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Berti und Cito liefen von Deckung zu Deckung, ein paar hohe Grashalme, ein kleines Gebüsch oder eine Pflanze, alles war ihnen recht. Sie kamen sich schnell vor, Citos Bein behinderte ihn kaum. Allerdings war es im Moment nicht ganz so belastbar wie sonst. Sie hatten schon zwei Pausen eingelegt, damit Cito sich etwas ausruhen konnte.
„Geht es wieder? Meinst Du, wir schaffen es noch, bevor es dunkel ist, zu Custos zu kommen? Wenn nicht sollten wir uns jetzt einen Schlafplatz und etwas zu essen suchen.“ Fragte ihn Berti.
Cito überlegte kurz, bevor er antwortete. „Laufen könnte ich noch, aber im Dunkeln zur Höhle hochklettern? Ich weiß nicht, vielleicht wäre es besser, das erst morgen früh zu versuchen.“
„Ja, das habe ich mir gedacht. Und außerdem habe ich Hunger, Du nicht?“
Cito nickte.
„Bleib hier, ich habe vorhin jede Menge Gänseblümchen gesehen, und Löwenzahn. Ich hole uns etwas davon, Du ruhst Dich aus!“ Berti verschwand und Cito schaute sich nach einem Unterschlupf für die Nacht um.
Im nahen Gebüsch fand er, geschützt unter Blättern, eine Mulde. Sie war groß genug für Berti und ihn, und es war ja nicht so kalt, für eine Nacht würde es gehen. Er legte sich hin und wartete auf Berti. Wie es Maxi jetzt so geht, dachte er. Hoffentlich ist alles in Ordnung. Er vermisste sie.
Als er Berti kommen sah, einen Berg Blumen und Blätter hinter sich herziehend, pfiff er leise, um auf sich aufmerksam zu machen.
Berti drehte sofort in seine Richtung ab. Cito sah aufmerksam zu, wie Maxis Bruder die Nahrung transportierte, clever, er hatte einen langen Halm um alles geschlungen, und zog sie einfach hinter sich her.
Nach dem Essen kuschelten sie sich zusammen in die kleine Mulde und schliefen praktisch sofort ein.
Ohne Störung verbrachten sie die Nacht.
Heute bin ich Zwanzig geworden, Priesterin, Prophetin und Heilerin.
Noch zweimal müssen wir uns, wegen der Hunde, verstecken. Aber sie kündigen sich mit ihrem Gebell immer lautstark an, so dass genug Zeit bleibt, ein Versteck zu finden. Außerdem gibt es an diesem Mauerabschnitt eine Menge Löcher, in die man schnell mal hineinspringen und sich verbergen kann. In wirklicher Gefahr sind wir daher nie.
Endlich sehe ich die Wand aus Baumstämmen, dahinter liegt das Land, das MUS mir im Traum gezeigt hat. Wir laufen eine Weile daran entlang und entfernen uns dabei von der schützenden Mauer. An einer Stelle hängen Efeuranken bis zum Boden, das eignet sich bestimmt ausgezeichnet, um darüber zu klettern. Ein Stück weiter ist eine kleine Lücke zwischen den Pfosten. Ich quetsche mich hindurch und stehe mitten in einem Wald aus Efeu.
„Maxi,“ ruft Amo, „Das ist zu eng hier für mich, ich versuche an den Ranken, die wir vorhin gesehen haben hinauf zu klettern, ok?“
Ich sage ja und schaue mich dann nach einem Pfad um. Aber es scheint hier keinen zu geben. Ich beschließe, querfeldein in Richtung See zu laufen. Ich kann das Wasser deutlich riechen, also wird es nicht schwer sein, den Weg zu finden. Erst ist es ein bisschen eng, ich muss mich durch die Ranken drücken, aber dann bilden die Efeuranken, in dem sie sich erheben, ein grünes Dach über mir. Alles hier ist in ein milchig grünliches Licht getaucht. Man hat ein unwirkliches, fast schon unheimliches Gefühl. Der Boden ist sandig und mit trockenen, abgestorbenen Blättern übersät. Es raschelt bei jedem Schritt, aber auch wenn man sich nicht bewegt, denn hier unter dem Efeu herrscht anscheinend reges Leben. Ich sehe einige Heuschrecken, eine Kolonne Ameisen und ein paar Raupen.
