Wieder erbrach sich Evol. Was für ein Monster war bloß zu so etwas fähig.
„Seht Ihr.“, meldete sich der Finder zu Wort, “Ich habe versucht Euch das zu ersparen.“
Evol ignorierte ihn und nahm all ihren Willen zusammen. Sie drehte den Kopf nur leicht bis der Kopf des Toten in ihr Blickfeld rückte. Auch dieses Mal musste sie sich nach einigen Augenblick erneut übergeben, doch jetzt war sie sich ganz sicher.
„Das ist er nicht.“, keuchte sie.
Redael fixierte sie mit seinen dunkelblauen Augen. Evol wiederholte ihre Worte.
„Das ist nicht der, den wir suchen.“
Mit einem knappen Nicken quittierte dieser Evols Aussage, dann gab er weitere Befehle.
„Geht zurück zur Scheune und sucht nach weiteren Spuren. Wir kommen nach.“
Ohne zu Murren verließen die Soldaten den unseligen Platz. Der Befehl ihres Kommandanten schien ganz in ihrem Sinne zu sein.
Als Evol sich aufrichtete, trat Redael an sie heran und legte ihr seine Hand auf die Schulter.
„Evol, ich kenne dich seit du ein kleines Mädchen warst und wir habe viel Zeit zusammen verbracht. Du warst immer wie eine kleine Schwester für mich das weißt du, oder?“
Sie nickte und drehte sich zu ihm um. Sorge stand in seinen Augen.
„Hälst du es nicht für besser, mit einem Teil meiner Leute zurück nach Tsorf zu reiten und mir mit meinen Männern die Suche zu hinterlassen?“
Seine Worte trafen sie wie ein Schlag. Wie konnte er das von ihr verlangen. Evol rang mit sich. Sie wollte den Kommandanten und langjährigen Freund nicht verletzen. Doch sein Vorschlag stand für sie außer Frage. Nichts könnte sie davon abhalten ihre Suche fortzusetzen.
„Redael, ich verstehe, dass du dich um mich sorgst, aber ich bin kein Kind mehr. Außerdem weiß ich genau wen wir suchen…“
„Aber du könntest mir doch die Bilder mit Magie übertragen. Es wäre viel sicherer.“, unterbrach Redael sie eindringlich.
Evol schüttelte entschieden den Kopf.
„Nein, glaub mir, hier braucht ihr mich. Wenn wir hier scheitern, dann ist bald niemand mehr irgendwo sicher, weder in Tsorf noch im Hochkönigreich. Du weißt das genauso gut wie ich.“
Evol bemerkt wie der Griff um ihre Schulter fester wurde. Offenbar war dies auch Redael aufgefallen, der seine Hand schließlich von ihrer Schulter nahm und auf den Strauch zeigte, welcher die Leiche verbarg.
„Ich glaube du hast keine Ahnung, dass wir hier womöglich in etwas hineingeschlittert sind, was zuviel für dich und dein stures Gemüt sein könnte.“ Die Stimme des Kommandanten hatte an Lautstärke zugenommen. „Hast du dir je Gedanken darüber gemacht, dass vielleicht der Mann von der Lichtung dem Toten das angetan haben könnte? Oder vielleicht war es dieser ominöse Reiter, den du gesehen hast und es ist nur eine Frage der Zeit ist bis wir den Gesuchten in demselben Zustand finden wie diesen Unglücksvogel hier.“
Erneut zuckten Bilder durch ihren Kopf. Diesmal sah sie den jungen Mann von der Lichtung wie er mit einem Schwert auf unschuldige Leute einschlug. Sie schreckte zurück.
„Nein, hör auf damit. Das will ich nicht hören. Ich weiß, dass er das nicht tun würde.“
Redael schnaubte.
„Du behauptest das von einem Mann, den du vielleicht eine Stunde gesehen hast. Geschweige denn, dass du mit ihm geredet hast. Du selbst hast es uns erzählt.“
„Er hat mir das Leben gerettet obwohl er weder wusste wer ich war, noch warum ich gefangen war. Ist das nicht genug um zu beweisen, dass er kein schlechter Mensch ist. Du kannst machen was du willst, aber ich werde jedenfalls weiter nach ihm suchen.“
Der Kommandant ließ enttäuscht den Kopf sinken. Er wusste, dass er keine Chance hatte sie umzustimmen. Dazu kannte er sie zulange.
„Ich gehe zurück zum Lager, es wäre besser wenn du auch bald nachkommst. Wer weiß was hier noch alles versteckt liegt.“
Er hielt noch einmal kurz inne.
