„Auch gut. Dann schaue ich mich erst einmal um, wer alles unter den Gästen zu finden ist.“
„Dein Studienfreund und Kollege nebst Gattin ist bereits hier. Die Dame ist unter seinem Niveau, aber wem sage ich das. Katharina, ich werde an der Front gebraucht. Du kommst doch klar?“
„Aber sicher, Mutter.“
Evelin eilte davon und ließ ihre Tochter einfach so stehen. Katharina zuckte nur mit den Schultern und schlenderte durch den üppig blühenden Garten. Ein Hoch auf den engagierten und gut bezahlten Gärtner. Hier und da ergatterte sie ein freundliches Nicken, aber die Gäste unterbrachen selten ihre Gespräche, um sie persönlich zu begrüßen.
Angestrengt hielt sie nach David, ihrem Kollegen, Ausschau, denn sie wollte ihm unbedingt das Videomaterial zeigen. Er war ihr Vertrauter und bester Freund, schon seit dem Studium. David hatte nie einen Hehl daraus gemacht, sich unsterblich in Katharina verliebt zu haben. Aber sie ließ ihn abblitzen. In ihren Augen war er definitiv zu brav und zu lieb, um sich eine erotische Beziehung mit ihm vorstellen zu können.
Enttäuscht darüber, heiratete er sehr jung, doch seine erste Ehe scheiterte. Nach seiner Scheidung ging Katharina ein paar Mal mit ihm aus. Aber es fühlte sich irgendwie falsch an, diese innige Freundschaft wegen eines Liebesaktes zu zerstören. Okay, sie waren bereits kurz davor, sich einander hinzugeben, aber sie hatte gerade noch rechtzeitig die Reißleine gezogen.
Wenig später heiratete David in aller Stille eine Patientin. Das galt unter Kollegen als verpönt, aber Katharina konnte es David nicht verübeln. Sie hatte ihn zurückgewiesen, ein weiteres Mal, und ihn damit zutiefst verletzt. Hin und wieder fing sie einen seiner sehnsüchtigen Blicke ein. Ja, er liebte sie noch immer und zeigte offen seine Schwäche für sie. Vielleicht war David doch die Liebe ihres Lebens und sie hatte die vielen Chancen, eine eigene Familie zu gründen, sinnlos verstreichen lassen.
Endlich hatte sie David gefunden. Verloren stand er unter dem Dach des Pavillons im hinteren Teil des großzügig angelegten Gartens. Glücklicherweise war von seiner Gattin weit und breit nichts zu sehen, also pirschte sie sich an ihn heran.
„Na du, auch hier?“ Lächelnd blickte sie zu ihm auf. Sein müder Blick streifte ihr Gesicht und hellte sich augenblicklich auf. David sah genauso abgearbeitet aus wie sie selbst.
„Eigentlich würde ich viel lieber auf der eigenen Couch liegen, Psychiater hin oder her, aber Vanessa wollte unbedingt wieder einmal unter Menschen. Sie muss im Mittelpunkt stehen, muss unablässig bewundert werden … na du weißt ja, wie sie ist. Dir hätte die Couch auch besser gestanden, so erschöpft, wie du ausschaust.“
„Danke für das Kompliment, David.“ Katharina lachte. „Du kannst es wunderbar umschreiben, wenn selbst das Make-up die Augenringe nicht mehr verbergen kann.“
„Trotzdem bist du noch immer eine Augenweide.“
„Lass das bloß nicht deine Gattin hören. Aber ich möchte dich etwas fragen.“
„Deine Frage kommt zu spät. Ich bin leider schon vergeben, wie dir sicher aufgefallen ist.“
Sie knuffte ihn in die Seite. „Das ist mir in der Tat schon aufgefallen. Aber jetzt Spaß beiseite. Ich habe eine Mail aus Russland bekommen, jemand bittet um meine Hilfe. Es geht um seltsame Vorfälle innerhalb eines Hospitals und ich denke, es handelt sich um ein gefaktes Video. Vorher möchte ich dennoch deine Meinung einholen.“
Sie fischte das Handy aus ihrer Tasche, tippte auf dem Display herum und hielt David das Video unter die Nase. „Und, was sagst du?“
Er neigte seinen Kopf und sah sie an. „Kaum vorstellbar, welche Zustände dort herrschen. Sollst du Spenden sammeln?“
„Keine Ahnung, aber was denkst du über diesen Patienten?“
„Wenn er nicht schon vorher wahnsinnig war, so hat er spätestens in diesen vier Wänden seinen Verstand verloren.“
„Da stimme ich dir zu, aber wieso kann er schweben?“
„Wie … schweben?“
„Hast du das denn nicht gesehen?“ Erneut spielte sie das Video ab.