Kurz darauf stehe ich endlich am Wasser. Ich nehme versuchsweise einen Schluck, es schmeckt angenehm, leicht süßlich. Leider kann ich dennoch nicht wirklich etwas von der Umgebung sehen, da das Efeu ins Wasser hinein ragt und mir den Blick versperrt. Ich werde wohl an den Ranken hinauf klettern müssen. Gegenüber des Wasserfalls komme ich nach oben, von hier habe ich einen fantastischen Blick über das ganze Gelände. Der See ist fast oval, das Wasser herrlich klar, es schwimmen rotgoldene Fische darin. Auf der gegenüberliegenden Seite erhebt sich der untere Teil eines Baumstammes mit seinen Wurzeln, der von einem Berg umgeben ist, der bis an die Mauer reicht. Und dann sehe ich es - das Bambuswäldchen aus meinem Traum.
Es erstreckt sich vom Rand des Berges bis zum Palisadenzaun und sieht mit seinen gefiederten Blättern wunderschön aus. Ich kann mich gar nicht satt sehen. Ein großes Glücksgefühl durchströmt mich, alle meine Sinne sagen mir, ich bin in meiner neuen Heimat angekommen.
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Am nächsten Morgen brauchten Cito und Berti nicht lange, um zur Mauer zu kommen. Sie kletterten zum Eingang hinauf und folgten dem Tunnel der Maus, bis in Custos´ Reich. Dieser saß allein neben der Quelle und machte einen betrübten Eindruck, Anorex und Tara schienen nicht da zu sein.
„Tara ist zurückgegangen, die Katastrophe ist schon eingetreten, es sieht furchtbar aus von hier. Ich habe Anorex gebeten, sie zu begleiten.“ Erklärt Custos, auf ihre Nachfrage.
„Was machen wir denn jetzt? Sollen wir trotzdem hingehen?“ Cito war sich etwas unsicher.
„Wir gehen und helfen natürlich!“ Sagte Berti im Brustton der Überzeugung. „Jede helfende Maus zählt, es hat Verletzte und Tote gegeben, wir müssen helfen!“ Cito, und auch Custos nickten.
„Ja, aber seid vorsichtig, dort unten sind sie bestimmt alle ganz kopflos. Nicht, dass euch auch noch etwas zustößt.“ Ermahnte sie Custos. Die beiden Jungmäuse nahmen noch einen Schluck aus der Quelle und machten sich auf den Weg zur Stadt, oder was noch von ihr übrig war.
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Eine Maus winkt mir von der Spitze des Berges aus zu. Amo, mein Vater, ist auch schon da. Ich deute auf den Bambuswald und er nickt, wir werden uns dort treffen. Ich schaue mich in Ruhe weiter um. An der linken Seite des Berges fließt ein Bach, der mit einem Wasserfall endet, das Wasser fällt leise rauschend in den See. Es ist ein murmelndes, beruhigendes Geräusch. Bevor das Wasser nach unten fließt, durchläuft es eine steinerne Mulde, so dass ein kleiner Badeteich entstanden ist. Pflanzen und Gräser säumen den Bach. Es gefällt mir sehr, wie eigentlich alles was ich hier sehe. Ich kenne ja nur die Stadt, eigentlich nur einen kleinen Teil davon, aber das hier kommt mir dagegen wie ein Paradies vor.
Das Ufer gegenüber des Berges ist flach und grasbewachsen. Vereinzelt erheben sich Pflanzen und hohe Gräser. Ich sehe Strandhafer, Haferschmiele, rotes Straußgras, Reitgras und Löwenzahn, Gänseblümchen, Taubnessel und Brennnessel. Auch ein großes Distelgewächs kann ich erkennen. Ich bin froh, dass ich bei den Beschreibungen der Pflanzen aufmerksam aufgepasst habe. Die Mauer ist mit wildem Wein bewachsen, es hängen zum Teil kleine Trauben daran. In der linken Ecke gibt es einen weiteren Teich, doch der ist fast völlig zugewachsen und mit Unrat gefüllt. Daher ist er für mich im Moment eher uninteressant, aber vielleicht kann man eines Tages etwas daraus machen. Aber das ist jetzt nicht wichtig, ich muss weiter zu Amo.
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Als Berti und Cito von der Mauer kletterten, stießen sie keine fünf Mauslängen entfernt, auf Josselyn und ihre Töchter.
„Mama, was machst Du denn hier?“ Berti wunderte sich.
„Wir waren draußen, wie immer, seit Ihr fort seid, als plötzlich die Stadt einstürzte, sollten wir vielleicht zurückgehen? Du stellst vielleicht Fragen, Berti. Wie ich sehe, geht es Dir gut. Nur zur Information, uns auch!“ Sie schaute ihren Sohn ins Gesicht, auf dem sich ein kläglicher Ausdruck breitmachte.
„Aber, Mama, ich hatte Euch einfach nicht hier erwartet.“
Josselyn drückte ihren Sohn liebevoll an sich und lächelte ihm zu. „Schon gut, aber was machen wir jetzt, habt Ihr drüben was gefunden?“
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