Auch Evol war eine Eismagierin. Sie war zwar nicht die beste am Hof, aber nahe dran und das obwohl sie erst seit kurzem als Frau und nicht mehr als Mädchen behandelt wurde. Ihr war es aber nie besonders wichtig gewesen die Beste zu werden, tatsächlich hatte sie den Unterricht von aggressiveren Spielarten der Eismagie nur ungern besucht. Sie sah wenig Nutzen darin, abgesehen davon andere Lebewesen zu verletzen oder gar zu töten. Allein den Gedanken daran fand sie abstoßend.
Die zweite Art der Zauberei, auf welche sich die Eismagier von Tsorf meisterlich gut verstanden, war die Barrieremagie. Dies hatte Gründe, an welche sie im Moment jedoch keinen Gedanken vergeuden wollte.
Mittlerweile hatte Evol das Schlosstor erreicht. Müde winkte sie einem der Wachmänner am offenen Tor zu. Der Soldat trug wie alle Schlosswachen einen silbernen Brustharnisch und einen spitz zulaufenden Stahlhelm. Die Stoffe, welche er trug waren in einem hellen Blau gehalten, entsprechend der Farben der Königsdynastie. In seiner Rechten hielt er eine Lanze. Für den Nahkampf hing auch noch ein Säbel an seinem Gurt. Der Mann selbst war bereits im fortgeschrittenen Alter. Das Haar, welches ihm ansatzweise in die Stirn hing, zeigte schon das erste Grau.
Als der Wachmann sie erkannt hatte, weiteten sich seine Augen. Hastig schritt er zum Tor und brüllte etwas Unverständliches bevor er zu ihr gelaufen kam. Evol stieg ab und musterte den anstürmenden Mann. Sie hatte ihn schon oft gesehen, seinen Namen hatte sie jedoch trotzdem wieder vergessen. Es gefiel ihr ganz und gar nicht mit jemandem zu sprechen, dessen Name sie vergessen hatte, da ihr das äußerst unhöflich vorkam. Doch noch ehe Evol überhaupt den Mund aufmachen konnte, plapperte der Torwächter wie ein Wasserfall los.
„Bei den Göttern, ihr seid wohlauf. Wo seid ihr gewesen, ihr hättet schon vor geraumer Zeit wieder hier sein sollen. Was ist geschehen? Warum habt ihr keine Nachricht geschickt?...“
Evol hob beschwichtigend die Hände um den Soldaten zu beruhigen. Der ließ sich durch die Geste nicht bremsen. Entweder wollte er nicht aufhören zu reden oder er hatte es einfach nicht wahrgenommen. Sie tippte auf Letzteres.
„Wir waren krank vor Sorge. Ihr wart wie vom Erdboden verschluckt. Seid ihr von Räubern belästigt worden? Seht Ihr, das passiert wenn man ohne Eskorte auf Reisen geht. Warum besteht Ihr nur immer darauf, dass…“
„Ich denke du vergisst gerade, wem du hier Vorschreibungen machen willst. Du solltest dich etwas zügeln, mein Lieber.“
Der Soldat hielt in seiner Predigt inne und blickte in die Richtung aus der die Stimme gekommen war. Unmittelbar hinter ihm stand ein kleiner, leicht untersetzter Mann in fleckigem, braunem Arbeitsgewand. Der Stallmeister war älter als der Wächter und trug sein ergrautes Haar schulterlang. Vereinzelt konnte Evol Stroh in seinen Haaren erkennen. Auch sein kurzer Bart war davon nicht verschont geblieben.
Unverzüglich wandte sich der Wachsoldat wieder Evol zu und senkte seinen Kopf. Doch noch bevor er seine Entschuldigung hervorbringen konnte, schnitt Sie ihm das Wort ab.
„Schon vergessen. Ich muss den König sprechen, es ist dringend.“
Der Stallmeister war in der Zwischenzeit an die Seite von Evols Stute getreten und streichelte das Tier. Sogar auf diese Entfernung drang der starke Geruch von Stall in ihre Nase.
Kurz konnte sie erkennen, dass der Soldat mit sich selbst haderte ehe er antwortete.
„Ich habe Befehl dafür zu sorgen, dass der König nicht gestört wird. Seine Majestät meinte er wolle seine Ruhe haben und…“
Der Stallmeister drehte sich um und starrte dem Mann eindringlich in die Augen. Der Torwächter brach ab um erneut anzusetzen. Offenbar schien er sich eines Besseren besonnen zu haben.
