1 ...6 7 8 10 11 12 ...22 „Doch, schon. Wenn ich sie erschrecke, fallen sie bewusstlos um“, grinste Jasper schnaufend. „Aber das wollen wir ja nicht. Mir ist das anfangs mal passiert, ich wäre vor Schreck fast selbst mit umgefallen.“
„Bewusstlose Hühner mit in den Himmel gestreckten Krallen kommen bei den Kunden bestimmt nicht gut an“, lachte Lars und zwängte sich durch die Stalltür. Sabine folgte ihm und stellte erstaunt fest, wie hell es drinnen war. Aber das lag an dem Oberlicht im Dach. Jasper folgte ihrem Blick und erklärte, dass er seine Hühner am liebsten in einer natürlichen Umgebung hielt. Also auch mit Tageslicht.
Dunkle Ecken gab es auch, dort befanden sich die vielen Nester. Lange Stangen waren ebenfalls vorhanden. Auch die Tränken mit frischem Wasser waren groß und sauber. Die Hühner sahen gesund und wohlgenährt aus. Sie pickten auch nicht aneinander herum, denn man sah kein zerfleddertes Federkleid.
„Glückliche Hühnchen“, meinte auch Lars, der zur Freifläche vorgegangen war. Sabine stiefelte hinterher und musste ihm recht geben. Das Areal war sehr groß und noch dreimal unterteilt. Jasper folgte ihrem Blick.
„Die Flächen müssen sich vom Scharren erholen. Deswegen dürfen die Hühner immer nur in ein Areal, und wenn sie das Gras dort gefressen oder weggescharrt haben, kommen sie in das nächste“, erklärte er.
„Sie haben in jedem Areal viel Platz“, lächelte Sabine erfreut.
„Das will ich meinen. Legebatterien finde ich erbärmlich und ganz schrecklich. Hier, im aufgeweichten Boden, picken meine Damen nach Würmern und Larven. Trotzdem muss ich noch zufüttern, natürlich.“
Lars hatte sich schon auf den Boden gelegt und ein paar Hühner abgelichtet. Sogar den Hahn, einen stolzen dreijährigen Gesellen, der seine Hennen gut im Griff hatte, hatte Lars erwischt.
„Der wird sich toll machen auf dem Bild. Den und zwei bis drei Hühner, alle grinsend und lebensfroh. Das müsste reichen.“ Stöhnend erhob sich Lars und wischte sich Hühnerdreck von der Jacke.
„Jetzt hast du es leichter, du musst ja nur noch Jasper fotografieren. Und der rennt dir nicht gackernd davon“, tröstete Sabine. „Oder doch?“
„Heute nicht. In den neuen Gummistiefeln kann ich nicht rennen.“ Jasper führte seine Gäste aus dem Stall. Sabine atmete auf. Da drinnen war es ganz schön laut. Sie bekam schon Kopfschmerzen davon. Auch ihr Magen fühlte sich recht flau an.
Lars machte Fotos von Jasper, der in beiden Händen Eier hielt. „Stell dich mal dort herüber, zwischen Haus und Stall. Damit ich beides aufs Bild kriege“, rief Lars und knipste.
„Augenblick, ich habe da noch eine Idee.“ Sabine bückte sich, hob etwas auf, und ging zu Jasper herüber, der sich nicht mehr rühren durfte, weil er die perfekte Haltung eingenommen hatte.
Sabine trat ganz nah an ihn heran, reckte sich etwas und steckte ihm eine Hühnerfeder ins Haar. Lars lachte zustimmend.
Jasper sah Sabine tief in die Augen. Einen Moment standen sie sich so nah gegenüber, dass ein Schürzen ihrer Lippen ausgereicht hätte, um sich zu küssen.
„Ich ... ich dachte, das macht sich bestimmt gut“, stammelte Sabine und errötete wieder heftigst.
„Bestimmt“, murmelte Jasper und errötete seinerseits, wenn auch nicht ganz so tief.
Sabine trat unsicher einen Schritt zurück, schluckte schwer, und nahm ihren Platz hinter Lars wieder ein. Ihr Herz schlug so sehr, dass sie sicher war, dass die beiden Männer es hören mussten.
„Ich denke, ich habe alles“, erklang die Stimme von Lars durch das Rauschen in Sabines Ohren. Sie bekam kaum mit, was die beiden Männer noch besprachen. Dann schüttelte ihr jemand die Hand. Nur langsam kam sie wieder zu sich. Das Rauschen blieb jedoch. Auch der kalte Schweiß, der ihr ausgebrochen war, strömte weiter. Sabine zitterte wie Espenlaub. Ihre fahle Gesichtsfarbe ließ Jasper alarmiert näher kommen.
„Sabine! Was ist denn?!“, rief er bestürzt.
