1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Tränen liefen Maja über das Gesicht.
Ratlos sah Cecilia auf den Schrieb. Die Klinik war in Bad Oeynhausen, das war wenigstens nicht weit weg. Sie kämpfte mit sich. Die Aussicht, wenigstens einen ihrer Dauergäste los zu sein, war ziemlich verlockend. Aber wenn es wirklich so schrecklich war in der Klinik?
Die Oma bog mit ihrem Rollator um die Ecke.
»Was habt ihr denn? Schlechte Nachrichten?«
»Die Rentenversicherung will Maja zur Kur schicken.«
»Ja, Reha vor Rente, heißt es bei denen. War eigentlich klar. Aber wieso weinst du denn? Eine Kur ist doch was Herrliches!«
»Nein!«, rief Maja schluchzend und rannte davon. Laufen konnte sie wieder wie ein junges Rehlein seit der Spritze. Aber es ging ihr nicht gut. Sie regte sich wegen jeder Kleinigkeit auf, weinte viel und gestern hatte sie mit fast nacktem Oberkörper auf der Couch ferngesehen. Es wäre ihr so heiß, erklärte sie der peinlich berührten Cecilia. »Ich habe solche Hitzewallungen«, klagte sie ständig.
Und jetzt wurde sie auch noch zickig.
»Ist die immer so?«, fragte nun auch noch die Oma.
»Nein, eigentlich nicht. Erst seit ein paar Tagen. Nun kann sie wieder laufen, aber dafür ist sie ganz merkwürdig drauf.«
»Seit sie wieder laufen kann, ist sie so? Vielleicht hat sie Angst, dass du sie bald rauswirfst?« Die Oma schien davor jedenfalls keine Angst zu haben. Aber die gehörte ja auch zur Familie. Familie wurde man nur schwer wieder los.
»Sie sucht ja selbst nach einer Wohnung. Aber jetzt wird das Amt wahrscheinlich sagen, dass es keinen Zweck hat, weil sie zur Kur geht. Die wollen sicher keine Miete zahlen, wenn die Wohnung Wochen leersteht. Also wird sie wohl oder übel hierbleiben müssen.« Cecilia unterdrückte einen Seufzer. Bestimmt gab es rechtliche Möglichkeiten, eine neue Wohnung durchzusetzen, aber dafür fehlte ihr die Energie. Sie kam zu nichts mehr.
Sie wusste auch, warum.
»Du musst die Büsche noch schneiden, das macht man jetzt im Herbst.« Die Oma ließ nicht locker. Im Haus war es ihr nicht sauber genug. Und vor zwei Tagen war ein großes Paket mit ihren persönlichen Sachen gekommen. Es war zwar vor allem nur Kleidung, aber wo sollte Cecilia die unterbringen? Nun stand im Heizungskeller ein Kleiderschrank. In Omas »Kellerverlies« war dafür kein Platz mehr gewesen.
Jeden Morgen um sieben musste Cecilia in das »Verlies« hinabsteigen und ihrer Oma beim Anziehen helfen. Die Stützstrümpfe waren dabei das Schlimmste. Die waren so eng, dass Cecilia sie nur Millimeter für Millimeter in die Höhe zerren konnte und ihre Oma des Öfteren versehentlich kniff. Sie war danach immer ganz erschöpft und zittrig von den »Aua!« Rufen. Die Oma konnte dabei nur wenig helfen. Steckte Oma Heidi dann endlich in den Strümpfen, musste noch das Korsett angelegt und festgezurrt werden. Die Oma war kein Leichtgewicht und Cecilia schwor sich, im Alter nicht durch Übergewicht so unbeweglich zu werden und sich einen kaputten Rücken einzuhandeln. Sie sah ja bei Maja, wie das war.
Ohne das Korsett litt Oma Heidi sehr unter Rückenschmerzen, aber sie nahm auch mit Korsett noch ab und zu starke Schmerztabletten ein. Teilweise dieselben, die Maja jetzt schluckte.
Gegen acht gab es dann Frühstück. Normalerweise war das Frühstück für Cecilia die »Belohnung« dafür, dass sie schon zwei bis drei Seiten geschrieben hatte, aber daran war nicht mehr zu denken. Wenn der Garten und das Haus in Ordnung waren, würde Oma Heidi hoffentlich nicht mehr meckern, und Cecilia hatte wieder mehr Zeit.
Sie machte also das Frühstück, kochte ihrer Oma ihren Malzkaffee und hörte sich an, was sie an diesem Tag noch alles zu tun hatte.
