Selbst wenn er wirklich nur einmal vor zehn Monaten mit ihr im Bett gewesen war, so etwas passierte doch nicht einfach so! Da mussten doch wohl noch Gefühle sein! Also war das Ganze tatsächlich noch nicht abgeschlossen und konnte sich jederzeit wiederholen.
Aber ich kann das nicht wiederholen. Das wäre, wie wieder mit Sascha zusammen zu sein und darauf zu hoffen, dass er Vera vergisst, dachte sie traurig. Das halte ich nicht noch einmal aus!
Entschlossen putzte sie sich die Nase und streichelte Wulfi, der sich neben sie gesetzt hatte und sie fiepend anstupste.
Sie beschloss, Jasper nur noch als Freund zu sehen, und das war ja schon etwas. Im Grunde war sie dadurch nicht mehr allein, denn Jasper liebte Tristø und wollte die Insel nie mehr verlassen. Anders als Sascha, der ja immer mehr herumnörgelte.
Sabine stand auf und ging in die Küche. Während sie heißes Wasser in den Römertopf laufen ließ, fällte sie eine vernünftige Entscheidung.
Ich muss mit Sascha reden, wenn er wieder da ist. Er weiß nicht, was in mir vorgeht, aber er sollte es wissen. Wir müssen einfach mal alles auf den Tisch bringen und uns wieder zusammenraufen. Wenn er öfter nach Deutschland will, dann soll er eben zweimal pro Jahr für ein paar Wochen rüberfahren. In der Zeit komme ich schon alleine klar, das habe ich ja früher auch geschafft.
Heftig schrubbte sie mit einer Spülbürste im Römertopf herum. Wahrscheinlich dachte sie kaum noch an ihn, weil sie wegen der vielen Verletzungen seinerseits wütend auf ihn war. Natürlich liebte sie ihn noch, da konnte es keinen Zweifel geben. Nun hatte sie sich, kaum dass Sascha fort war, in einen sympathischen Bauern verguckt, weil der anders zu sein schien als Sascha. Wahrscheinlich hatte sie alles in Jasper hineinprojiziert, was sie sich bei einem Mann wünschte. Aber so gut kannte sie ihn ja nun auch nicht. Um sich zu verlieben, brauchte es etwas mehr! Auf eine Schulmädchenschwärmerei konnte sie in ihrem Alter gut verzichten. Aber ist es nicht bei Sascha genau das gewesen? Eine Schulmädchenschwärmerei? , fragte sie sich. In ihn hatte sie jedenfalls alles hineinprojiziert, was am Ende gar nicht da gewesen war. Denn dass sie Sascha nicht allzu gut gekannt hatte, war klar. Sonst hätte sie sein Betrug nicht so tief getroffen und auch nicht weiter überrascht.
Cecilia hatte ihr geraten, die Geschichte mit Sascha so zu betrachten, als ob sie einer anderen passiert wäre. Wenn Sabine das tat, kam sofort ein Wort an die Oberfläche ihres Bewusstseins, so wie eine Luftblase, die aus einem dunklen Teich nach oben stieg:
Arschloch.
Er ist einfach ein Arschloch.
Sabine trocknete den Römertopf ab, stellte ihn weg, und wollte nach oben gehen. Als sie am Telefon vorbeikam, stellte sie fest, dass sie einen Anruf verpasst hatte. Sascha hatte angerufen, als sie mit Jasper einkaufen war. Sabine streifte den Namen des verpassten Anrufers mit einem gleichgültigen Blick und stieg die Treppe hinauf.
Arschloch .
Lorena erwachte mit nagendem Hunger. Ein Blick auf ihren kleinen Reisewecker entlockte ihr ein Stöhnen: Es war schon elf Uhr.
Frühstück kann ich wohl knicken, dachte sie und rieb sich den Kopf. Sie verzog das Gesicht, als sie die zerknautschte Decke neben sich bemerkte. Dieser Jens war ja hier gewesen und hatte sie lange um den Schlaf gebracht. Gebracht um den Schlaf, aber gebracht hatte es nichts. Es war vielmehr lästig gewesen und hatte ihr nur einen bohrenden Muskelkater eingetragen. Lorena hinkte ins Bad, duschte sich den lästigen Schweiß ihres Liebhabers ab und schminkte sich. Dann wählte sie ein anderes Strandkleid und beschloss, in einem Café oder dergleichen einen Happen zu sich zu nehmen. Sie hatte sowieso Halbpension ohne Mittagessen.
»Tag, Lorena.« Lorena sah irritiert von ihrem Croissant auf.
