weitesten von der Gruppe entfernt war und in eine völlig andere Richtung blickte. Vielleicht würde er noch eine zweite Chance bekommen, wenn sie sein Fehlen nicht sofort bemerkten.
Versuch es nicht!, wisperte der Hengst in seinen Gedanken. Ich werde starten und du verreißt den Schuss.
„Gib mir zwei Sekunden“, flüsterte der Jäger.
Zwei Sekunden zu lang!
Der Jäger ließ die Sehne fahren und der Bolzen surrte durch die Luft. Der Rappe stieß die Hufe in den Boden und hob ab, der Jäger hielt die Vampire im Blick. Fassungslos sah er, wie der Untote, den er ins Visier genommen hatte, dem Geschoss in letzter Sekunde auswich und zur Seite sprang. Er legte noch einmal an und versuchte, die Hände ruhig zu halten, während er dem Hengst die Führung überließ.
Der zweite Schuss traf. Er durchbohrte die Schulter des Vampirs und machte ihn bewegungsunfähig. Der Jäger wusste, dass das Silber ihn zerfressen würde wie Säure. Er triumphierte leise und strich dem Hengst über den Hals.
„Gute Arbeit.“
Dann lenkte er ihn in eine enge Kurve und ließ ihn steil absinken. Sie umflogen die Kirche und hatten nun drei Vampire im Rücken. Vier weitere kamen von der anderen Seite auf sie zu. Der Jäger spannte die Sehne noch einmal, aber wieder waren die Untoten zu schnell. Dann zog er sein Schwert. Der erste Vampir schien nicht zu wissen, dass die Klinge versilbert war. Er zerteilte sich geradewegs selbst, als er auf sie zulief.
Der Hengst stieg auf die Hinterhand, um die Übrigen abzuwehren.
Wir müssen wieder in die Luft, raunte er, es sind zu viele!
Der Jäger sah aus dem Augenwinkel, wie ein weiterer Strom aus der Kirche kam. Sein Triumph war vergessen. Er trieb den Hengst durch die Blutsauger hindurch, aber keiner von ihnen strauchelte. Geschickt wichen sie ihnen aus, um sie dann von hinten zu attackieren. Die Silberklinge trennte einen Kopf und einen Arm vom Rumpf, die anderen blieben unversehrt.
Der Hengst stieg von selbst wieder nach oben und ließ die Angreifer zurück. Sofort griff sich der Jäger die Armbrust. Er schoss zwei Bolzen und danach zwei Pfeile. Aber es hatte keinen Zweck.
Genug für heute, sprach die Stimme in seinem Kopf. Wir haben noch etwas Wichtigeres zu tun. Der Jäger resignierte und ließ die Waffe sinken.
Aus der Luft sah er, wie unter ihnen die schwarze Kutsche dahinjagte. Es machte ihm zu schaffen, dass er ihre Pläne nicht kannte. Der Kontakt zu seiner Königin war abgerissen und damit auch seine wichtigste Informationsquelle.
Wir können ihnen folgen, dachte er einen Moment. Aber der Hengst antwortete nicht und flog stur geradeaus. Der Jäger kam wieder ins Grübeln. Er ahnte, dass die Vampire bald verschwinden würden. Sie hatten eine rätselhafte Fehde mit den Hexen begonnen, die sie bis zum Ende führen würden. Aber sein Auftrag nahm zunächst eine andere Richtung. Er wusste, dass die Königin ihn zurückerwartete. Er hätte die Einhörner längst finden müssen.
Routiniert zogen sie ein paar Schleifen über den Gütern und Höfen der Gegend und suchten die Koppeln und Ställe ab. Alles, was sie fanden, waren Pintos, Mustangs und Quarter Horses. Nicht ein einziges Mal das magische Leuchten, das der Jäger so gut kannte. Bei keinem Pferd hatte er das richtige Gefühl. Das Gefühl, einem wahr gewordenen Traum zu begegnen. Einer so unschuldigen und großmütigen Magie, dass man sie nicht übersehen konnte, wenn man sie einmal gespürt hatte. Weil sie sich jedem offenbarte, der zu ihrem Glauben gefunden hatte.
Als der Horizont sich rot färbte, kehrte er zu dem Hof zurück, wo er seine Suche begonnen hatte. Es war vielversprechend gewesen, aber nichts schien zusammenzupassen.
Er landete abseits, hinter der Scheune, nahm dem Hengst den Sattel ab und verstaute alles im Wagen. Durch die dunklen Scheiben konnte man seine Waffen nicht sehen. Als er die Tür zuwarf, drang ein lautes Poltern durch das Scheunentor.
Der Hengst hob den Kopf und richtete Ohren und Nüstern aus. Der Jäger fragte ihn, was das war, aber die Antwort gefiel ihm gar nicht. Er wagte sich ein paar Schritte heran und spähte durch die Bretter, doch alles, was er sah, war Finsternis. Leise löste er den Riegel – und wurde voller Wucht zurückgeworfen. Das Tor schlug aus und der Jäger stützte sich im Sand auf, während das Ding näher kam. Er schützte das Gesicht mit der Hand, aber die Flamme traf ihn unvermittelt.
Der Hengst riss sich los, um ihn zu schützen. Er richtete seine Flügel auf und wehrte das Untier ab. Eingeschüchtert wich es den Hufen aus und zog sich zurück. Der Jäger sprang auf und warf das Tor zu.
„Das nenne ich eine plötzliche Wendung der Ereignisse …“ Mit seiner unverletzten Hand fuhr er sich durchs Haar, aber es war nur etwas angesengt. Der andere Arm war feuerrot und blasig, Blut quoll an einigen Stellen hervor. Er fluchte und spuckte den Staub aus, in dem er gelegen hatte. Dann lud er den Hengst auf und startete den Wagen. Er war froh, nicht schalten zu müssen, und lenkte das Auto mit der linken Hand vom Feld, während er die rechte eng an seinen Körper presste.
„Eine interessante Wendung“, murmelte er noch immer, und seine Gedanken tanzten wie die Sterne vor seinen Augen.
Meine Begegnung mit Danny ist ernüchternd. Ohne mich um eine Erklärung zu bitten, erteilt er mir zwei Wochen Hausarrest, in denen ich lernen soll, mich auf die Schule zu konzentrieren – und meine Mutter gibt dazu ihr stilles Einverständnis. Ich habe nicht mehr die Ausdauer, ihm zu widersprechen, und lasse ihn einfach im Flur stehen. Dass er mir aufgrund meiner Frechheit nicht wutentbrannt auf mein Zimmer folgt, verdanke ich wahrscheinlich Moms guter Zurede.
Anstatt mich über ihn oder seine Strafe zu ärgern, kreisen meine Gedanken den Rest der Nacht um den Drachen Clip, Joice und den schwarzen Reiter. Beim Versuch, die Ereignisse des Tages in eine sinnvolle Konstellation zu bringen, schlafe ich irgendwann ein.
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