Nun wurden von vielen die Hände verworfen. „Geht das schon wieder los!“, stöhnte der Mann mit den buschigen Augenbrauen. „Sie sind ausgestorben, Henry, schon seit Jahren. Lass doch deine Schwarzseherei einmal ein wenig ruhen.“, fuhr er den bärtigen Mann an.
„Wie erklärst du dir dann seine Fähigkeiten?“, sie deuten unverkennbar auf die...“, da wurde er von einer alten, gebrechlichen Frau unterbrochen. „Wir kennen seine Fähigkeiten doch noch gar nicht, Henry.“, krächzte sie. „Lass doch die Vergangenheit endlich ruhen.“
„Ihr seid doch alle blind! Und das wird noch der Untergang Elysstains sein, das sage ich euch!“, meckerte der Alte mit dem weissen Bart.
Fayn war verwirrt. Offenbar hatte er eine alte Diskussion vom Zaun gebrochen. Das klang alles ziemlich interessant. Er sollte dem mal nachgehen. Erst musste er aber die Kontrolle über das Gespräch wieder zurück erlangen.
„Nun, so gefährlich Oshu sein mag, die Fähigkeiten Corvus dürfen wir auch nicht unterschätzen. Es gibt zwar keine Gefahr, dass er unbemerkt verschwinden wird. Doch ich habe seine Fähigkeiten schon am eigenen Leib erfahren, wie Ihr unschwer erkennen könnt.“, Fayn deutete an sich herab. Sein zerrupfter Kimono und seine blauen Flecken zeugten noch immer von dem Kampf mit Corvu. Durch seine Festnahmen haben wir zwar die Strassen vorerst vor weiterem Chaos bewahrt. Allerdings brachten wir das Chaos lediglich in den Gefängnisturm. Corvu dort gefangen zu halten macht die Stadt eher gefährlicher als sicherer.“
Die dicke Dame nickte eifrig. „Da hat der Junge nicht unrecht!“, rief sie aus.
„Nun, “, meldete sich der Ratsvorsitzende besonnen. „Ich sehe Euren Punkt, Meister Fayn. Das Gefängnis ist vielleicht nicht die beste Strafe für die Beiden. Was schwebt Euch denn als Alternative vor?“, wollte er wissen.
Fayn zögerte. Jetzt kommt es. Er war aufgeregt, doch spielte er es hinunter. Er holte tief Luft um seinen Vorschlag zu erläutern. Doch da fiel ihm bereits der Mann mit dem weissen Bart ins Wort. „Wir sollten sie hinrichten.“, schlug er vor.
„Da muss ich Henry ausnahmsweise mal Recht geben. Das wäre wohl wirklich die beste Lösung.“, stimmte der Mann mit den Augenbrauen zu.
Fayn war schockiert. Nein, nein, nein. Das Gespräch durfte sich nicht in diese Richtung entwickeln. Er durfte nun nicht locker lassen. „Mit Verlaub meine Herren, da habe ich einen besseren Vorschlag. Ein Vorschlag, der keine Menschenleben kosten wird, ein Vorschlag, der die beiden Diebe davon abhalten wird je wieder Unfug zu treiben. Ausserdem wird dadurch die Arbeit der beiden Elysstainischen Garden noch mehr erleichtert. Es wird der Stadt auch aussenpolitisch einen grossen Vorteil verschaffen.
Um es kurz zu machen. Ich habe mir eine Lösung überlegt, die nur Gewinner hervorbringt.“, verkündete Fayn bestimmt und voller Stolz.
Der Ratsvorsitzende hob die Augenbrauen. „Da versprecht Ihr aber viel, Meister Fayn. Wie sieht Eure tolle Lösung denn aus?“
„Es ist einfach. Wir gründen eine Gilde.“
Absolute Stille kehrte ein. Zwölf Augenpaare starrten ihn ungläubig an. Nach einer Weile wandten sich die ersten dann schmunzelnd ab. Es wurde abgewunken, gekichert, den Kopf geschüttelt oder mitleidig auf ihn herabgeschaut.
Fayn fühlte wie Zorn und Verachtung in ihm aufstieg. So musste sich Corvu also all die Zeit über gefühlt haben.
Die dicke Dame war die erste, die wieder zu Worten kam. „Ach, mein Junge. Das ist leider nicht möglich. Weisst du denn nicht, dass seit über hundert Jahren keine neue Gilde gegründet worden ist?“, versuchte sie ihm beizubringen.
„Ja, Junge.“, fügte der drahtige Mann mit den Augenbrauen hinzu. „Du solltest vorsichtig sein mit solchen Äusserungen. Damit machst du dich nur lächerlich.“
Fayn zitterte fast vor Wut. Diese aufgeblasenen sturen Greise! Nein, so konnten sie nicht mit ihm umspringen. Er war Fayn Biatali. Vielversprechendstes Mitglied des ehrenwerten Gärtner-Klans.
