„Was soll das? Verschwindet von meinem Pferd.“
Als der alte Hengst Erif erblickte, hielt das Tier kurz inne. Sein neuer Reiter nutzte den Momente und zog einen kurzen Gegenstand unter seiner Kleidung hervor. Die Klinge des kleinen Messer blitzte kurz im Mondlicht auf bevor der Mann damit dem Pferd in das Hinterteil stach. Wiehernd begann das Pferd zu galoppieren. Ohne Erif Zeit zum Reagieren zu geben, fiel ihn der andere Mann mit dem Knüppel an. Mit einem brachialen Schrei stürmte sein Angreifer auf ihn zu und schwang dabei den Knüppel über den Kopf. Als sein Gegner zum Schlag ansetzte, überbrückte Erif blitzschnell die Distanz und warf den Mann über die Schulter zu Boden. Die Waffenhand hielt er dabei ergriffen. Flink entwaffnete er den Pferdedieb und kickte den Holzknüppel in die Schatten zwischen den angrenzenden Scheunen. Erif hatte sich nicht einmal anstrengen müssen. Den Großteil hatte der Schwung seines Kontrahenten für ihn erledigt. Das Erstaunen über die Leichtigkeit, mit welcher ihm die Abwehr gelungen war, drängte er abermals in den Hinterkopf. Das fahle Mondlicht, welches durch die Wolken brach, erleuchtete das Gesicht des Mannes. Vor ihm lag wimmernd ein älterer Mann mit vernarbtem Gesicht. Ihm schienen Zähne zu fehlen, doch das konnte Erif nur schwer im Dunkel der Nacht erkennen.
Ein Blick über die Schulter bestätigte seine Annahme. Sein Pferd würde er wohl nicht wieder sehen. Mittlerweile waren die Soldaten aus der Schenke getorkelt und auch ein paar Schaulustige hatten sich die Mühe gemacht nach dem Rechten zu sehen. Von den angetrunkenen Soldaten hatte nur der Leutnant die Geistesgegenwart besessen Helm, Schild und Speer mitzunehmen. Der Soldat kam auf ihn zu. Seine Leute, welche die Situation offenbar noch nicht ganz begriffen hatten, blieben ihm dicht auf den Fersen.
„So, so. Da haben wir also einen Pferdedieb. Gute Arbeit mein Junge, dass du ihn geschnappt hast. Das war dein Pferd, oder? Das kriegst du wahrscheinlich nicht mehr wieder, tut mir leid, dabei können wir nicht helfen. Aber den da.“
Der Leutnant richtete seine Lanze auf den Pferdedieb, welchen Erif immer noch am Arm gepackt hielt.
„Den werden wir seiner gerechten Strafe zuführen.“
Einer der Soldaten ergriff mit einer angewiderten Miene das Wort.
„Du weißt, was das heißt, Dieb. Von einer deiner Hände kannst du dich verabschieden.“
Der Pferdedieb schrie auf und versuchte sich aus Erifs Griff zu befreien, vergebens. Sein Geschrei ging in ein klagendes Wimmern über.
„Bitte, was hätte ich denn machen sollen. Seit Monaten finde ich keine anständige Arbeit. Meine Frau ist bereits am Hunger zugrunde gegangen. Ich habe eine kleine Tochter und einen Sohn. Sollen sie von der Hand im Mund leben? Sie brauchen mich. Mit nur einer Hand, kann ich nie wieder anständige Arbeit verrichten. Bitte, habt doch Erbarmen mit mir. Ich werde es nicht noch einmal versuchen.“
Der Leutnant rümpfte die Nase.
„Gesetz ist Gesetz. Das Recht muss vollzogen werden, wo kommen wir denn da hin, wenn den Armen plötzlich das Stehlen erlaubt ist?“
Wieder meldete sich einer der Soldaten zu Wort.
„Genau, außerdem hätten deine Kinder ja auch Arbeit suchen können.“
Der Pferdedieb presste die Lippen zusammen. Erif konnte eins und eins zusammenzählen. Der zweite Dieb war sein Sohn gewesen. Er empfand Mitleid für den Mann
Dem Leutnant platzte der Kragen. Er drehte sich um und begann mit seinen Leuten zu schreien.
„Hört ihr wohl auf ständig dazwischen zu rufen, wenn ich rede. Wo ist überhaupt eure Ausrüstung? Ihr seid wirklich der schlampigste Haufen der mir jemals…“
Die Gelegenheit war günstig. Vorsichtig begann Erif zu Flüstern.
„Kennst du dich hier gut aus?“
Der Mann blickte ihm verwirrt in die Augen.
„Ja oder Nein?“
Immer noch mit fragendem Gesichtsausdruck nickte der Pferdedieb.
