Gleichzeitig war Anne alles, was weiblich ist: ”Ich gebe nach, ich mache mich klein und weich – dann gibst du mir schon das, was ich als Gegenleistung haben will.“ Niemand, der sie kannte, wollte glauben, daß sie ganz einfach alles vergessen konnte, woran sie sich nicht erinnern wollte. Sie war nachgiebig und passiv-leidenschaftlich und so ehrlich und aufrichtig, daß ich mir oft wie ein Fehler in ihren Berechnungen vorkam.
Meine vorsichtigen Liebeserklärungen hinterließen eine Stille, die keine von uns durchdringen konnte. Alles konnte ich ihr geben, nur die entscheidenden Beweise nicht. Mein Körper petzte. Seine nicht vorhandenen Absonderungen und der ruhige Atem standen im krassen Gegensatz zu den Worten, Händen, der Liebe zwischen uns. Alles konnte ich ihr geben, nur meinen eigenen kleinen Tod nicht. Als sie im Frühjahr anfing, von anderen Frauen zu sprechen, glaubten wir beide nicht so recht daran.
Geschenke, die keine Geschenke waren. Ablaßbriefe anstelle von Auskünften. Hände, die ins Leere griffen, Füße so schwer wie Marmor. Lächeln, das erstarb, bevor es ankam, Silberfäden zwischen uns, die schmolzen und als Schnur zu Boden fielen.
In Wirklichkeit ging es auch um den inneren Anlauf zum nächsten Roman, aber das wußten wir nicht, am allerwenigsten ich. Das Inselbuch war zu diesem Zeitpunkt ein unüberschaubares Projekt. Es war nicht möglich, zu wissen was eigentlich was war. Wir liebten uns. Wir konnten nur nicht –
Irgendwann wurde ich ungerecht kritisch. Fand plötzlich, daß Anne eine Kopie ihres Vaters war. Ein Wolf im Schafspelz: Sie ging genauso schweigsam durchs Leben, ohne zu sagen, was sie meinte und dachte, obwohl sie es sehr wohl wußte. Sie ”handelte“, ja danke. Genauso schweigsam arrangierte sie das Leben um sich herum, so wie es ihr paßte, ohne andere um Rat zu fragen, ohne wirklich Rücksicht zu nehmen. Sie war in den letzten beiden Jahren, in denen sie zusammenwohnten, hart gegen Sonya gewesen, wirklich hart –
Anne stand jeden Morgen auf, ging zur Arbeit, kam abends nach Hause und saß über ihren Steuererklärungen. Guckte ab und zu mal fern und ging ins Bett, ihr Gesicht wurde jeden Tag ein bißchen grauer. Sie besuchte ihre Mutter und Sonya und ihre gemeinsamen Freunde, redete wie immer von ihnen. Ich wurde unsicher: war ich diejenige, die Gespenster sah, hatte nur ich ”Probleme“? Wenn ich nur gewußt hätte, wie sehr es sie berührte, ob es meine eigene kleine Spinnerei war oder eine gemeinsame Krise, wenn nur Anne selbst auch ein paar Gedanken formuliert hätte, wenn nur –
Ich fuhr eine Woche lang alleine nach Femö zum Vorbereitungslager. Es war richtig befreiend, sich mit schweren, nassen Zeltplanen herumzuplagen. Es passierte wenigstens etwas, als Jane und ich die Waschhütte zusammennagelten und sie für das siebente Jahr aufstellten.
Das Gemeinschaftszelt wurde aufgerichtet und das Stahlskelett des Essenszeltes zusammengeschraubt. Als ich da oben, Schulter an Schulter mit Jane, vier Meter über dem Gras hing, war ich plötzlich überzeugt davon, daß eine Gesellschaft wie die Inselgesellschaft Wirklichkeit werden konnte: Auf der Insel gäbe es ganz einfach keine Möglichkeit, in die großen Plenum-Uneinigkeiten zu geraten. Und Tante Adas Schafe würden die Frauen auch ganz schön in Trab halten! Sie wären dauernd gezwungen, die intellektuellen Prozesse zu unterbrechen, die so tödlich werden, wenn sie das übergeordnete Muster des Zusammenseins sind. Die Stadtgeseilschaft bot keine ausreichenden Möglichkeiten, vom Tisch loszukommen. Der Körper wurde vernachlässigt, während der Kopf überstrapaziert wurde. In fast allen Projekten, in denen ich in den letzten 2-3 Jahren war, setzte sich der trockene Staub der Gespräche im Hals fest. Während die letzten Planen des Gemeinschaftszeltes mit Schnur zusammengebunden wurden, wurden auch die verstreuten Gedanken und die Insel auf dem Boden des Bewußtseins zu einem soliden Flickenteppich zusammengenäht. Dann mußten nur noch ein paar Borten gehäkelt werden, ein paar neue Maschen, Farben, Muster und eine Kante drumherum.
Als ich nach Hause kam, war Anne eine Woche mit Sonya in Rom gewesen. Wir kamen uns mit offenen Armen und angehaltenem Atem entgegen.
Eine Woche später war alles wie zuvor.
Ich verschwand ein Wochenende, ohne zu sagen wohin.
