Bente Clod
Saga
Sieben Sinne. Der Roman aus der Frauenbewegung
Aus dem Dänisch von Regine Elsässer
Originaltitel: Syv Sind © 1980 Bente Clod
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711487440
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com
”Ich nehme den toten Vogel mit, um eine passende Stelle zu finden, eine Landschaft, die mir entspricht, um ihn abzeichnen zu können. In diesem Sinne kann man sagen, daß die Bilder konstruiert sind.“
(Die Grafikerin Vibeke Wencke Nielsen über ihre Zeichnungen von ölverklebten Meeresvögeln.)
In der Wohngemeinschaft ’Tantchens Gardinen‘ im Alten Kongevej, einer alten Hauptstraße mit Patrizierhäsern, wohnen:
Jane (34)
Allan (5)
Anne-Marie (32)
Rune (6)
Else (28)und ab und zu
Eva (28)
Im Musikkollektiv in Söerne, einer Gegend mit Seen und Parks, wohnen:
Helle (24)
Ida (26)
Charlotte (25)Auf dem Speicher über dem Musikkollektiv wird die Frauenzeitung Thit redigiert und hergestellt.
Mirjam (31) wohnt in der Möllegade, einer kleinen Straße in einem ärmeren Teil der Innenstadt.
Anne (44) wohnt mit dem Hund Vimmer im Vodroffsvej, einer Straße in einer besseren Gegend.
Ase (33) wohnt in der Nansengade.
Lone (51) wohnt in der Holsteingade in der Innenstadt.
Jette (26) und
Franz (24) und
Jonas (1) wohnen in der Elmegade in einer ärmeren Gegend.
Mirjams Vater (55) wohnt in Birkeröd, einer Vorstadt von Kopenhagen.
Kristina Dahl (52) wohnt auf dem Lande auf einem Hof bei Slagelse.
Gitte (26)
Kim (26)
Sara (52)
Ada (55)
Ruth (14)
Ricke (14), Pilar, Francoise, Funken und einige andere Frauen wohnen auf der Mölleinsel.
Das verwendete Lied ”The Woman in your Life“
stammt von der amerikanischen Sängerin Alix Dobkin
Mirjam schnallte sich an. Die braunen Pakete mit den Büchern standen auf dem Rücksitz. Plastikbecher, Weinflaschen und Blumensträuße lagen im Auto auf dem Boden.
Sie schaute Anne von der Seite an. – Kommst du mit zurück und bleibst du heute Nacht bei mir?
– Wenn du willst ... Anne steckte den Schlüssel ins Zündschloß. (Anne mit dem Halstuch aus Baumwolle und dem Herzen aus Gold. Anne vor dem Fernseher, vor dem Bücherregal, vor mir ...)
– Klar will ich, antwortete Mirjam und fuhr ein bißchen zu schnell fort: – Wir werden sehen. Ich schmücke den Raum und du verkaufst das Bier. Das Plakat, daß wir die Getränke nicht gratis ausschenken können –
– ist geschrieben. Lone und Charlotte schleppen wohl gerade das Bier ins Cafe. Sie kümmern sich auch um die Bücher, falls jemand etwas kaufen will oder Fragen hat.
– Und Jette und Ase reden mit der Presse. Ich halte mich da ganz raus –
– Wenn du kannst, ja. Du mußt ihnen helfen, wenn sie nervös werden.
– Was ist mit dem Mikrofon für Ida?
Sie schauten sich an und dann aus dem Fenster.
– Sie hätte wohl etwas gesagt , wenn es nötig gewesen wäre, jammerte Mirjam.
– Das Cafe ist nicht so groß. Es wird schon klappen. Anne schlang optimistisch ihr Tuch ein weiteres Mal um den Hals:
– Hast du deine Gedanken im Griff, Jammer? Hast du deine Zehen gezählt?
– Ja?
Sie drehte die Scheibe herunter und ließ das Auto an: – Wir haben es geschafft! Jesus, Maria und Thit Jensen a, wir werden heute die Obermütter!
Das ist das erste Mal, daß eine Kleingruppe ein Buch in dieser Art herausbringt – Ihr beschreibt mit Hilfe von Gedichten, Fotos und Auszügen aus Tonbandprotokollen, was im letzten Jahr zwischen Euch passiert ist. Was wollt Ihr damit sagen? Der Journalist vom Radio streckte Mirjam das Mikrofon hin, die den Mund zusammenkniff und es mit einem Nicken an Jette zurückgab. Es hatte ein halbes Jahr gedauert, bis Jette sich an den Gedanken gewöhnt hatte, vor der Presse etwas zu sagen. Sie sollte es jetzt auch tun!