»Es liegen Wollmäuse in den Ecken. Du musst auch einkaufen. Du hast ja keine Margarine mehr.«
»Ich bevorzuge Butter, Oma.«
»Viel zu fett! Ich muss auf mein Cholesterin achten!«
»Ja, Oma.«
»Bei deinen Tomaten musst du die Triebe ausgeizen, wenn du da etwas Anständiges ernten willst. Da solltest du nächstes Jahr dran denken. Die kaputten Blumen müssen auch langsam raus. Und dein Rasen ... der viele Löwenzahn! Den musst du rausstechen!«
»Ja, Oma!«
»Stell doch einen Gärtner ein!«
»Gärtner?«
»Ja, du hast doch von solchen Sachen keine Ahnung!«
»Ich habe eben kaum Zeit, um mich hier um alles zu kümmern. Aber gleich einen Gärtner einstellen ...«
»Zeit? Natürlich hast du Zeit!«
»Ich habe noch einiges zu schreiben, Oma!«
»Na und? Da kannst du dir die Zeit doch frei einteilen!«
»Nein, so leicht ist das nicht. Der Verlag hat mit einen Zeitrahmen gegeben.«
»Na, dann sollen die das Buch eben etwas später rausbringen!«
»Das ist alles nicht so einfach! Es gibt ein Verlagsprogramm. Bücher kommen für gewöhnlich im Frühjahr und im Herbst heraus. Wenn ich etwas schreiben soll, dann beantragen die einen Titelschutz, damit sie schon für das Buch werben können, bevor es erschienen ist. Aber der Titelschutz gilt nur für sechs Monate. Wenn in der Zeit nichts veröffentlicht wird, verfällt er wieder, und irgendwer könnte sich dann den Titel einfach schnappen!«
»Na ja. Das kriegst du schon hin.«
Wie Cecilia das hinbekommen sollte, wusste sie nicht. Die liebe Oma ließ ihr keine Zeit zum Schreiben. Cecilia bemühte sich, die vielen bemängelten Dinge zu richten und hoffte dann auf etwas mehr Freizeit. Immerhin war der Kellerraum nun fertig, auch wenn er der Oma nur teilweise gefiel.
»Den hast du ja schön und gemütlich eingerichtet, aber es ist und bleibt ein Kellerverlies.«
Nun, Cecilia konnte es nicht ändern. Wenigstens gab es da unten eine Dusche, gleich neben der Sauna. Der bestellte Duschhocker kam wahrscheinlich schon morgen.
»Ich grabe schon einmal die alten Blumen aus«, unterbrach die Oma Cecilias trübe Gedanken.
»Das kannst du doch nicht, mit deinem Rücken!«, protestierte die.
»Die müssen aber langsam mal raus, die sehen ja furchtbar aus! Was sollen denn die Nachbarn denken!«
»Die sehen durch die Hecke nichts, aber wenn es sie stört, sollen sie halt woandershin gucken!«, Cecilia wurde langsam sauer.
»Man muss sein Haus und seinen Garten ordentlich halten!«
»Du lässt gefälligst die Finger von den Blumen, verstanden?
»Mir wird aber ganz anders, wenn ich mir das angucken muss!«
Die Oma gewann. Nachdem Cecilia das Laub entsorgt hatte, grub sie die verblühten Blumen aus und warf sie auf den Kompost.
Schon war Zeit fürs Mittagessen. Zwar kochte die Oma das meistens für alle, aber sie benötigte Küchenhilfen. Maja und Cecilia schälten Kartoffeln, enthülsten Erbsen und putzten Gemüse. Dann hatte Cecilia endlich eine halbe Stunde frei. Kaum hatte sie in ihrem Arbeitszimmer den Computer hochgefahren und ihr Schreibprogramm geöffnet, kam von unten empörtes Geschrei.
»Du hast ja gar keinen Soßenbinder!«
»Dann mach doch eine Mehlschwitze, wie früher«, brüllte Cecilia entnervt zurück.
»Mehl hast du auch keins!«, konterte die Oma. Schritte kamen die Treppe hoch. Cecilia lehnte sich resigniert in ihrem Schreibtischstuhl zurück, als die Tür geöffnet wurde. Es war aber nicht die zeternde Oma, sondern nur Maja.
»Lass mal, ich hole den Soßenbinder.«
»Aber doch nicht zu Fuß! Sonst bist du erst morgen zum Abendessen wieder da«, protestierte Cecilia.
»Ich soll mit deinem Auto fahren?«, zweifelte Maja. Cecilia hob verwirrt die Schultern.
»Ja, wieso denn nicht? Du hast doch einen Führerschein und bist früher immer mit dem Auto gefahren!«
»Ja, aber das ist schon so lange her ...« Maja wirkte ängstlich.
Cecilia starrte sie einen Moment lang an. Dann fuhr sie den Computer wieder herunter, stand auf, ging an Maja vorbei die Treppe wieder herunter, und zog sich ihre Schuhe an.
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