„Ich weiß nicht ... ich habe so einen Hunger ...“
„Blutzuckersturz. Ich habe es ja befürchtet. Diese blödsinnige Diät!“
Ehe Sabine sich versah, hatte Jasper sie untergefasst und in sein Haus geschleift. Dort schob er ihr ein Stück Traubenzucker in den Mund und schenkte ihr ein Glas Kakao ein.
„Trinken“, befahl er knapp und machte sich an seinem Kühlschrank zu schaffen.
Sabine zerkaute den Traubenzucker und griff nach dem Glas mit dem Kakao. Fast hätte sie es fallenlassen. Sie stürzte den Inhalt schnell herunter. Schade, dachte sie, dass er ihr nicht etwas anderes hingestellt hatte. Der Kakao schmeckte fast wie einer von ihren Drinks. Und die konnten ihr langsam gestohlen bleiben!
Jasper stellte eine Packung Kekse vor sie hin und kochte Kaffee. Dann holte er Tassen, Untertassen, Kuchenteller und zwei Gabeln aus den Schränken. Und dann stellte er ein Tablett auf den Tisch, das Sabines Augen sofort groß und rund werden ließ.
Ein großes Papptablett mit Kuchen, alle möglichen Sorten. Mit Marzipan, Creme, Schokolade, Aprikosen- Himbeer- oder Erdbeerfüllung, mit Sahne, ohne Sahne, Schokoladenstreuseln ...
„Das ist das Schönste, was ich je im Leben gesehen habe“, flüsterte Sabine. Das Zittern verging bereits.
„Dann greif zu!“ Jasper zog sich ein Stück mit Himbeercremefüllung auf den Teller. Sabine zögerte.
„Aber ... aber meine Diät! Ich habe doch so gut durchgehalten ...“
„Durchgehalten? So ein Blutzuckersturz ist keine Bagatelle! Was wäre denn gewesen, wenn dir das alleine in deinem Haus passiert wäre?“
„Es liegt nur daran, dass ich nicht genug getrunken habe. Deshalb ...“
„Quatsch! Dein Körper reagiert auf diese Gewaltkur so. Du kannst nicht gleich vom fünften Gang in den ersten schalten, das macht das Getriebe nicht mit. Du hättest vorher von Woche zu Woche weniger essen müssen. Aber so? Unmöglich. Das hält keiner aus. Und jetzt iss.“
Sabine dachte an Sascha. Sie sah sein kritisches Gesicht vor sich, seinen genervten Blick. Was würde er wohl zu dieser Kuchenplatte sagen? Die Lippen zusammenpressen und sich mit einem eiskalten Gesichtsausdruck von ihr abwenden würde er. Sich Frauen wir Britt zuwenden.
Sabine sah Jasper an. In seinem Gesicht stand nur freundliche Besorgnis. Er hatte gesagt, sie müsse gar nicht abnehmen. Sein Blick war vorsichtig und abschätzend. Was war Sabine wichtiger, fragten Jaspers Augen, die Anerkennung ihres abwesenden Partners oder seine? Der sie so mochte, wie sie war?
Sabine ergriff die Gabel und zerrte sich das Stück mit Marzipan und Schokoladencremefüllung auf den Teller. Jasper lächelte erfreut.
Noch zitterten ihre Hände etwas, aber Sabine schaffte es, die Gabel zum Mund zu führen. Oh, was war das für ein herrliches Gefühl! Die süße Creme verteilte sich in ihrem Mund, und das Marzipan war frisch und weich. So etwas Leckeres hatte sie noch nie gegessen.
Der Kuchen verschwand mit rasender Geschwindigkeit. Schuldbewusst sah Sabine auf ihren Teller. Jasper goss ihr etwas Kaffee ein.
„Na los, nimm dir ruhig noch ein Stück!“
„Noch eins? Das hier war ja schon total verkehrt!“
„Verkehrt ist nur deine Denkweise. Langsames Abnehmen ist ja in Ordnung, aber solche Hungerkuren richten nur Schaden an.“
„Wenn man Kuchen isst, nimm man aber gar nicht ab, weder langsam noch schnell.“ Sabine entmachtete ihr eigenes Argument, indem sie sich das nächste Stück auf den Teller legte. Jasper grinste.
„Hör sofort auf, so zu feixen!“
Jasper grinste von Ohr zu Ohr.
„Hey!“
„Mit vollem Mund spricht man nicht“, gluckste Jasper hämisch.
Sabine hielt sich die Hand vor den vollen Mund und lachte.
Die beiden tranken über eine Stunde Kaffee und leerten das Tablett bis auf ein einsames Stück mit Quark und Aprikosen. Pappsatt lehnte Sabine sich zurück. Auch Jasper schnaufte.
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