Maja grinste. So jung war sie ja auch nicht mehr. Aber recht hat die Oma , dachte sie. Ich bleibe auch lieber allein.
So waren die Stunden verstrichen und als Cecilia hereinkam, hatte die ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt. Brummelchen hatte Oma Heidi sie genannt. Diesen Kosenamen kannte Maja noch gar nicht. Sie fand die Oma inzwischen klasse, aber Cecilias Lächeln sah doch noch recht gekünstelt aus. Dass ihr Opa verstorben war, hatte sie mit einem traurigen Nicken quittiert. „Mit dem war sowieso nicht mehr viel los“, hatte die Oma abgewunken und Cecilias Vorräte bemängelt. „So eine riesige Vorratskammer und nichts, was zusammenpassen würde! Wovon ernährst du dich denn bloß?“ Ihre Augen wanderten an der zierlichen Figur ihrer Enkelin herunter. „Du bist viel zu dünn! Kein Wunder. Wie ich schon zu Maja sagte, ihr könnt heutzutage leben, wie ihr wollt. Aber kochen könnt ihr alle nicht!“
Cecilia lächelte gequält.
„Doch, ich kann schon kochen. Ich bin nicht zu dünn. Es sind doch noch Eier in der Speisekammer. Rührei ist doch okay zum Abendessen.“
„Nur Rührei? Nichts dazu? Also, ein Sonntagsessen ist das aber nicht!“
„Heute ist doch auch Samstag!“
„Ja, aber morgen ist Sonntag. Einen Sonntagsbraten habe ich aber nirgendwo gesehen!“
„Sonntags gibt es auch keinen Braten. Wieso auch? Nur weil Sonntag ist? Wir essen ganz normal. Ob Sonntag, Montag oder Mittwoch.“
„Ich zaubere uns schon was“, hatte die Oma geseufzt und sich in die Speisekammer gequetscht. Lautstark hatte sie Cecilias Qualitäten als Hausfrau bemängelt, Dosen aus Regalen geräumt, als „so’n Scheiß“ bezeichnet, und dann neu einsortiert.
Cecilia, die noch nicht einmal Zeit gefunden hatte, ihre Schuhe auszuziehen, hatte Maja verzweifelt angesehen. Die Nacht hatte die Oma auf dem Klappbett verbracht. Maja wusste, sie brauchte jetzt noch dringender eine neue Wohnung als zuvor.
Sie war froh, dass sie zur Physiotherapie musste. So kam sie wenigstens aus dem Haus, in dem nun die Oma regierte.
Cecilia sah Maja hinterher, als sie am Montag den langen Fußweg zur Physiotherapie antrat. Samstag und Sonntag hatte Oma Heidi notgedrungen auf dem Klappbett im Kino schlafen müssen, was ihr nicht zugesagt hatte. Jetzt endlich war Cecilia mit ihrer Großmutter für eine Stunde allein, und diese Zeit würde sie auch nutzen. Sie ließ die Gardine fallen, als Maja am Ende der Straße angelangt war, und auch ihre Maske ließ Cecilia fallen.
„So, jetzt sagst du mir bitte, wieso du hier bist.“
Die Oma seufzte wieder und setzte sich in Cecilias Fernsehsessel.
„Also, dein Opa hat uns verlassen. Und ohne uns groß was zu hinterlassen. Ich kann mir das Leben allein in unserer Wohnung nicht mehr leisten.“
„Wann war denn die Beerdigung? Wieso hast du mir nicht Bescheid gesagt?“
„Beerdigungen sind deprimierend. Ich wollte niemanden dabeihaben.“
Cecilia nickte. Das passte zu ihrer Oma. Ihr plötzliches Auftauchen jedoch nicht.
„Wo sind denn deine Möbel?“
„Das meiste ist auf dem Sperrmüll gelandet. War sowieso nur noch Kram. Herr Menzing sagte, wenn ich innerhalb einer Woche ausziehe, muss ich für den kommenden Monat keine Miete mehr zahlen.“
„Wie hast du das denn geschafft?“
„Herr Menzigs Sohn und ein paar seiner Freunde haben mir geholfen. War im Interesse seines Vaters, dass die Wohnung so schnell wie möglich leer wird. Er will da dringend renovieren und dann neue Mieter rein, Leute mit Geld. Deshalb bin ich jetzt hier.“
„Du hast ja nicht mal einen Koffer dabei!“
„Den konnte ich ja auch nicht schleppen! Ich habe in der Tüte da unten im Korb vom Rollator etwas Wäsche. Und ein Paket mit Kleidung, Schuhen, Fotoalben und Rezeptbüchern habe ich an deine Adresse geschickt. Müsste bald ankommen. Mehr habe ich nicht.“
„Und was sagt Mama dazu?“ Sonst hatte sich Cecilias Mutter von Mallorca aus um ihre Mutter gekümmert.