»Gabi! Hi!«
»Na, wie war’s gestern noch mit dem Milchbubi?« Gabi setzte sich Lorena gegenüber und sah sich anerkennend um. »Nettes Café, auch wenn es heute etwas zu windig ist, um draußen zu sitzen.«
»Ja, aber wenigstens kann man draußen sitzen. In Deutschland bräuchtest du dafür jetzt einen dicken Mantel.«
»Stimmt«, nickte Gabi und bestellte sich einen Kaffee. »Schade, dass die Sonne heute weg ist. Dafür fährt man ja nach Spanien. Sonne, Strand, Meer.«
»Na, so wie du mir das gestern erzählt hast, bist du aber nicht unbedingt wegen des Wetters hier, Gabi.« Lorena schob den Teller von sich weg und zog ihre Kaffeetasse näher zu sich heran.
Gabi nickte ernüchtert.
»Das ist allerdings wahr. Ich bin bloß geflüchtet.«
»Wo sind denn die anderen beiden?«
»Ich musste eine Weile alleine sein«, sagte Gabi leise. Lorena nickte. Dass etwas im Busch war, merkte man. Gabi sah ziemlich mitgenommen aus.
»Schlechte Nachrichten von zu Hause?«, fragte sie mitfühlend.
»So in der Art. Ich habe vorhin nachgesehen, ob Max noch bei dem Seitensprungportal ist. Ob vielleicht etwas Neues in seinem Profil steht. Oder was auch immer. Ist eben die einzige Möglichkeit, noch ein paar Informationen über ihn zu erhalten. Und ... das Profil ist weg.«
»Ah ... ja, und?«
Gabi seufzte. »Das bedeutet, dass er eine gefunden hat. Jetzt frage ich mich die ganze Zeit, ob sie schon im Bett waren. Ob er sich in die vielleicht verliebt und seinen Hausdrachen für sie verlässt. Vielleicht ist heute ihre erste Nacht zusammen. Oder Morgen. Oder vielleicht erst nächste Woche. Das ist die reinste Folter!« Gabi bedankte sich beim Kellner und nahm einen Schluck Kaffee. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie dabei auf das Tischtuch kleckerte. Lorena sah alarmiert zu.
Das könnte auch ich sein, wenn ich meine Gefühle für Werner nicht in den Griff bekomme! Oh nein, nicht noch einmal! Das Hoffen, das Warten, das Leiden. Nie mehr!
»Vielleicht bedeutet es aber auch nur, dass er doch keine Lust mehr hat auf ein Abenteuer«, meinte sie. Gabi schüttelte den Kopf.
»Versuch nicht, mich zu trösten! Ich muss da endlich von loskommen, es hatte ja ohnehin keinen Sinn, mich in ihn zu verlieben und all die Jahre auf ihn zu warten!«
»Schon, aber wenn es doch passiert, dann sitzt man in der Falle. Ging mir ja mit Rüdiger genauso.«
»Dass du von dem ein Kind hast, hast du gestern ja erzählt, aber keine Einzelheiten. Da war dir Werner wichtiger. Wie war das denn damals mit Rüdiger?«, fragte Gabi. Lorena lehnte sich zurück und schluckte. Dann erzählte sie ihre Geschichte noch einmal ausführlicher. Gabis Augen wurden immer größer.
»So ein Dreckschwein!«
»Ja. Und an Jackys Geburtstag ...« Sie umriss noch einmal die völlig versaute Geburtstagsparty ihrer Tochter.
»Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen. Dieser abgerissene Typ, deine entsetzten Eltern, und wie du dann alle rausgeworfen hast ... das erfordert Format und Mut. Beides hast du. Auch dein Kind alleine großzuziehen war mutig. Ich bewundere dich, Lorena. Was du alles geschafft hast, unglaublich. Ich glaube, wenn meine Eltern so kaltschnäuzig gewesen wären, ich wäre an deiner Situation zugrunde gegangen. Wahrscheinlich hätte ich denen Jacqueline einfach überlassen«, gestand Gabi nachdenklich.
»Das kam für mich nie in Frage. Vor allem wollte ich nicht, dass Jacky auch so erzogen wird, so kaltherzig und konservativ. Und jetzt denke ich, dass das vielleicht doch besser für sie gewesen wäre. Sie hat sich nicht gut entwickelt durch die Verwöhnerei. Das waren wir alle, meine Eltern und ich.«
»Und du denkst, deine Eltern hätten sie weniger verwöhnt, wenn die sie großgezogen hätten?«, zweifelte Gabi. Lorena dachte nach.
»Ich denke, sie wären doch etwas konsequenter gewesen als ich. Wenn ich spätabends nach Hause kam und sie freute sich so - da konnte ich einfach nicht so streng sein, wie ich es in bestimmten Situationen hätte sein müssen. Meine Eltern hätten das ohne Probleme geschafft. Erst ein Stück Schokolade, dann eine lange Predigt über Benimm, Ordnung im Zimmer und Schulnoten. Ja, die hätten durchgegriffen.«
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