„Mit Verlaub.“, sagte er bestimmt. Er konnte nicht verhindern, dass ein wenig Zorn in der Stimme mitschwang. „Ihr seid es, die sich lächerlich machen.“, er stemmte sich mit aller Macht gegen die niederdrückende Stimmung des Stadtrates. Er machte einen Schritt vorwärts.
„Ihr seid es, die vor Grenzen zurückschrecken, die gar nicht existieren. Es ist nicht unmöglich! Im Gegenteil, eigentlich steht einer Gründung nichts im Wege. Laut Gesetz braucht es mindestens vier Gründungsmitglieder. Mit Oshu, Corvu und Lilith sind wir das. Laut Gesetz fehlt nur noch die Erlaubnis des Stadtrates. Und ich sehe keinen Grund, warum wir die nicht erhalten sollten. Die Vorteile habe ich Euch gerade erläutert. Nachteile gibt es nicht. Ich weiss genau so gut wie Ihr, dass schon lange keine Gilde mehr gegründet worden ist. Seit hundertdreiundzwanzig Jahren um genau zu sein. Aber es war niemals verboten. Damals wurde einfach keine neue Gilde gebraucht. Und so hatte es sich dann ergeben, dass diese Anzahl Gilden als gegeben angesehen wurde. Der einzige Grund, der im Weg steht, ist also diese Tradition. Ihre Gedanken sind es, die es „unmöglich“, machen. Lediglich Ihr stures Festhalten an der Vergangenheit behindert den Aufstieg Elysstains zu einer angeseheneren Stadt.
Ich bitte Euch also inständig die Fesseln der Traditionen abzulegen und einen mutigen Schritt vorwärts zu machen!“, trug Fayn den Herrschaften vor.
Ein weiteres Mal herrschte betretenes Schweigen. Da fing ein untersetzter Mann mit grauem Krauskopf und einer Halbglatze zu kichern an. „Die Biatali wollen tatsächlich eine Gilde gründen.“, winkte er kopfschüttelnd ab.
„Falsch.“, wies Fayn den Mann zurecht. „ Ich will eine Gilde gründen. Meine Familie hat damit nichts zu tun. Genauso wenig wie der Klan. Es ist meine Entscheidung und ich trage die Verantwortung. Niemand sonst.“
„Das ist doch alles Schwachsinn.“, mischte sich eine Frau mit geflochtenem Haar ein. „Solch eine Tradition kann man nicht einfach mit Füssen treten. Die meisten Traditionen haben einen Grund zur Existenz. Und das ist ein Grund sie einzuhalten.“, behauptete sie.
Fayn hatte sich wieder etwas mehr unter Kontrolle. Er nickte. „Zu Beginn mag das stimmen. Aber die Zeiten ändern sich und Traditionen veralten. Nichts kann über all die Zeit gleich bleiben. Die Menschen ändern sich und auch ihre Regeln und Ansichten.
Ich sollte Euch nicht an den Orden erinnern müssen. Auch seine Gründung vor ungefähr fünzig Jahren brach mit allen möglichen Traditionen des Kontinents. Doch war es von Nöten. Unsere Traditionen behinderten uns damals nur und hätten beinahe unsere Welt in den Abgrund gestürzt.“
Der Ratsvorsitzende hatte alles mit angehört und sich wortlos seine Gedanken über das Gesprochene gemacht. Doch nun meldete er sich auch zu Wort. „Das war etwas anderes damals, Meister Fayn, Es herrschte Krieg. Heutzutage leben wir in friedlichen Zeiten. Warum etwas ändern was gerade gut läuft?“, die Frage war eigentlich rhetorisch gemeint, doch Fayn hatte bereits eine Antwort darauf parat.
„Ihr wollt also erst etwas ändern, wenn es nicht mehr gut läuft? Also, wenn es bereits zu spät ist? Ein guter Anführer, für den ich Euch halte, sorgt dafür, dass es ohne Unterbruch auch in der Zukunft gut läuft.
Und wer in die Welt hinein hört, weiss, dass sie sich bereits verändert. Die Gilden sind unruhig und viele von ihnen stehen sich immer feindseliger gegenüber. Es gehen sogar Gerüchte um, dass verschiedene Allianzen gebildet wurden. Hört sich das für Euch nicht verdächtig nach Krieg an? Was, wenn eine Stadt vor uns die Traditionen bricht? Was, wenn der Arena plötzlich wieder das Schlachtfeld vorgezogen wird? Was, wenn die Gilden anfangen wirklich gegeneinander in den Krieg zu ziehen? Wollt Ihr Elysstain wirklich, so ungeschützt wie es jetzt ist, in solche Zeiten führen?
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