»Beide Singles, die machen alles richtig«, brüllte Gabi zurück. »Aber hatten auch harte Zeiten. Gitti hatte sich dummerweise von ihrem Kerl getrennt, weil sie was mit einem Arbeitskollegen angefangen hatte. Das ging nach einem Jahr schief. Seitdem trauert die ihrem Bernd hinterher. Und Ilona war mal mit einem verheiratet, der nur hinter einer Aufenthaltsgenehmigung her war. Der hat sie behandelt, das würdest du nicht glauben. Als er seine unbefristete Erlaubnis hatte, hat er sie verlassen. Ilona sitzt wegen diesem Arsch auf einem Berg Schulden. Sie stottert fast siebzehntausend Euro ab.«
»Ach herrje!«
Gitti und Ilona ließen sich so schwer auf ihre Stühle fallen, dass die Gläser klirrten.
»Na, wieso tanzt ihr denn nicht?«, schrie Gitti.
»Ja, wieso sitzt ihr hier nur rum?«
»Wir unterhalten uns!«
»Ihr seid ja voll langweilig«, hickste Ilona. »Hey, Knackpo! Noch einen Mojito, bitte!« Heftig wedelte sie mit den Armen, um einen Kellner auf sich aufmerksam zu machen.
Lorena tanzte an dem Abend doch noch. Als ein Mann Mitte zwanzig namens Jens sie dazu aufforderte, schubsten sie die anderen regelrecht auf die Tanzfläche und machten zu Lorenas Leidwesen obszöne Gesten mit den Händen. Sie beschloss, besser bald den Heimweg anzutreten. Die Mädels waren ja recht nett, aber betrunken nicht zu ertragen.
»Ich bringe dich nach Hause«, versprach Jens eifrig und holte Lorena ihre Jacke von der Garderobe.
Unterwegs griff er nach ihrer Hand und zog sie zum Strand, wo er sie küsste. Als er sie herunterziehen wollte, lehnte Lorena ab.
»Aus dem Alter, im Sand herumzuknutschen, bin ich heraus. Außerdem ist es dafür zu kalt. Der Sommer ist ja vorbei.«
»Ja, aber ich wohne mit zwei Kumpels in einem Zimmer ...«
»Ich habe ein eigenes Zimmer.« Lorena stieß ihn zurück auf die Promenade und bugsierte Jens in ihr Hotel. Oben im Zimmer ging es schnell zur Sache. Zwar hatte Lorena überhaupt keine Lust auf Sex, aber es gab nicht immer die Gelegenheit, mit einem jungen Mann zu schlafen. Sie wurde ja nicht jünger, und bald würde sie keiner unter vierzig mehr anfasen, befürchtete sie. Außerdem musste sie sich beweisen, dass sie es noch draufhatte. Wenn diesem hier auch mittendrin die Nudel schlaff wurde, dann hatte sie ein Problem.
Jens‘ Nudel wurde aber nicht schlaff. Im Gegenteil, egal, welche Stellung Lorena auch vorschlug, Jens kam nicht, sondern machte immer weiter. Erst nach drei Stunden zuckte er heftig zusammen, krümmte sich, und fiel heftig atmend aufs Bett. Lorena, die vor ihm gekniet und gehofft hatte, es möge irgendwann endlich mal vorbei sein, ließ sich neben ihn fallen. Sie döste nach einer Weile ein, als sie plötzlich wieder seine Hände auf ihren Brüsten spürte.
»Was machst du denn da?«
»Na, nächste Runde!«
»Hä? Quatsch!«
»Wieso denn nicht?«
»Ich will jetzt endlich mal schlafen. Es wird schon hell draußen.«
»Na und? Ist doch Urlaub!«
»Lass mich in Ruhe!«
Beleidigt stand er auf, zog sich an, und verschwand aus ihrem Zimmer. Lorena atmete auf, hängte das »Bitte nicht stören« Schild außen an die Klinke, schloss ab, und legte sich ins Bett.
Maja starrte aus dem Fenster. Wäre es nicht im Erdgeschoss gewesen, sie hätte herausspringen mögen.
Auch wenn alle es für eine gute Idee hielten, sie wollte nicht in diese Psycho-Klinik. Den ganzen Tag mit Leuten zusammen sein, die irgendwelche Probleme hatten, Tabletten schluckten und vor sich hinstarrten, so wie in der Klinik, in der Oliver damals gewesen war? Mit irgendeiner Frau das Zimmer teilen? Olivers Zimmergenosse hatte unter Schlaflosigkeit gelitten und die ganze Nacht in seinem Schrank herumgekramt. Was, wenn ihre Zimmergenossin genauso drauf war? Und manche von denen waren ziemlich aggressiv gewesen und hatten die anderen dauernd angemault. Schöne Aussichten.
