Zum Schluss noch ein Dankeschön an meinen Freund Jörg Wiese, der unermüdlich mit dem Messemarketing beschäftigt ist.
Jörg, ich hab da schon wieder eine neue Idee …
Und zum Schluss:
Diesen Fall hat es so vielleicht nie gegeben. Er entsprang alleine meiner Fantasie. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen und Orten wären rein zufällig. Ausgenommen davon sind geschichtlich fundierte Namen oder aber Personen, von denen ich die ausdrückliche Genehmigung habe, ihre Daten zu verwenden.
Mario Worm
23. März 2019
§ 69 Wer sich einer unerlaubten Entfernung in der Absicht, sich seiner gesetzlichen oder von ihm übernommenen Verpflichtung zum Dienste dauernd zu entziehen, schuldig macht, ist wegen Fahnenflucht (Desertion) zu bestrafen.
§ 73 [1] Die Fahnenflucht vom Posten vor dem Feind oder aus einer belagerten Festung wird mit dem Tode bestraft. [2] Dieselbe Strafe trifft den Fahnenflüchtigen, welcher zum Feinde übergeht.
(Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 / gültige Fassung 1945 in Verbindung mit dem „Führererlass“)
18. April 1945 - 14.48 Uhr
Ein Waldstück in der Nähe von Müncheberg - 51,6 km von Berlin und 32,8 km von Eggersdorf entfernt.
Die Kraft, seine letzte Kraft verlässt ihn. Und mit ihr weicht auch die Angst. Was natürlich nicht bedeutet, dass die Angst nicht wiederkehren kann. Sie hat sich nur verborgen. Für einen undefinierbaren Moment hat sie Unterschlupf gesucht, hat die stereotypen Mechanismen samt Großhirn überlistet. Aber sie wird wiederkommen, schneller als seine Kräfte, dessen ist er sich bewusst. Noch trugen ihn seine Beine, aber wie lange noch? Wo befand er sich überhaupt? Es musste wohl kurz hinter Müncheberg sein …? Weg, nur weg. Auf gerader Linie nach Hause, dann verstecken und abwarten. Jetzt aber nur weg! Zweige schlagen ihm ins Gesicht, als er das Waldstück passiert. Wie Schläge, wie gezielte Prügel fühlen sie sich an. Das aufgeweichte Moos des Bodens macht jeden Schritt zur Qual. Es scheint ihm, als versinke er jede Sekunde erneut in die Tiefe der Erde, aus der er zu fliehen versuchte. Er musste pausieren. Nur wenige Minuten … er konnte nicht länger warten! Erschöpft lässt er sich auf den Waldboden fallen, legt das Maschinengewehr an die Seite, lehnt sich gegen einen Baum. Schlafen, jetzt einfach nur schlafen, was wäre das jetzt für ein Geschenk ... Er weiß, dass er weiter muss. Wenige Sekunden können über sein Leben entscheiden. Hastig schraubt er den Verschluss der Feldflasche ab, lässt den verbliebenen Rest des schalen Wassers in seine Kehle strömen, um die leere Flasche in den nahegelegenen Busch zu befördern. Instinktiv besinnt er sich eines Besseren. Nur wenige Augenblicke nach seinem Wurf erhebt er sich und nimmt das lebensspendende, aber verräterische Utensil wieder an sich. Jede kleine Unachtsamkeit könnte die Häscher auf seine Spur bringen. Angespannt richtet er seinen Blick auf die nahegelegene Lichtung, lässt sein Augenpaar das Terrain absuchen. Ruhe, nichts als das leise Rascheln der Tannenkronen, ab und zu ein Knacken von Baumstämmen, untermalt von diffusem Vogelgezwitscher. Eigentlich ist dies genau seine Vorstellung der Idylle des frühen Frühlings, wenn da nicht auch noch von weitem das Donnern der Geschütze hallte. Fritz greift in seine Hosentasche und fingert umständlich das goldene Etui mit den selbstgedrehten Zigaretten hervor. Er hatte es seinem Freund stibitzt. Nein, gestohlen hatte er sich sicher nicht. Dort, wo Heinrich sich jetzt befand, hatte er ohnehin keine Verwendung mehr dafür. Außerdem würde er das Erinnerungsstück sowieso dessen Mutter übergeben, wenn er ihr die traurige Nachricht überbringen musste. Aber der Inhalt gehörte jetzt ihm! Heinrich hätte geteilt … Eilig zündet er sich eine der weißen Glimmstängel an, inhaliert tief und muss husten. Ängstlich schaut er sich um. Nein, keiner da, der das Geräusch gehört haben könnte. Er ist allein. Und plötzlich kommt ihm alles wieder vor Augen. Übermorgen wäre der Freund, genauso wie er, neunzehn geworden! Heinrich hat es nicht geschafft. Und er? Hing sein Leben nicht auch an dem berühmt-berüchtigten Faden? Egal, wem er in die Hände fallen würde, es wäre sein sicherer Tod. Die eigenen Leute würden ihn, ohne jedes Mitleid und der Desertation überführt, am nächsten Ast aufknüpfen. Der Russe, das war im klar, würde ihn nach der Lage der Dinge binnen Minuten niederschießen. Er und Heinrich! Sie hatten doch noch so viel vor, hatten sich ewige Freundschaft geschworen, wollten gemeinsam durch dick und dünn. Ihre Pläne … alles aus! Beide am gleichen Tag, im gleichen Ort geboren. Und das auch noch am Geburtstag des Führers! Was waren sie darauf stolz! Und aus heutiger Sicht …? Lächerlich. Aber damals, mit zehn? Eine persönliche Glückwunschkarte zum Geburtstag - vom Führer! Man, was wurden sie beneidet. Lächerlich! Wer war eigentlich schuld an seiner jetzigen Situation? Das fanatische Volk? Der Führer, er selbst? Und was ist mit Heinrich? Heinrich hatte immerhin mit seinem Leben bezahlt! Oder war es doch der Russe? Den Deutschen wurde dieser verfluchte Krieg doch aufgezwungen. Das jedenfalls wurde ihnen von Jugend an immer wieder eingetrichtert. Mit elf erlebten sie dann auch, wie ab „…5.45 Uhr zurückgeschossen und Bombe mit Bombe vergolten wurde.