Ein lautes Gähnen entrang sich seinem Rachen. Der Regen hatte ihn kurz vor der Dämmerung geweckt und ihn am Weiterschlafen gehindert. Nun war er zwar müde, doch dafür war er früher aufgebrochen. Die kleinen Wäldchen hatte er hinter sich gelassen und wenn er sein Marschtempo hielt, standen die Chancen gut, dass er bis zum Einbruch der Abenddämmerung das Dorf erreichte und dort eine warme Mahlzeit und ein anständiges Bett bei einem Gasthof erhielt.
„Was für ein Pech. Während du in der Scheune geschlafen hast, war das Wetter immer ausgesprochen sonnig gewesen.“
Erif hörte Flügelschläge und spürte wie sich etwas auf seiner linken Schulter niederließ. Mit einer fließenden Bewegung fuhr Erif scharf herum und zog sein Schwert. Das Gewicht auf seiner Schulter hatte durch die scharfe Bewegung den Halt verloren. Ein paar Flügelschläge später saß vor ihm auf einem Felsbrocken ein Feuerfalke und beäugte ihn neugierig.
Das rote Gefieder, welches bis zu seinem etwas längeren Schwanz hinablief, hatte eine prächtige Farbenkraft. Durch die Abwesenheit des Sonnenlichts konnte man aber das goldene Schimmern beinahe nicht erkennen. Der schlanke, lange Hals verlieh dem Vogel etwas Edles während die dunklen Augen einen intelligenten Eindruck erweckten.
„Was sollte das? Weißt du wie schwer es ist auf deiner Schulter Halt zu finden ohne meine Krallen dabei zu verwenden?“
Das konnte doch nicht wahr sein. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass sich jemand an ihn herangeschlichen und an der Schulter gepackt hatte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was er soeben gehört hatte. Das war bestimmt der Feuerfalke, den er in den letzten Wochen öfters gesehen hatte. Und er sprach tatsächlich, oder was es wirklich nur Einbildung? Erif begann an seiner Wahrnehmung zu zweifeln.
„Du…Du sprichst.“
Es war mehr eine Feststellung, denn eine Frage. Der Feuerfalke legte seinen Kopf schief.
„Ja, ganz richtig erkannt. Du glaubst sicher du bist verrückt, habe ich recht?“
Erif quittierte die Bemerkung über seinen Geisteszustand mit einem leichten Kopfnicken. Er war sich nicht sicher wie er sich verhalten sollte.
„Keine Sorge, du wirst nicht wahnsinnig. Aber ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, wie unhöflich von mir. Ich bin Drib, ein Feuerfalke wie du wohl siehst. Du bist Erif, richtig?“
Er sprach also mit einem Feuerfalken der einen Namen hatte und anscheinen verstand er auch die Sprache der Menschen. Sonst hätte er unmöglich seinen Namen wissen können.
„Ja, ich heiße Erif. Kannst du mir auch sagen wie es kommt, dass ich dich sprechen höre, wenn ich noch bei Verstand bin?“
Drib hatte ihn mit seinen Augen fixiert, allerdings schien es fast so als würde er in ihn hineinsehen. Erif fühlte sich dabei zwar etwas unwohl, hatte sich aber wieder gefasst.
„Das liegt an deiner Begegnung mit dem Phönix.“
Natürlich, das hatte sich Erif bereits gedacht. Seine Neugier war geweckt.
„Heißt das, nur ich kann euch hören? Dneirf schien euch jedenfalls nicht hören zu können.“
„Ach, du meinst bestimmt den Dummkopf der mich mit einem Stein abschießen und dann braten wollte. Nein, nur du kannst uns hören, niemand sonst. Wir aber können alle Menschen verstehen.“
Bei der Bemerkung über Dneirf hätte er um ein Haar zu Lachen begonnen. Er versuchte es mit einem Räuspern zu kaschieren.
„Wen genau meinst du mit Wir ? Das Reh mit dem ich mich neulich im Wald unterhalten wollte, schien mich jedenfalls kein Bisschen zu verstehen.“
Drib stieß ein melodisches Trällern aus. Erif vermutete, dass es sich dabei wohl um ein Lachen handelte.
„Warum sollte dir ein Reh auch Widerwort geben. Rehe und der Großteil aller andern Tiere sind nicht intelligent genug um eine eigene Sprache zu entwickeln oder die der Menschen zu lernen. Sie können sich zwar untereinander verständigen, aber mit einer Sprache hat das wenig zu tun.