„Evol, du weißt hoffentlich, dass wir uns nur Sorgen um dich machen. Ich weiß, dass du mittlerweile erwachsen bist, aber auch Erwachsene sind vor dem Tod nicht gefeit.“
Als er den Platz verlassen hatte, atmete Evol durch. Sie konnte solche Gespräche nicht leiden. Natürlich wusste sie, dass alle nur ihr Bestes wollten. Es gab aber Momente, in welchen sie sich beinahe erdrückt fühlte. Sie brauchte Platz um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Ihr Leben wollte sie keinesfalls in einem goldenen Käfig führen.
Sie machte sich auf den Weg zurück zur Lichtung. Auf halbem Weg verfing sich ihr Stiefel in einer Baumwurzel und sandte sie auf die Knie. Der Boden war hartgefroren durch die bereits frostigen Temperaturen des Herbstes. Letzte Nacht war es besonders kalt gewesen. Die Schatten der Bäume verhinderten auch bei Tage, dass die Erde wieder auftaute. Evol hatte sich nicht verletzt. Vermutlich waren ein paar blaue Flecken, das einzige was sie zu erwarten hatte. Stöhnend richtete sie sich wieder auf, als ihr etwas auffiel. Direkt vor ihr sah sie im gefrorenen Boden einen Stiefelabdruck. Der Größe nach gehörte er wohl zu einem Mann. Sie blickte sich um, konnte aber keine weiteren Spuren sehen. Mit ihren Fingern fuhr sie über den Abdruck in der kalten, harten Erde. Ein einzelner Wanderer auf dem Weg nach Süden. Das erinnerte sie auf eine Art und Weise, die sie nicht erklären konnte an den jungen Mann auf der Lichtung. Es war mehr Intuition als tatsächliches Wissen, aber sie hatte das Gefühl, dass dieser Abdruck zu dem Mann gehörte den sie suchten. Mehr noch, sie war sich in ihrem Innersten vollkommen sicher. Dass Evol wortwörtlich über diese Spur gestolpert war, konnte kein Zufall gewesen sein. Es war ein Zeichen. Ein Zeichen welches nach Süden wies.
Sie sprang auf und rannte zurück zur Scheune. Die Soldaten saßen auf dem Boden und schienen gerade ihr weiteres Vorgehen zu überdenken.
„Wir müssen nach Süden.“
Ausnahmslos jeder richtete seinen Blick auf sie. Nach einer kurzen Ruhepause begann einer der Soldaten zu sprechen.
„Mit Verlaub, aber wir haben zahlreiche Hufspuren in Richtung Westen gefunden. Wäre es nicht sinnvoller nach Westen zu gehen?“
Die anderen brummten zustimmend. Redael stand auf.
„Wie kommt Ihr auf diese Idee?“
„Ich habe einen Stiefelabdruck gefunden.“, gab Evol mit einem triumphierenden Grinsen preis.
Der Kommandant fuhr sich mit der Hand über das Kinn.
„Eine Spur?“
„Nein, nur einen einzelnen Abdruck.“
Mit einem Mal kam sich Evol unendlich dumm vor. Dennoch hielt sie an ihrer Überzeugung fest. Redael dagegen blieb skeptisch. Das konnte sie deutlich aus seinem Mienenspiel ablesen.
„Ich denke trotzdem, dass es besser wäre den Weg Richtung Westen einzuschlagen. Wir haben in dieser Richtung einige Hufspuren. Damit ist es wahrscheinlicher, dass wir jenen, den wir suchen im Westen finden. Ihr habt außerdem selbst gesagt, dass der junge Mann von einem anderen Berittenen aufgelesen wurde. Es wäre also nur logisch den Hufspuren zu folgen anstatt einem einzelnen Stiefelabdruck .“
Kommandant Redael betonte besonders die letzten zwei Worte. Wieder ging zustimmendes Gemurmel durch die Reihen der Soldaten. Doch Evol war sich ganz sicher. Sie wusste selbst nicht genau warum, doch es war so. Dieser Stiefelabdruck gehörte für sie zu dem Mann, den sie damals auf der Lichtung gesehen hatte.
Sie antwortete: „Der Stiefelabdruck passt. Der Berittene hat den jungen Mann mitgenommen haben und wahrscheinlich hat er ihn hier abgesetzt, weil sich an dieser Stelle ihre Wege trennten.“
Redael zweifelte immer noch. Wieder fuhr er sich über das Kinn.
„Aber warum sollte er nach Süden wollen? Was gibt es dort?“
Mit dieser Frage hatte Evol nicht gerechnet. Nichtsdestotrotz blieb sie hartnäckig. Ihr Entschluss stand fest und ein gutes Argument war ihr soeben eingefallen.
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