„Verzeiht. Ich meine natürlich ich werde ihn sofort benachrichtigen, sofern Ihr es wünscht.“
Evol legte den Zeigefinger an ihre Unterlippe und überlegte. Wenn der König nicht gestört werden wollte, dann hatte das sicher seine Gründe. Vertrauenswürdig waren alle Bediensteten des Schlosses, doch diese Nachricht war von besonderer Wichtigkeit und bedurfte zudem einer strikten Geheimhaltung. Das wiederum traute sie nicht allen Schlossbediensteten zu. Schließlich fasste sie einen Entschluss.
„Nein, nein. Er hat recht. Wenn der König nicht gestört werden will, dann möchte ich ihn auch nicht stören. Könnt ihr bitte den Kanzler herbringen, ich werde derweil mein Pferd im Stall austauschen.“
Die Augen des Mannes wurden groß.
„Ihr reist schon wieder ab? Wohin reitet Ihr. Nehmt Ihr diesmal eine Eskorte mit?“
Wieder starrte der Stallmeister den Soldaten unverhohlen an. Dieser ließ seinen Blick von Evol zum Stallmeister wandern und dann wieder zurück zu ihr. Dann räusperte er sich und rannte in das Schloss.
„Tut mir leid wegen ihm. Er ist ein guter und zuverlässiger Kerl, aber er neigt dazu sich einfach zu viele Sorgen zu machen. Vielleicht ist er aber auch gerade deswegen ein so guter Wachsoldat.“
Der Stallmeister übernahm die Zügel und führte den Schimmel am Schloss entlang zu den Ställen, welche sich an einem Ende des rechteckigen Gebäudes befanden. Evol folgt ihm. Sie war müde, doch froh für eine Augenblick den Sattel verlassen zu können.
„Ich muss aber zugeben, dass ich mir ebenfalls Sorgen um Eure frühe Abreise mache.“
„Bitte nicht schon wieder diese höfliche Anrede, ich fühle mich dabei nicht wohl wenn du so mit mir sprichst. Dafür kenne ich dich schon zu lange. Außerdem lege ich ohnehin keinen Wert darauf, das weißt du doch.“
Leise seufzte der Stallmeister.
„Du solltest aber Wert darauf legen. Hast du den Wachmann gesehen? Sein Verhalten war unangemessen, beinahe respektlos. Solch ein Verhalten förderst du damit. Sogar mir schenkt er mehr Respekt und das, obwohl ich nur der verflixte Stallmeister bin. Ich weiß ich bin nicht dein Vater, aber das hindert mich nicht daran immer wieder zu predigen.“
Der Stallmeister schenkte ihr ein etwas faltiges Grinsen, ein weiterer Beweis seines Alters.
„Du und Vater seid euch gar nicht so unähnlich.“
„Das werte ich als Kompliment.“
Nun war es Evol die lächelte.
„So war es auch gemeint, Esroh“
Die beiden traten durch die Stalltür. Die Ställe des Hofes waren nicht besonders groß. Obwohl Tsorf ein selbständiges Königreich war, hatte es ebenfalls den Vertrag zur solidarischen Armeebeschränkung unterschrieben, der an die Fürstentümer des benachbarten Hochkönigreiches gerichtet war.. Dadurch benötigte man auch keine Armeepferde. Die Kaserne des Schlosses war schon lange in andere, nützlichere Räumlichkeiten umgewandelt worden. Der König von Tsorf bediente sich lieber der Diplomatie als der militärischen Gewalt.
Der Schimmel wurde in eine leere Box geführt. Evol tätschelte noch ein letztes Mal den Kopf der Stute, bevor sie sich nach einem anderen Reittier umsah.
„Kannst du bitte dafür sorgen, dass die Stute eine Woche lang deine beste Behandlung erfährt? Sie musste viel durchmachen.“
Esroh brummte zustimmend und nahm das Pferd genauer in Augenschein. Dabei schnalzte er missbilligend mit der Zunge.
„Seit wann reitest du deine Pferde so hart, Evol. Das Tier ist am Ende seiner Kräfte.“
Sie hielt inne und wandte sich Esroh mit schuldbewusster Miene zu.
„Ich habe es nicht gerne getan, aber es musste sein. Die Informationen, die ich habe sind dringend. Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, dann hätte ich meine Reittiere gerne geschont. Die Götter wissen, dass ich mir Vorwürfe mache.“
Esroh blickte sie an, dennoch lag in seinem Blick keine Schuldzuweisung. Der Stallmeister hatte schon öfters Botenpferde wieder auf Vordermann gebracht, da diese häufig bis zur Erschöpfung geritten wurden.
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