Jette erzählte von dem Bedürfnis, weiterzugeben, worüber in einer solchen Kleingruppe geredet wird und von der Frauenzeitung, die die Gruppe ins Leben rufen will, wenn von dem Buch Geld übrig bleibt. Sie redete schnell und atemlos und setzte mit einem finsteren Blick das Bierglas an den Mund: von mir kommt nichts mehr!
– Es ist auch das erste Mal, daß der Begriff Selbstver- äh – Selbst-
– Selbsthilfe, das heißt Selbstuntersuchung der Scheide.
– Ja, es ist also das erste Mal, daß der Begriff Selbsthilfe genauer in Wort und Bild erklärt wird. Habt ihr nicht irgendwie das Gefühl, daß Ihr Euch selbst ausstellt – und habt ihr denn keine Angst, daß der Frauenkampf sozusagen im Unterleib enden wird?!
Mirjam schubste Ase liebevoll an, die ihre Brille ein bißchen weiter nach oben schob und den Mund aufmachte. Es kam nicht ein Ton. Sie trank einen Schluck von Jettes Bier und antwortete dann so freundlich und gründlich, wie nur Ase das konnte, daß sie nichts Falsches darin sehen könnte, die eigene Gebärmutter abzubilden und daß der Frauenkampf nirgendwo zu Ende wäre, den hätte es immer gegeben und würde es auch weiterhin geben. Sie schob wieder die Brille hoch und stellte fest, daß sie Mirjams Hand streichelte. – ein ganzes Jahr! rief sie aus, – daß das Buch nach all dieser Zeit erschienen ist!
Der Journalist reichte erheitert das Mikrofon weiter:
– Mirjam Agard, du bist die einzige in der Gruppe, die einen ”bekannten Namen“ hat und schon Schriftstellerin ist. Dein Roman Sprünge ist bekannt, und viele Frauen haben ihn gelesen. Glaubst Du, daß Euer Buch die gleichen Chancen hätte, wenn Du nicht mit dabei gewesen wärst?
Die Luft war zum Schneiden vor Einverständnis. Mirjam fing an zu schwitzen. Ase explodierte:
– Wir haben eine Menge Energie darauf verwendet, klarzumachen, daß wir eine Gruppe sind, die zusammen arbeitet, und es geht uns verdammt auf den Geist, daß Mirjam immer wieder hervorgehoben wird. Dieser ewige Personenkult ist eine Krankheit. Wir haben uns alle sieben zu diesem Buch durchgeredet, -geschrieben und -geschuftet. Jane, die heute nicht dabei sein kann, weil ihr Sohn krank ist, hat die Bänder abgeschrieben, Lone da drüben hat die politische Analyse geschrieben, ich habe fotografiert, Charlotte hat das Layout gemacht, meine Mutter hat Korrektur gelesen, wir haben alle zusammen unsere Worte, Ansichten und unser Herzblut in das Buch ’Sieben Sinne‘ eingebracht!
Mirjam legte den Arm um Ase und streichelte sie. Der Journalist bedankte sich und zog ab. Sie empfand eine große Zärtlichkeit für Ase. Trotz ihrer Fähigkeiten, sich durch Sitzungen und Referate zu hetzen – um hinterher jammernd ihre verlorenen Gefühle zu suchen – trotz ihrer unvorhersehbaren Ausbrüche und Meinungen: Ase war Ase war Ase.
Die Stimmung im Buchcafé Kvindfolk war dicht. Es bewährte sich, hinter einer improvisierten Theke Bier und Wein zu verkaufen, statt jedem ein halbes Glas Sherry zu reichen. Die Leute unterhielten sich so angeregt, daß der ganze kleine Laden summte. Mirjam betrachtete Lone, die in ihrer apfelgrünen Tunika dastand und die Arme um ihre Tochter und ihren Sohn gelegt hatte. Sie war richtig in ihrem Element. Sie genoß es offensichtlich, ihre erwachsenen Kinder in ihre neue Welt einladen zu können, sie redete und zeigte und holte noch ein goldbraunes Gesundheitsbrot aus ihrer Tasche.
Jette und Franz standen an der Wand und hatten Jonas auf dem Arm. Wußte er etwas? War es Jette gelungen, mit ihm über den Entschluß zu reden, den Entschluß, den sie letzte Nacht gefaßt hatte, nach langen Jahren des Überlegens, mitten im Einpacken und Verschicken: daß sie sich trennen will und eine Zeitlang alleine wohnen will?
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