Und wo sollte sie nach der Kur hin? In eine eigene winzige Wohnung, die bestimmt nicht im besten Viertel lag? Ganz alleine sein? Lorena und Cecilia hatten schließlich zu tun und konnten ihr keine Gesellschaft leisten.
Und dann kamen wieder die bösen Briefe vom Amt, die ihr Angst machten. Erst zwangen die sie, eine Rente zu beantragen, die sie gar nicht wollte, dann zwang die Rentenversicherung sie, eine Reha-Maßnahme anzutreten, die sie auch nicht wollte, und am Ende bekam sie wahrscheinlich gar nichts, außer wieder Post vom Jobcenter, die sie kaum verstand und deren harsch formulierter Inhalt ihr die Knie weichmachte.
Vielleicht fand sie irgendwann wieder einen mies bezahlten Job, der sie gerade so über die Runden kommen ließ, keinen Spaß machte und sie körperlich über kurz oder lang überforderte.
Wieder kamen Maja die Tränen. In ihr hatte sich eine Schwärze ausgebreitet, die so furchtbar war, dass ihr jeglicher Lebensmut abhandengekommen war. Außerdem hatte sie - nach nur zwei Wochen - schon wieder ihre Tage. Der Bauchschmerz half ihr nicht wirklich über ihre Depri-Phase hinweg.
Sie ließ den Tränen freien Lauf und fächelte sich mit einer Zeitschrift frische Luft zu. Es war so heiß hier drinnen, hatte Cecilia etwas schon die Heizung angestellt? Dafür war es ja wirklich noch zu früh! Aber bestimmt wollte es die Oma warm haben im Keller.
»Was heulste denn schon wieder?« Ausgerechnet die Oma, die Schwäche sofort wahrnahm wie ein Raubtier, kam ins Zimmer gerollert. Sie war so schlecht zu Fuß, dass sie den Rollator auch im Haus benutzen musste. Ständig schleppte Cecilia das Ding die kleine Treppe herunter, damit die Oma zur Hintertür heraus in den Garten gehen konnte. Und dann, wenn die Oma wieder reinwollte, schleppte Cecilia ihn wieder das Treppchen herauf.
Maja fühlte sich in die Ecke gedrängt. Nirgendwo hatte man hier Privatsphäre! Nur die Oma hatte ihr eigenes Zimmer, aber das benutzte die nur zum Schlafen.
»Mir geht’s halt nicht so gut«, schniefte Maja.
»Ach, papperlapapp! Man muss sich auch mal etwas zusammenreißen! Wir haben damals viel Schlimmeres erlebt im Krieg. Und nach dem Krieg war es auch nicht zum Lachen, das kann ich dir sagen!«
Maja schniefte vor sich hin. Was hätte sie auch sagen sollen?
Die Oma schüttelte verächtlich den Kopf und rollerte zurück in die Küche.
Cecilia fegte zur Tür herein, warf die Tüten mit dem Soßenbinder in die Küche und floh wieder in ihr Arbeitszimmer.
»Das lohnt sich nicht, in einer Viertelstunde gibt’s Essen!«, drang die Stimme der Oma hinter der geschlossenen Tür hervor. Von oben erklang ein tiefer Seufzer.
Majas Herz machte einen unglücklichen Hopser, als sie aus dem Fenster den Briefträger angeradelt kommen sah. Hoffentlich war nicht schon wieder Post für sie dabei!
Sie zog sich schnell ihr T-Shirt wieder an und eilte nach draußen, nachdem der Briefträger fort war. Gehalten hatte er hier, und am Briefkasten war er auch gewesen. Hoffentlich war alles für Cecilia.
Mit zitternden Händen öffnete Maja den Briefkasten und holte einen Katalog, Werbung und - Scheiße! - einen Brief der Rentenversicherung hervor. Da war noch ein anderer an sie adressierter Brief, den sie erst einmal mit der restlichen Post beiseitelegte.
Maja las den Brief und brach wieder mal in Tränen aus.
Eine Viertelstunde später saß sie mit Cecilia und Oma Heidi am Küchentisch und befüllte ihren Teller. Die beiden musterten sie unbehaglich. Scheinbar dachten sie, Maja hätte wieder einen ihrer Anfälle von grundloser Traurigkeit.
»Cecilia, kannst du mich in zwei Wochen bitte nach Bad Oeynhausen fahren?«
»Ja, klar. Wieso? Sag bloß ...«
»Ja. Heute kam der Brief.«
»Das ging aber flott«, mischte sich die Oma ein.
»Ja. Die haben die Klinik gebeten, mich vorzuziehen. In zwei Wochen ist ein Bett frei.«
»Und dein Rücken?«, fragte Cecilia besorgt, »mit einem akuten Bandscheibenvorfall kannst du doch nicht da hin?«
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