„Bald kommen wir in die nächste Stadt. Dann brauche ich auch das letzte bisschen Platz im Laderaum.“
Erif nickte. Das hieß für ihn sich wieder in den Sattel zu schwingen. Den Rest seiner Reise würde er zu Pferde hinter sich bringen.
„Tut mir ja leid, ich hätte dich gerne noch ein Stück mitgenommen, aber so wars abgemacht.“
Erif winkte ab.
„Abgemacht ist abgemacht. Ich würde euch gerne etwas für die Mühen geben, die ich euch bereitet habe. Womit wärst du denn einverstanden?“
Der Kapitän schüttelte den Kopf.
„Danke, aber deine Gesellschaft hat uns sehr gefreut und war Lohn genug. Natürlich leisten meine Söhne und ich uns hier auch gegenseitig Gesellschaft, aber wenn man solange zusammenlebt, weiß man irgendwann nicht mehr worüber man reden soll.“
Erif war dankbar für die Großzügigkeit des alten Mannes, doch er hatte auch ein schlechtes Gewissen. Er mochte das Gefühl nicht andere ausgenutzt zu haben.
„Bist du sicher? Das Essen war gut und die Nacht war angenehm. Ich würde euch wirklich gerne etwas geben.“
Wieder schüttelte der Kapitän den Kopf.
„Nein, ist wirklich nicht nötig. Außerdem,“ fügte der Mann mit einem Augenzwinkern hinzu,“ hatten wir das Glück in den Genuss deiner Zauberei zu kommen. Das werden wir so schnell nicht vergessen.“
Der Kapitän hielt mit dem Hämmern inne und richtete das Werkzeug auf Erif.
„Also müssten wir eigentlich dir etwas dafür bezahlen. Sowas sieht man schließlich nicht alle Tage.“
Erif fühlte sich geschmeichelt. Er mochte es wenn er anderen eine Freude bereiten konnte, selbst wenn er die tanzenden Flammen nur auf das Drängen seiner Gastgeber erschaffen hatte.
„Na gut, sagen wir die Schuld ist beglichen.“
Grinsend nickte der Kapitän.
„Genau so sehe ich es auch.“
Der Mann widmete sich wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Erif ging zum Bug des Kahns um sich die ferne Stadt etwas genauer anzusehen. Hinter ihm wurde das Gehämmer von einem lauten Fluchen unterbrochen.
„Autsch, verflixt, du elendes…“
Der Kapitän hatte wohl diesmal einen Fingernagel erwischt.
Gegen Mittag liefen sie in der Stadt ein. Die Bauern warteten bereits mit ihren Knechten und den mit Korn vollbeladenen Karren auf dem einzigen Anlegesteg der Siedlung. Erif fragt ob er noch kurz bleiben sollte um zu helfen, doch der Kapitän und seine Söhne verneinten. Schließlich verabschiedeten sie sich und Erif ging mit seinem Pferd von Bord. Er frischte noch seinen Reiseproviant auf und verspeiste in der örtlichen Taverne eine Kleinigkeit zu Mittag bevor er aufbrach.
Die Landschaft war eine einzige weite Ebene. Lediglich der Revir durchbrach die Monotonie des Bildes. Als der Abend anbrach, sah Erif zurück zur Stadt. Die Häuser waren inzwischen beträchtlich geschrumpft. Der Kahn war wieder auf Fahrt, doch er konnte mit dem Tempo seines Pferdes nicht mithalten. Somit war auch er zu einem kleinen Fleck in der Ferne geworden.
Erif lächelte in sich hinein. Er hatte es sich nicht nehmen lassen seinen ehemaligen Gastgebern eine Kleinigkeit zu hinterlassen. Unter dem Brett mit dem Essen hatte er ein paar Münzen hinterlassen. Er hoffte, dass sie die Geste verstanden und er damit niemanden beleidigt hatte. Doch der alte Mann musste drei Söhne ernähren und in einem ihrer Gespräche hatte Erif erfahren, dass die Zeiten für den Kapitän nicht besonders gut standen.
Sein Lager für diese Nacht, schlug Erif in einer kleinen Senke auf. Auf ein Lagerfeuer verzichtete er. Selbst wenn er nicht seine magischen Fähigkeiten dazu benötigt hätte, wäre ein Feuer nur schwer zu entzünden gewesen. Das lag daran, dass weit und breit keine Bäume standen, welche Feuerholz hätten spenden können.
Früh am nächsten Morgen machte er sich in lockerem Galopp wieder auf die Reise. Die Morgen waren von Nebel geprägt. Auch die nächsten Tage änderte sich daran nichts. Die Nächte und die Zeit vor der Dämmerung wurde zunehmend kälter. Der Herbst hielt Einzug und machte sich bemerkbar.