Es gibt wenige Geschöpfe, die so etwas können. Wir Feuerfalken gehören dazu. Allerdings können wir eure Sprache nur verstehen und nicht sprechen. Und soweit ich weiß kannst auch du unsere Sprache nur verstehen und nicht sprechen. Aber ich muss gestehen, dass ich auch nicht alles weiß.“
Erif nickte gedankenversunken. Während seiner Studienzeit in der Magierakademie in Cigam hatte er von ähnlichen Theorien über die Kommunikation zwischen Menschen und anderen Geschöpfen gehört. Leider hatte er das Thema damals als langweilig empfunden. Nun wünschte er sich, damals besser aufgepasst zu haben.
„Am Anfang, in der Scheune habe ich dich beim ersten Mal fast gar nicht verstanden. Warum?“
„Das liegt daran, dass deine Entwicklung noch nicht abgeschlossen war.“
Meine Entwicklung? Drib meinte bestimmt diese seltsame Krankheit. Bisher war Erif davon ausgegangen, dass es eine Nachwirkung des Angriffs durch den Phönix war. Eine Art Erholungsphase. Die Aussage Dribs ließ ihn daran zweifeln.
„Welche Entwicklung? Was ist mit mir passiert als mich der Phönix angegriffen hat?“
Der Feuerfalke sah Erif fragend an.
„Hat dir der Phönix darüber nichts gesagt?“
Erif schüttelte den Kopf.
„Tut mir leid, aber dann kann ich dir auch nichts darüber sagen.“
„Warum?“
„Weil es einen Grund gibt, weswegen der Phönix dir nicht mehr Informationen hinterlassen hat.“
Erif fühlte sich behandelt wie ein kleines Kind. Wieso wollten weder der Phönix damals, noch Drib jetzt ihm nichts sagen? Die Worte des Phönix aus seinem Traum hallten in seinem Kopf wieder.
Was von dir verlangt wird, musst du jedoch selbst herausfinden.
„Aber es wäre einfacher für mich zu erkennen, was ich tun soll wenn ich etwas mehr wüsste.“
„Es ist nicht der Wunsch des Phönix, sonst hätte er selbst dir mehr gesagt.“
Langsam wurde Erif ungeduldig. Unbeabsichtigt schlug sich das auch in seinem Tonfall nieder.
„Welche Verpflichtung habt ihr gegenüber dem Phönix? Warum ist sein Wort für euch wie ein Gesetz.“
Wenn der Blick eines Feuerfalken tadelnd sein konnte, dann sah ihn Drib jetzt genauso an.
„Wütend zu werden bringt dir überhaupt nichts, Erif. Ich will deine Frage aber trotzdem beantworten. Wir sind als Abbilder des Phönix geschaffen worden. Unsere Aufgabe ist es ihm und seinen Verbündeten zu dienen. Gäbe es den Phönix nicht, so hätten wir niemals existiert. Deswegen stellen wir uns auf die Seite des Phönix, weil es unsere Lebensaufgabe ist und weil seine Sache gerecht ist.“
Der schwache Zorn, den Erif zuvor noch verspürt hatte, verflog. Sein Gegenüber hatte Recht. Wütend zu sein brachte ihm überhaupt nichts, auch wenn er den Standpunkt des Feuerfalken nicht nachvollziehen konnte. Ihm fiel auf, dass er noch immer die gezogene Klinge in der Hand hielt. Schnell ließ er sie wieder in die Schwertscheide gleiten.
„Entschuldige, ich wollte nicht so harsch klingen. Kannst du mir sagen wo der Phönix sich momentan befindet? Vielleicht kann ich ihn dazu bewegen mir mehr zu sagen.“
Dribs Tonfall drückte Bedauern aus.
„Das darf ich dir leider auch nicht sagen. Du musst vorerst mit dem was du hast deinen Weg bestreiten.“
Ernüchterung machte sich in Erif breit. Zuerst hatte es so ausgesehen als ob Drib ihm alles sagen könnte was er wissen wollte. Doch nun lief er gegen eine Wand ohne Aussicht auf Durchlass.
Plötzlich hörte Erif das Geräusch von Hufen. Auch Drib hatte es vernommen, denn beide drehten ihren Kopf gleichzeitig in die Richtung aus der Erif gekommen war.
In der Ferne erkannte Erif in etwa zwei Dutzend Reiter. Sie waren bewaffnet und trugen Rüstung. Die meisten trugen Lederpanzer, aber auch Metall konnte er erkennen.
Das Herz rutschte Erif in die Hose. Räuber. Sie versuchten ihn mitten auf der Ebene zu stellen, wo er sich weder verstecken noch entkommen konnte.
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