Mario Worm
Der Feuerfluch von Eggersdorf
Copyright by Primär Verlag Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagsgestaltung: Exakt Werbung, Simone Stolz
Coverfoto 1© Mario Worm
Coverfoto 2 © CCO Public Domain Pixabay
Endkorrektur: Solveig Elsholz / Julia Worm
Lektorat: Stefan Ment
eBook
ISBN 978-3-9818278-3-5
Dieses Buch ist das zweite von drei Büchern, die ich bei der Lesung und Premiere von Domino II (Game over) 2012 zur Auswahl stellte. Damals hatte sich eine Mehrheit für diesen Stoff entschieden. Nun liegt es also vor und ich kann nur hoffen, dass es Euch gefällt.
Dank an Solli, Julia und Stefan, die sich bemühten, meine Ideen in gelungene Wortkombinationen umzumünzen. Wieder einmal hat meine liebe Simone dazu ein geniales Cover gezaubert. Danke!
Auch gilt mein Dank Dr. Holger Krahnke, Leiter des Gemeindearchivs von Petershagen/Eggersdorf, der mir die »Giertz Chronik« besorgte und weitere Informationen gab, sowie Herrn Olaf Borchardt für sein Wohlwollen.
Frau Sigrid Halle, die mir zeigte, wie man einen Stift in die Hand nimmt und schließlich Klaus Peter Joswiak für die Vermittlung der Geschichtsabläufe.
Natürlich bedanke ich mich auch bei meiner Familie - für die Geduld, die sie mir erneut entgegenbrachte.
Mein besonderer Dank gilt aber diesmal Ralf Gastegger, Hans Joachim und Pascal Herrmann sowie Karsten Schubert, die hier stellvertretend für alle Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr von Eggersdorf genannt werden. Jene Kameraden, die zu jeder Tages- und Nachtzeit, an jedem Tag des Jahres, ihren Dienst versehen.
Der Unterschied zu „richtigen“ Feuerwehrmännern besteht darin, dass sie ihren Dienst ohne Vergütung, aus reinem Enthusiasmus, mit dem festen Willen den in Notgeratenen zu helfen, ausführen. Während wir Normalbürger es uns gemütlich machen, opfern sie beharrlich ihre freie Zeit. Es sind nicht immer spektakuläre Einsätze, aber es verlangt dennoch erheblichen Aufwand, vollgelaufene Keller auszupumpen, umgekippte Bäume von Straßen zu entfernen oder auch Ölspuren nach Verkehrsunfällen zu beseitigen. Hinzu kommt die seelische Belastung, wenn zum Beispiel bei Bränden und Unfällen Menschen, insbesondere Kinder, zu Schaden kommen. Darauf werde ich innerhalb dieses Buches noch besonders eingehen.
Meiner Meinung nach wird diese Leistung von uns viel zu wenig gewürdigt.
Die Handlung dieses Buches ist, mit Ausnahme der geschichtlich fundierten Ereignisse, frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sowie Orten und Institutionen sind rein zufällig. Auch hier gilt die Ausnahme des geschichtlich Bewiesenen.
Beschriebene Einsätze der freiwilligen Feuerwehr sind nur zum Teil erfunden, andere beruhen auf wahren Begebenheiten.
Das „Sühnekreuz“ von Eggersdorf
Das Kreuz erinnert an die alte Ritterzeit. Da musste der Gutsherr Trebus aus größter Geldverlegenheit mehrere Hufen Land an den Gutsherrn Roebel, der einem alten Rittergeschlecht entstammte, verkaufen. In seinem Ritterhaus wurde um das Jahr 1900 ein tiefes, dunkles Verlies entdeckt, in dem sich Hals-, Arm- und Fußschellen, schwere Ketten und ein großer Haken in der Bogendecke befanden. Im Zweikampf nach Streitereien im Dorfkrug brach der alte Ritter Roebel unter den Schwerthieben des bedeutend jüngeren Junkers Trebus tödlich zusammen. Zur Sühne der furchtbaren Tat wurde an dieser Stelle ein steinernes Kreuz errichtet, so erzählt man es sich im Dorf.
(Quelle: Ortschronik von Eggersdorf)
„Mit dem Sühnekreuz draußen aber ist es eine eigene Sache. Wehe, wenn frevle Hand es berührt oder gar von der Straße entfernt wurde. Mit lautem Gepolter erfüllt es den Raum, wo du es niederlegst. Und an rätselhaften Krankheiten fällt dir dein Vieh im Stalle, bis du das Zeichen der Sühne wieder an Ort und Stelle bringst.“Pfarrer Giertz
Juliane Werding: „Weißt du, wer ich bin“
Weißt du, wer ich war - weißt du, wer ich bin,
Bettler oder Königin.
Graue Wolken verhingen das Land
ich wusste nicht wohin
nah am Meer stand ein einsames Haus
der Wind strich durch die Tür'n
und ich sah einen riesigen Saal
mit Spiegeln an der Wand
doch in keinem hab ich mich erkannt.