„Gut, hör zu. Wenn ich dir ein Zeichen gebe, ziehst du an meiner Hand und rennst davon. Alles klar?“
Der Leutnant hatte wieder seinen Platz neben Erif eingenommen und starrte ausdruckslos auf den Mann hinab. Seine Männer liefen in die Gaststube um ihre Ausrüstung anzulegen.
„Wir werden den Dieb mitnehmen und ihm die Hand abschlagen. Genauso wie es das Gesetz des Hochkönigs verlangt. Du kannst versichert sein, dass…“
So unauffällig wie er konnte, trat Erif den verzweifelten Dieb sanft mit seiner Schuhspitze. Sofort begann der Mann so kräftig er konnte an Erif zu ziehen. Das allein hätte nicht gereicht um ihn ins Wanken zu bringen, doch Erif wendete sein ganzes schauspielerisches Geschick auf und gab vor das Gleichgewicht zu verlieren. Er fiel zu Boden und begrub dabei den Leutnant unter sich. Der Soldat begann wild zu fluchen.
„Runter von mir, du Tölpel. Bist du zu dämlich um dein Gleichgewicht zu halten?“
Der Pferdedieb war indes aufgesprungen und gab Fersengeld. Die ersten Soldaten kamen gerüstet aus dem Gasthaus. Erif machte keine Anstalten aufzustehen.
„Schneller Männer. Der Dieb entwischt uns. Ihm nach, los.“
Vom Alkohol beschwipst, versuchten die Soldaten so gut es ging den Fliehenden einzuholen. Von der Furcht beflügelt und frei von jedweder alkoholischer Beeinträchtigung, war er jedoch alsbald in der Finsternis zwischen den Scheunen verschwunden. Als er den Mann nicht mehr erkennen konnte, rappelte Erif sich langsam auf und hielt sich dabei den Kopf.
„Ahh, ich glaube ich habe mir den Kopf gestoßen.“
Ein gespieltes Stöhnen sollte seinen Zustand unterstreichen. Der Leutnant sprang sofort auf und eilte mit seinen Leuten in die Gassen zwischen den Scheunen. Erif schenkte er keine Beachtung mehr. Nach einiger Zeit kamen die Soldaten wieder zurück. Erif konnte seinen Herzschlag deutlich spüren während er auf die Rückkehr der Patrouille wartete. Als der Letzte Soldat sich allein aus den Schatten löste, atmete er innerlich auf. Nach außen hin verzog er keine Miene. Der Mann war entkommen.
Die Männer machten sich gemeinsam mit den restlichen Schaulustigen auf den Weg zurück in die Taverne. Der Leutnant blieb auf Erifs Höhe stehen.
„Wir haben den Gauner nicht mehr erwischt. Das war deine Schuld, Jungchen. Aber nachdem es sowieso dein Pferd war, musst du damit Leben.“
Mit einem Schulterzucken wandte sich der Leutnant ab und folgte den anderen Soldaten. Erif richtete den Blick auf die Stelle an welcher der Pferdedieb verschwunden war. Die Andeutung eines Lächelns stahl sich auf Erifs Gesicht. Manchmal war eben Recht nicht gleich Gerechtigkeit.
Beschwingten Schrittes begab sich Erif wieder in die Gaststube. Bevor er zu Bett ging, nahm er noch sein Abendmahl ein, welches schon auf seinem Tisch wartete. Bier lehnte er dankend ab. Den nächsten Tag würde er zu Fuß weiterreisen müssen. Dennoch war er sich sicher Latípac innerhalb eines Tages erreichen zu können. Das Ziel, so wusste Erif, lag in greifbarer Nähe.
Der Kommandant der schwarzen Soldaten saß grimmig auf einem Felsbrocken. Die Reißzahnfelsen in seinem Rücken warfen ihren bedrohlichen Schatten über ihn und seine Männer. Die Bewohner des Umlandes erzählten sich, dass hier einst ein riesiger Wolf gelebt haben soll. Als er verendete blieben nur seine Zähne übrig, welche im Laufe der Zeit versteinert waren. Die Reißzahnfelsen. Im Abendlicht boten die dünnen, spitz zulaufenden Steingebilde einen wahrhaft monumentalen Anblick.
Unter anderen Umständen hätte der Kommandant die Felsformation vielleicht eines Blickes gewürdigt, doch im Augenblick beschäftigten ihn andere Dinge. Händler, Gelehrter und Fischer waren lange überfällig. Auch seinen Leuten war dies nicht geheuer. Eine Verspätung bedeutete im Normalfall Ärger.
Ihre letzte Zusammenkunft lag schon eine Weile zurück. Seitdem hatten er und seine Leute die gesamte Gegend von der Scheune bis zu den Sümpfen von Evif durchkämmt. Nichts. Niemand hatte jemanden gesehen oder von jemandem gehört, der auf die Beschreibung ihres Zieles passte.
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