„Was soll sie dazu sagen?“
„Na ja, hat sie dir nicht ein schönes Altenheim rausgesucht oder so etwas?“
Die Oma fuhr empört zu Cecilia herum. „Altenheim! Wieso denn das? Ich bin doch noch rüstig genug! Ich lege mich doch nicht ins Bett und warte, bis ich sterbe!“
„Davon sagt ja auch keiner was“, knurrte Cecilia. „Es gibt auch Heime für aktive Senioren!“
„Nein. Auf keinen Fall.“
„Und was dann?“
„Ich bleibe erst einmal hier.“
Cecilia schwante Fürchterliches.
„Hier? Aber ich habe gar keinen Platz!“
„So ein großes Haus und kein Platz? Da lachen ja die Hühner!“
„Sieh dich um! Das Kino oben ist meine einzige Übernachtungsmöglichkeit, bis auf die Wohnzimmercouch. Aber auf der schläft momentan Maja. Ein Gästezimmer habe ich nicht. Nur einen Kellerraum könnte ich noch abgeben. Möchtest du im Keller wohnen?“
„Was ist mit deinem Zimmer mit den roten Wänden und diesem ekligen Skelett?“
Aha. Umgesehen hatte sich die Oma also schon.
„Mein Arbeitszimmer? Da schreibe ich!“
„Das kannst du doch auch woanders. Im Keller, zum Beispiel. Du magst es doch düster.“
„So schlecht, wie du Treppen steigen kannst, willst du im Arbeitszimmer oder im Kino wohnen? Die Treppe ins Obergeschoss ist zweimal so lang wie die runter in den Keller.“
„Dann muss ich also im Keller schlafen?“
„Du musst nicht, du kannst.“
„Lässt sich das den heizen?“
„Der Keller ist eigentlich immer schön warm. Der Heizkessel ist gleich neben dem Raum, den ich meine. Aber ich kann dir auch einen Heizlüfter besorgen.“ Der Gedanke an die nächste Stromrechnung ließ Cecilia schaudern.
„Na gut. Dann zeig mir den Raum mal.“ Die Oma erhob sich und schob ihren Rollator in den Flur, wo sie ihn am Fuß der Treppe stehenließ. Cecilia folgte ihr seufzend. Die kleine Treppe in den Keller schaffte Oma Heidi recht gut. Es dauerte nur sehr lange.
„Hier ist es aber nicht sehr warm. Alles gefliest! Da kommt doch keine Wärme an!“
„Hier nicht. Komm.“ Cecilia führte ihre Oma um eine Ecke. Neben der schweren eisernen Brandschutztür gab es eine hölzerne mit einem Oberlicht. Cecilia öffnete sie. Der Raum dahinter diente ihr derzeit nur als Aufbewahrungsort für ein paar kälteempfindliche Topfpflanzen. Die sollten hier den Winter überstehen, aber die konnten ja auch woanders einen Platz finden.
„Hm ... nicht schlecht. Aber auch gefliest. Das wirkt so kalt.“ Die Oma klopfte kritisch gegen die Wand. „Aber warm ist es schon, verglichen mit dem restlichen Keller. Groß genug zum Schlafen ist er auch, der Raum. Aber nur eine Übergangslösung. Auf Dauer müssen wir uns was einfallen lassen.“
Auf Dauer? Wollte die Oma etwa endgültig ihren Einzug halten? Cecilia überlief es kalt.
„Ich mache dir den Raum schon gemütlich“, erklärte sie schwach. „Dann musst du nur Maja die Tür aufmachen, wenn sie wiederkommt. Ich gehe derweil ein paar Sachen kaufen.“
„Kein Problem.“ Die Oma schnaufte die Treppe wieder hoch, und Cecilia zog sich Jacke und Schuhe an. Sie schnappte sich ihre Handtasche und entfloh.
Im Baumarkt zog ihr verzweifelter Gesichtsausdruck einen freundlichen Verkäufer an, dem Cecilia ihr Leid klagte.
„Ich kann doch keine Tapete über die Fliesen kleben!“
„Das geht zwar, aber es sieht schrecklich aus. Wie groß ist denn der Raum?“ Den hatte Cecilia noch schnell vermessen.
„Da haben Sie Glück. Kommen Sie doch mal mit und sehen sich schon einmal Teppichböden an. In der Zwischenzeit suche ich Ihnen ein paar Sachen zusammen.“ Der Verkäufer eilte davon.
Cecilia stellte sich vor die großen Teppichrollen. Eine Weile brütete sie vor sich hin, da kam schon der Verkäufer zurück. Er schob einen Wagen vor sich her, auf dem ein Stück hellgrüner, fest verschnürter Teppich lag.
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