Ich konnte gar nicht glauben, was ich sah
die Spiegel zeigten mich mit anderem Gesicht,
die Spiegel zeigten mich.
Ich sah Menschen aus früherer Zeit
und manchmal sah ich mich
als ein Mönch, der die Schriften studiert
als Magd im Kerzenlicht
ich regierte am Hof von Versailles
ich wählte Dich zum Mann
und schon damals fing unsere Liebe an.
Und seltsam, Du warst immer für mich da
die Spiegel zeigten dich mit anderem Gesicht.
Es ist gleich, wer man ist, was man tut
wir reisen durch die Zeit
und der Tod ist nur wie eine Tür
wir wechseln nur das Kleid
nur die Liebe und das Schicksal bleibt.
Und seltsam, Du warst immer für mich da
wir reisen durch die Zeit - wie lange noch, wie weit
Weißt du, wer ich war - weißt du, wer ich bin
Bettler oder Königin.
Ob Albert Einstein die Tragweite seiner Relativitätstheorie erahnte, als im Jahr 1905 seine Formel E = mc², veröffentlicht wurde? Sicherlich konzentrierte sich der Wissenschaftler nur auf den Zusammenhang zwischen Raumkrümmung und Zeit und dachte nicht im geringstem daran, dass der Ausspruch „alles sei relativ“ in den alltäglichen Wortschatz übernommenen werden würde. Einstein hätte sich die wuscheligen Haare gerauft, wenn er gewusst hätte, was aus seiner hoch wissenschaftlichen Errungenschaft wurde: eine flapsige Bemerkung einer Allerweltskonversation.
Einstein kannte, das ist wenig verwunderlich, Albert von Röschel nicht. Womit wir bei der eigentlichen Uminterpretation wären. Von Röschel bewohnte nun schon seit etwa neun Jahren die kleine Hütte an der Eggersdorfer Landhausstraße. Alles ist relativ! Kam man aus der Mitte des Doppeldorfes, die Kirche hinter sich lassend, befand sich das Gehöft am Dorfausgang. Kam man von Bruchmühle, lag es am Dorfeingang. Oder war es anders herum? Alles ist relativ! Sei es, wie es sei. Oder um es genauer zu beschreiben: seine Hütte befand sich gegenüber einem Feld, auf dem sich zu dieser Jahreszeit der Raps in voller gelber Pracht präsentierte. Neben dem ertragreichen Acker lag die Brache mit den einsturzgefährdeten Ruinen, den verschlissenen betonierten Wegen, die ehemals als Zufahrtswege zum Gelände der „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft“ genutzt wurden. Als im Jahre 1989 die Deutsche Demokratische Republik aufhörte zu existieren, waren auch die Tage der alten LPG gezählt. Was einst als Vorzeigebetrieb galt, war dem Untergang geweiht. Da zu allem Überfluss die Eigentumsverhältnisse für das Terrain nicht zu klären waren, verfiel die sozialistische Bebauung nun vollends. Alles ist eben relativ.
Albert von Röschel interessierten diese Details nicht im Geringsten. Für ihn war die Welt in Ordnung, so wie sie eben war. Im leicht fortgeschrittenen Alter genoss er die ausgedehnten Spaziergänge, die er zweimal am Tag unternahm, die Verpflegung, die man ihm reichte und vor allem die himmlische Ruhe und Geborgenheit seiner Hütte. So hätte es weitergehen können, wenn es da nicht diese Nacht gegeben hätte...
Es ist kurz vor Zwei, als das Fenster des Haupthauses aufgerissen wird und die Stimme des Herrchens erschallt: „Schnauze, Töle!“ Albert von Röschel überhörte die vertraute Stimme geflissentlich. Schließlich wusste er nur zu gut, wie Haus, Hof und vor allem seine Hütte zu beschützen waren. Eigentlich hatte er sich schon zur Ruhe begeben, den Rumpf in der Hütte vergraben, die kleine Dackelschnauze über die leicht gekrümmten Pfoten gelegt. Ganz bestimmt hatte er von einem riesigen Knochen geträumt. Oder doch von dem „Kanibalenkarnickel“? Alles ist relativ. Süßlicher Duft des gegenüberliegenden Rapsfeldes umwehte die empfindliche Hundenase. Doch plötzlich zwickt ihn ein beißender Geruch. Er schlägt die Augen auf. Das „Kanibalenkarnickel“! Egal. Auf alle Fälle war Gefahr angesagt, ein bedrohliches Szenario für den Vierbeiner. Von Röschel schlägt an, unüberhörbar. Wild rennt er hin und her. Erneut brüllt es von oben: „Albeeerrrt! Aus!“ Die Haltung des Ausrufenden wandelt sich, als seine Augen das Flammenmeer jenseits des Rapsfeldes erblicken. „Ilse, schnell! Ruf die Feuerwehr! Da drüben brennt es mal wieder, aber dieses Mal richtig!“
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