In einer der Siedlungen durch die er im Laufe seiner Reise kam, kaufte er sich einen Reisemantel um gegen die Kälte anzukämpfen. Seine Umgebung veränderte sich wenig während seines Ritts Richtung Latípac. Zu seiner linken erstreckte sich die unendliche Bergkette. Sie trug ihren Namen, weil keiner wusste wo sie endete und das gesamte Hochkönigreich nach Osten hin begrenzte. Wie schon öfters während seiner Reise fragte er sich, was dahinter liegen mochte. Jeder Abenteurer, der von dort zurückgekehrt war, erzählte nur von einem Meer aus Felsgipfeln. Vielleicht, so dachte Erif, hatten jene, welche diese Berge tatsächlich überquert hatten nur nie den Wunsch verspürt zurückzukehren. Ein interessanter Gedanke.
Gelegentlich wurde die Ebene hügeliger, dann flachte sie sich wieder ab. Bäume waren zu einer wahren Seltenheit geworden. Nur ein paar Büsche und Felsen traf Erif auf seinem Weg an. Ab und zu kreuzte auch ein kleiner Bach seine Route. Grundlegend war die Landschaft aber eher langweilig.
Die Eintönigkeit des Landes stimmte ihn melancholisch. Er dachte oft an die Nacht, in welcher ihm der Phönix erschienen war. Auch an Naidraug, die toten Soldaten und die Räuberbande, welche er zu Asche verwandelt hatte, musste er ab und zu denken. Erif vermisste Gesellschaft. Die Zeit auf dem Lastkahn mit dem Kapitän und seinen Söhnen schien ewig lange zurück zu liegen, obwohl er wusste, dass es so lange nicht gewesen sein konnte. Dennoch würde er sich über die Anwesenheit von Dneirf oder dem Feuerfalken Drib momentan mehr freuen als über alles andere.
Bisher war Erif immer dem Verlauf des Revir gefolgt, doch nun machte der mächtige Fluss eine Biegung nach Westen, der er nicht folgen konnte. Um auf seinem Weg nach Süden schneller zu sein, musste er sich vom Flussverlauf trennen. Dazu brauchte er keine Karte. In seiner Zeit als Söldner hatte er die Karte des Hochkönigsreichs auswendig lernen müssen um im Notfall nie auf dergleichen angewiesen zu sein. Erif stieg ab und füllte seinen Wasserbeutel nach bevor er sich vom Revir verabschiedete. Der Abschied, so wusste Erif, war nicht für immer. In wenigen Tagen würde er den Strom wieder kreuzen.
Ein paar Tage später, war es dann soweit. Erif traf auf die breite Steinbrücke, welche den Revir überspannte. Drohend hielten jeweils zwei grimmige Soldatenstatuen an jedem Ende der Brücke Wache. Mit einem steinernen Schild und einem Speer, der in den Himmel ragte, blickten die steinernen Wächter links und rechts von der Brücke ehrfurchtgebietend auf die Passanten der Brücke hinab. Als er sie passierte, kam Erif sich mit einem Mal ziemlich klein und unbedeutend vor. Ihre Größe, welche dem Doppelten eines normalen Mannes entsprach, tat ihr Übriges dazu.
Anfangs, so hatte Erif in der Magierakademie gelernt, war an dieser Stelle eine alte Holzbrücke gewesen. Als jedoch nach langen Kriegsjahren das Hochkönigreich und damit auch die königliche Residenzstadt Latípac gegründet wurden, hatte die Brücke dem Ansturm an Händlern, Barden und Reisenden nicht länger stand gehalten. Sie war eingebrochen und hatte einigen das Leben gekostet. Der Fluss war an dieser Stelle besonders tief und damals hatten nur wenige Leute schwimmen können. Heute war es wenig besser mit den Schwimmern unter den Leuten. Der zuständige Landesfürst reparierte die Brücke ein paar Mal, doch das grausame Schauspiel wiederholte sich. Schließlich hörte der Hochkönig davon und übertrug diese Aufgabe seinen königlichen Architekten. Sie sollten die Gestaltung der Brücke zum Anlass nehmen, seine Herrlichkeit und Macht zur Schau zu stellen und jeden Reisenden, welcher Latípac auf diesem Weg betrat oder verließ, daran zu erinnern. Die Architekten hatten sich sogleich an die Arbeit gemacht und die Brücke diesmal aus Stein erbaut. Nun war sie stabil genug um einem Gewicht standzuhalten, welches sie vermutlich niemals tragen würde müssen. Die Breite bot genug Platz um drei Wagengespannen nebeneinander ohne Mühe die Überquerung zu ermöglichen. Die Ränder der Brücke waren von einem sicheren Geländer begrenzt. Zahlreiche Schnörkel reihten sich daran aneinander und immer wieder kam das Wappen des Hochkönigs zum Vorschein. Ein weißer, achtzackiger Stern auf einem goldgelben Schild. Die acht Zacken standen für die sieben Fürstentümer und die Residenzstadt Latípac. Der Schild stellte den Verteidigungswillen des Hochkönigs zur Schau.
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