“ „Wer mit Gift kämpft, wird mit Giftgas bekämpft!“, sagte der Führer und bekräftigte seine Zuversicht mit den Worten: „Ich habe nun über sechs Jahre am Aufbau der deutschen Wehrmacht gearbeitet. Es sind 90 Milliarden für den Aufbau dieser Wehrmacht angewendet worden. Sie ist heute die bestausgerüstete und steht weit über jedem Vergleich mit der des Jahres 1914. Mein Vertrauen auf sie ist unerschütterlich.“ Als wäre es erst gestern gewesen. Er sieht die entsetzten Gesichter seiner Eltern in der Küche sitzend. Sie lauschen andächtig der „Goebbels- schnauze“, ihrem „Volksempfänger“. Aufmerksam folgen sie dem immer gleichen Duktus des Führers. „Dann befinden wir uns also im Krieg! Hatten wir ja schon lange nicht mehr …“, hört er den Vater murmeln. Der Tonfall ist weniger von Ironie geprägt als von tiefer Besorgnis. Doch in den nächsten drei Wochen sollten sie schwinden, die Bedenken. Fast alle Zweifler im deutschen Volk schienen zu verstummen. Ja, dass „unerschütterliche Vertrauen“ des Führers sorgt sogar bei Linken und Kirchgängern für ungekannte Euphorie. Die deutsche Wehrmacht hat den Polen das vorlaute Mundwerk gestopft, im „Blitzkrieg-Tempo“. Wie trällerte doch die zarte Stimme der blonden Schönheit Lilian Harvey im Ufa Film „Der Kongress tanzt“: „Das gibt’s nur einmal, das gibt‘s nicht wieder. Das ist zu schön, um wahr zu sein.“ Der Streifen wurde bereits am 1. Oktober 1937 von der sog. „Filmprüfstelle“ wegen der stetigen Verletzung des nationalsozialistischen Empfindens und des Mitwirkens von Juden verboten. Die Harvey, der geheime Schwarm aller deutschen Männer, verzog sich in die USA. Das Lied blieb, wurde zu einem phänomenalen Erfolg von Zarah Leander, die dem Goebbelschen Vorstellungen des Deutschtums eher entsprach. „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder…“
Heinrich und er waren dreizehn, als der Krieg ausbrach. Wie auch alle anderen in ihrem Alter schnitzten sie sich Holzgewehre. Manchmal reichte auch ein einfacher Stock, um Schlachten nachzuspielen und mit wildem Kriegsgeheul durchs Dorf zu rennen. Und natürlich waren sie immer die Sieger. Egal, ob sie gerade den Franzmann, die jüdisch versifften Russen oder die hilflosen Polen über den Eggersdorfer Mühlenfließ jagten, gewonnen hatten immer sie und der Feind bekam die gesamte Härte der Gewehrattrappe zu spüren. Erfolgreich eroberten sie das Waldgebiet bis hin zum Bötzsee. Genau wie ihre großen Vorbilder, allen voran, der Führer. Später, ja später, wenn sie endlich das notwendige Alter erreicht hätten, würden sie sich freiwillig melden, das Holz gegen ein echtes Maschinengewehr eintauschen! Die große Sorge, die sie hatten, war die Frage, ob der Krieg nicht schon ohne sie zu Ende gehen würde. Immerhin stand die deutsche Wehrmacht nun schon kurz vor Stalingrad, während sie im Reichsarbeitsdienst Sand schaufeln mussten. Das Gewehr des Reichsarbeitsdienstlers ist der Spaten. Welch schmerzliche Ironie. Doch dann bekommen sie doch noch ihre große Chance. Das Gespenst Stalingrad, gepaart mit Väterchen Winter. Das erste Mal geht die deutsche Armee rückwärts. Wieder geht ein Musikstück der Leander durch die Volkskehlen: „Davon geht die Welt nicht unter, sieht man sie manchmal auch grau ...“ Und als wenn man es ahnte, sollte die Welt zwar nicht untergehen, jedoch kurz vor dem Abgrund stehen. Und sie sollten ihre Chance bekommen - in Form des Einberufungsbefehls. Schweigend nahmen die beiden den Drill der Ausbildung hin. Auf, nieder, durch den Schlamm des Kasernenhofes robben, Schnauze halten! Egal. Was mich nicht umbringt, macht mich noch härter! Außerdem ist das hier ja nur ein theoretisches Schlachtfeld. Wer hat schon die Zeit, während eines Angriffs strammstehend zu grüßen oder auf eine korrekte Kleiderordnung zu achten? Nein, im Felde geht es um Mut, Kraft und Führerbefehl! Dann die Zugfahrt nach Sonnenburg. Jetzt geht es los, jetzt kommt das Abenteuer, jetzt können sie sich beweisen, jetzt wird der Frontverlauf wieder in die andere Richtung gehen.
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