Seine Gedanken schweiften zu Dneirf. Auch seine Gesellschaft vermisste er. Dneirf war immerhin sein einziger, wahrer Freund. Allerdings musste Erif auch zugeben, dass er nicht viele Menschen näher kannte. Ein Nachteil davon, immer auf Reisen zu sein, wenngleich auch seine Vergangenheit eine Rolle spielte. Erif schüttelte den Kopf und drängte schmerzhafte Erinnerungen in die dunkelsten Ecken seiner Gedanken. Ob Dneirf bereits im Söldnerlager war? Vielleicht war er auch wieder unterwegs um sich eines neuen Auftrages anzunehmen.
Ein Klaps auf die Schulter zerrte Erif aus seinen Gedanken. Der Kapitän gesellte sich zu ihm und lehnte sich neben Erif an die Reling. Sein weißgraues Haar umrahmte ein faltiges Gesicht, welches von Bartstoppeln derselben Farbe überzogen war. Der Mann war kleiner als Erif und trug einen kleinen Bauch vor sich her, der sorgsam unter seinem vergilbten weißen Hemd verborgen lag.
Wie Erif zuvor besah er sich des Himmels. Das Sonnenlicht zwang ihn dazu seine Augen mit der Hand abzuschirmen.
„Ah, was für ein wunderbarer Tag. Genau so wie er am Ende des Sommers sein sollte.“
Erif wusste nicht so recht was er darauf antworten sollte. Über das Wetter zu reden, fand er ziemlich trivial, also entschied er sich für ein zustimmendes Brummen. Der Kapitän deutete den Fluss hinauf.
„Morgen Nachmittag legen wir im nächsten Dorf an. Dann müsst Ihr leider gehen. Damit wir die nächste Ladung aufnehmen können, brauchen wir den Platz wo euer Pferd gerade steht.“
„Kein Problem. So war es ja abgemacht und kein Grund für diese übertriebene Höflichkeit. Ich bin schließlich kein Adeliger oder dergleichen.“
Lächelnd nickte der Kapitän. Der Kahn fuhr flussaufwärts. Um das zu bewerkstelligen bediente sich der Kapitän mehrerer Zugpferde, welche mit Seilen am Schiff befestigt waren. Sie liefen auf Treppelpfaden an den Ufern des Revir und zogen ihre Last beharrlich flussaufwärts. Das dies überhaupt möglich war, verdankten der Kapitän und seiner Söhne der schwachen Strömung des Flusses. Der Revir war ein zahmer Strom.
„Warum willst du eigentlich nach Latípac. Natürlich ist es eine schöne Stadt mit vielen Möglichkeiten, aber man erzählt sich, dass es nirgendwo sonst so viel Abschaum gibt. Du weißt schon, Mörder, Betrüger, Diebe und all sowas. Man sagt nur die Reichen und Adeligen finden ihr Glück in Latípac und sie erbauen es auf Kosten der Armen.“
Der alte Mann hatte nicht unrecht. Auch Erif hatte die Geschichten über das Elend in der Residenzstadt des Hochkönigs gehört. Doch es war für ihn trotzdem wichtig dorthin zu gelangen. Die Antworten auf all seine Fragen warteten in der Bibliothek von Latípac.
„Sagen wir ich suche etwas, dass ich nur in Latípac finden kann. Etwas, das mit Zauberei zu tun hat und mir seitdem Fragen aufgibt.“
Der Kapitän lehnte sich zu Erif hinüber. Seine Stimme nahm einen verschwörerischen Tonfall an.
„Und das wäre?“
Die Neugier stand dem Mann ins Gesicht geschrieben. Erif lächelte.
„Das möchte ich lieber für mich behalten. Wenn ich es dir sage, würdest du mich hier und jetzt für wahnsinnig erklären oder für einen Lügner. Es ist dennoch sehr wichtig für mich herauszufinden was dahinter steckt.“
Enttäuscht verzog der Kapitän seine Miene und ließ sich wieder zurück an die Reling.
„Na gut, dann eben nicht. Ich muss ja nicht alles wissen. Du hast von Zauberei gesprochen. Bist du denn einer dieser Wandermagier?“
Gerade als Erif verneinen wollte, stockte er. Ein Wandermagier, war ein Zauberer, der die Welt erkundete auf der Suche nach den Geheimnissen der Magie oder anderen einfacheren Dingen. Im Grunde genommen, traf das auf ihn zu. Er hatte zwar seine Ausbildung an der Magierakademie in Cigam nicht abgeschlossen, doch er glaubte nicht, dass ein Wandermagier einen Abschluss benötigte. Wandermagier wurden schließlich als das unterste Glied in der Gesellschaft der Magier angesehen.
„Ich glaube ich bin etwas in der Art, ja.“
Begeistert klatschte der Kapitän in die Hände. In diesem Augenblick kam ihm der alte Mann ganz wie ein kleiner Junge vor.