„Ach das meinst du. Ja, es sieht tatsächlich so aus, als ob der Mann in der Luft levitiert. Aber ich bezweifle die Echtheit. Für Kameras reicht das Geld, aber nicht für anständige Zimmer und Betten? Wirklich seltsam.“
„Also bist du auch der Meinung, dass diese Leute sich dort nur wichtigmachen wollen und es geht dabei um etwas ganz anderes?“
„Mit Sicherheit. Lass uns doch das Material gemeinsam in der Klinik noch einmal sichten, dort steht uns zumindest ein größerer Monitor zur Verfügung. Du hast zwar morgen frei, aber wenn du eine halbe Stunde dafür opfern würdest, wäre das klasse. Du kannst mir ja während meiner Mittagspause einen Besuch abstatten.“
„Kann ich machen, der Tag ist sowieso nicht verplant. Mich interessieren vor allen Dingen die Beweggründe, weshalb ausgerechnet mir diese Mail zugeschickt wurde.“
„Tja, dein guter Ruf eilt dir voraus und du brauchst deine Doktortitel nicht zu verstecken.“
„Danke für die Ehre. Du, mir knurrt mein Magen und ich werde mich mal an die Front vorarbeiten. Wir sehen uns morgen.“
„Ja, bis morgen.“
Katharina wandte sich ab und tauchte in der Menge unter. Sie war froh darüber, Davids Frau nicht begegnet zu sein. Die hätte mit Sicherheit wieder eine Szene gemacht. Vanessa litt unter dem Borderline Syndrom und machte David inzwischen das Leben zur Hölle. Gegen diese psychische Störung war kein Kraut gewachsen, selten half eine Therapie auf Dauer.
Vanessa wirkte charismatisch und sehr weiblich. Dieser Umstand ließ Männerherzen höher schlagen, besonders das von David. Er hatte wohl gehofft, sie heilen zu können oder sie zumindest seelisch zu stabilisieren. Doch das ging mächtig nach hinten los. Nur seine tiefen Schuldgefühle ihr gegenüber, hielten ihn von einer Trennung ab.
Er hatte sich, genau wie Katharina, eine große Familie gewünscht. Doch auch für ihn schien dieser Traum ausgeträumt. Sie wusste, dass er seine selbstsüchtige Frau niemals auf eigene Kinder loslassen würde. Vielleicht hatte Katharina, mit ihrer Hinhaltetaktik, zwei Menschen unglücklich gemacht.
David war durchaus ein attraktiver Mann, mit seinen grauen Schläfen, der stattlichen Figur und seiner sympathisch warmen Ausstrahlung. Die Patentinnen lagen ihm reihenweise zu Füßen. Trotz aller Versuchungen war er nur bei Vanessa schwach geworden und hielt treu zu ihr, auch wenn es ihm immer schwerer fiel.
„Lass gefälligst die Finger von meinen Mann“, fauchte eine Stimme hinter ihr. Erschrocken drehte sie sich um und starrte verständnislos in Vanessas zorniges Gesicht.
„Du brauchst gar nicht so dumm aus der Wäsche zu gucken, du weißt genau, was ich meine … Der Zug ist für dich abgefahren, du hast deine Chance verpasst. Halte dich in Zukunft von David fern!“, drohte sie leise.
„Liebe Vanessa, ich hatte rein beruflich mit ihm zu tun. Bitte unterstelle mir nicht ständig, deinen Mann anzugraben. Ich weiß, was sich gehört.“
„Ach ja? Kaum auf der Party und schon tauchst du bei ihm auf. Komisch, nicht?“
„Ich verspüre keine Lust auf dieses Theater, Vanessa, lass es gut sein. Warum bist du nicht bei ihm, wenn es dich stört, dass er sich mit mir unterhält?“
„Soll ich ihn rund um die Uhr bewachen?“
„Tust du ja bereits.“
„Halte dich von ihm fern, okay!“
„Vanessa, ich wiederhole es noch einmal: Es war rein beruflich. Ich habe ihm nur ein Video gezeigt.“
„Soso und wo hast du deinen Laptop versteckt?“
„Hier schau, das Video befindet sich auf meinem Handy.“
Neugierig verfolgte Vanessa das Geschehen auf dem winzigen Display und wich plötzlich verstört zurück. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte davon. Verwundert blickte Katharina ihr hinterher. Aus dieser Frau wurde sie einfach nicht schlau.
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