Erst als Anne in einem Vakuum zurückgelassen wurde, begann sie, an ihrer Unsicherheit zu arbeiten. Sie war es nicht gewohnt, die Gefühle ans Licht zu holen, das bereitete ihr größte Qualen. Mit bohrenden Kopfschmerzen weinte und schrieb sie sich durch das Wochenende, machte in einer riesigen Kraftanstrengung den Versuch, sich ein paar Worte über sich selbst anzueignen und sie zu gebrauchen. Gegen ihren Willen und zu einer Zeit, in der die Tabus um die Liebe zwischen Frauen nicht mehr so stark waren, tastete sie sich schneeblind vorwärts und hatte das Tabu als einzigen Ausgangspunkt. Alles, was verschwiegen worden war, hatte ihre wortlosen Wege seit den fünfziger Jahren geformt, und keine Frauenbefreiung oder Geschlechtsrollendiskussion konnte dreißig Jahre später die Spuren der Kindheit in so kurzer Zeit verändern.
Als ich zurückkam, redeten wir eine ganze Nacht. Wir weinten, liebten uns, beschimpften uns ernsthaft – das hatten wir auch noch nie getan. Konfliktangst war überhaupt kein Ausdruck, es war die Unfähigkeit, sich die Scheiße überhaupt anzusehen. Ruhig, wie vernünftige Menschen, einigten wir uns schließlich darauf, auseinanderzuziehen. Das war ein Jahr nach der Nacht unter dem Weißdorn. Der Beschluß band uns zusammen und gab uns eine Menge praktischer Aufgaben, die gemeinsam gelöst werden mußten. Nicht daß es uns an praktischen Aufgaben gefehlt hätte: da waren die Sieben Sinne – wo es während unserer Fahrt über den Wolken gekracht hatte – da war die lesbische Literaturgruppe und eine Arbeitsgruppe für das neue Frauenhaus b. Aber es war ein gutes Gefühl, etwas zu machen, eine physische Veränderung vorzunehmen. Wir sahen uns mehr denn je, nachdem ich in die Wohnung in Norrebro zurückgezogen war und Anne eine Wohnung am Vodroffsvej gefunden hatte.
Die anderen in der Gruppe atmeten erleichtert auf, als sie merkten, daß es dem ”Paar“ besser ging. In Wirklichkeit ging es uns nicht so sehr viel anders, wir hatten uns nur in Das Große Verschweigen gerettet. ”Wir sind auseinandergezogen, um die Beziehung zu retten.“ ”Wir ertragen es beide nicht, so nah aufeinanderzuhocken.“ ”Wir brauchen beide Platz, Spielraum.“
Niemand fragte, was zwischen dem Weißdorn-Wochenende und dem Angst-Wochenende geschehen war. Das Buch war geplant, und für das Abschreiben der Bänder ging fast der ganze Sommer drauf. Es war keine Zeit ...
Der Wind wehte die Blätter aus den Pfützen und gegen den Bürgersteig, wo sie nasse Streifen hinterließen. Mirjam fuhr zusammen, als die Rathausuhr über ihr sieben schlug. Sie fror, stand ganz steif vor Kälte auf und ging zum Buchcafe zurück. Es nieselte. Sie rannte, um warm zu werden.
Die anderen hatten gerade mit dem Aufräumen angefangen, als sie zurückkam. Die letzten Gäste saßen in einer Ecke und redeten. Ases Mutter saß mit Annes Mutter zusammen, sie waren fröhlich und ausgelassen und schauten Ases Fotos im Buch an. Da kam die Sehnsucht hoch, die den ganzen Nachmittag unter der Oberfläche gelegen hatte: Wenn doch ihre Mutter jetzt auch hier wäre! Sie leerte hektisch die Aschenbecher und schluckte die Tränen hinunter. Eine Frau aus der Gesundheitsgruppe und ein Fotograf waren hängengeblieben und tranken mit Jette und Franz die letzten Becher am Tresen. Lones Tochter und Sohn halfen eifrig mit, die selbstgebakkenen Brote und die Salate in Alufolie zu verpacken und in der großen Leinentasche zu verstauen, in der immer irgendwas aus ihrer Küche war. Sonya und Charlottes Exmann sammelten Flaschen ein. Vimmer hing abwechselnd an Annes oder Sonyas Fersen, äußerst zufrieden, weil seine beiden Frauchen sich ausnahmsweise einmal im gleichen Raum befanden. Anne kam mit einem Arm voller Plastikbecher auf sie zu. Mirjam küßte ihren forschenden Blick weg, und die Plastikbecher fielen mit großem Getöse auf den Boden. Jane wartete in ’Tantchens Gardinen‘ mit Brot und Käse auf sie, sie hatten ausgemacht, bei ihr zu essen und zu feiern, bis so gegen Mitternacht die ersten Zeitungen erschienen. Die Bücher sollten vorläufig in das Mädchenzimmer hinter der Küche, wo sie auch die letzten Wochen gearbeitet hatten, bis die Redaktionsräume über dem Musikkollektiv fertig waren. Es war ein richtiges Vergnügen, alles ins Auto zu verpacken und zu wissen, daß die Premiere überstanden war.
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