„Wirklich? Ich habe noch nie einen waschechten Zauberer zu Gesicht bekommen. Kannst du uns einen kleinen Zauber vorführen?“
Erif wurde kreidebleich. Er wollte nicht zaubern. Seine magischen Kräfte waren in einem Zustand in welchem er sie nicht kontrollieren konnte. Was wenn er den Kahn mitsamt den Leuten auf ihnen in Asche verwandelte. Das Bild der brennenden Räuberbande blitzte in seinen Gedanken auf. Großartig. Genau das hatte er jetzt gebraucht.
„Nein…weißt du…ich fühle mich heute nicht so gut. Außerdem bin ich ein schlechter Magier.“
Einen elenderen Versuch sich aus seiner Lage herauszureden, hätte er wohl nicht starten können. Die überschwängliche Freude des Kapitäns schien er damit jedenfalls nicht eingedämmt zu haben.
„Bitte, es muss ja nichts großes sein, nur ein kleiner Trick. Vielleicht einen Strauch wachsen lassen oder eine Wolke machen. Weißt du, als kleiner Junge wollte ich auch immer Zaubern lernen. Ich hatte jedoch nie die Chance dazu. Hey, Jungs. Kommt mal her. Unser Freund hier will uns einen kleinen Zaubertrick vorführen.“
Der alte Kapitän winkte seine drei Söhne heran, welche verschiedene Arbeiten am Kahn erledigten. Mit ähnlicher Begeisterung wie ihr Vater stürmten sie heran. Begierig dem Schauspiel beizuwohnen. Na toll. Da kam er nicht mehr heraus. Die Kinder hatten alle braunes Haar und glichen in ihren Gesichtszügen stark ihrem Vater. Nicht mehr allzu lange und sie würden das Mannesalter erreichen…wenn er keinen Fehler machte.
Erif schluckte. Er musste dafür sorgen nur einen kleinen Teil seiner Energie einzusetzen. Allerdings war bei seiner derzeitigen magischen Verfassung auch schon ein kleiner Teil seiner Kraft in der Lage das Schiff zu verwüsten.
„Gut, kommt her.“
Zur Sicherheit streckte er die Hände mit der Handfläche nach oben Richtung Fluss hinaus. Ob es im Ernstfall etwas bringen würde, wusste er nicht. Konzentriert versuchte Erif seine Zweifel beiseite zu wischen und griff nach seiner Magie. Sofort spürte er die Energien durch seinen Körper stürmen. Es war ein berauschendes Gefühl, doch er durfte nicht den Fokus verlieren. Bedächtig verringerte er die Menge an Magie und konzentrierte sich auf den Zauber. Er wollte versuchen eine kleine Energiekugel zwischen seinen Händen leuchten zu lassen. Gebannt starrten seine vier Zuschauer auf seine Hände. Plötzlich bildete sich ein kleiner feuriger Funken zwischen seinen Händen. Er hielt den Atem an. Sofort zog Erif alle Energie aus dem Zauber. Der Funke verlosch. Es herrschte Stille. Eine Lichtkugel hätte es werden sollen, kein Feuerfunke.
Einer der Jungen wurde ungeduldig.
„War das schon alles?“
Der Kapitän hob beschwichtigend die Hände.
„Nein, nein, da kommt sicher noch mehr. Lasst ihn sich konzentrieren, Jungs.“
Mit einem tiefen Luftzug begann Erif erneut. Doch statt der leuchtenden Kugel entstand erneut der Funke. Er mühte sich ab den Funken in eine strahlende Kugel zu transformieren. Doch Stattdessen formte sich der Funke zu einer kleinen Flamme. Sie begann zu tanzen. Ein weiterer Funke entstand und schon bald hatte auch er sich in eine kleine Flamme verwandelt, die munter in den Tanz einstimmte.
Verblüfft betrachtete Erif das Schauspiel, welches er gerade erschuf. Den Kapitän und seine drei Kinder hatte er ausgeblendet. Ein weiterer Funken kämpfte darum zu entstehen und Erif leitete ihm gezielt Energie zu und formte ihn mit seinen Gedanken. Er fühlte sich als wäre er im Einklang mit seinen magischen Energien. Sein Geist war klar und erfüllt von der Schönheit des Feuers und der Magie selbst.
Ein weiterer Funke entstand, dann ein weiterer und noch einer. Immer mehr Funken ließ er entstehen und bildete sie zu kleinen, wundervollen Flammen. Die Flammen tanzten in harmonischem, wunderbarem Einklang und hatten schon längst den Bereich zwischen Erifs Händen verlassen. Sie drehten sich, kreisten um einander, bewegten sich manchmal langsam, manchmal wieder impulsiv und schnell. Die kleinen Tänzer wirkten wie lebendige Wesen.
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