Cosco schaute den Commander zunächst an, als würde er an seinem Verstand zweifeln, doch dann akzeptierte er Mavis Entscheidung mit einem knappen Nicken. „Zu Befehl Commander!“
Mavis erkannte, dass Cosco nicht zufrieden mit seiner Aufgabe war, doch kommentierte er das nicht weiter, sondern wandte sich an die anderen Männer.
„Fertig?“ fragte er Captain Tibak, der ihm zunickte. „Okay!“ Mavis schaute in die Runde. Plötzlich stutzte er. „Wo ist der Pater?“
„Hier!“ hörte er sofort Matus Stimme. Mavis drehte sich herum und sah ihn aus einem der Nebenräume kommen. Neben einem Rucksack, den er auf dem Rücken trug, hatte er seine lederne Tasche umgehängt und festgeschnallt. Mavis wusste, dass er dort Unterlagen für ihre Mission bei sich trug. Matu trat neben Dek, der ihm ein Gewehr in die Hand drückte, welches der Pater entgegennahm, als wäre es das Natürlichste von der Welt.
Mavis wurde sich plötzlich wieder bewusst, dass er zwar einen Geistlichen vor sich hatte, der aber eine durchaus beeindruckende militärische Vergangenheit besaß. Auf der einen Art beruhigte ihn das, weil er wusste, dass auf Matu auch in Extremsituationen Verlass war, allerdings erinnerte es ihn auch daran, dass er eigentlich schon längst vorgehabt hatte, ihm auf den Zahn zu fühlen und seine bisher eher vage gemachten Aussagen über seinen Militärdienst zu hinterfragen. Als Matu ihn ansah, lächelte er kurz, doch Mavis nickte ihm nur zu. „Also dann! Cosco und Dek bleiben hier, tarnen das Schiff, halten Verbindung zu uns und Commander Vilo und machen sich ansonsten für einen Alarmstart bereit!“ Er schaute zu Cosco, der nickte und schon wieder ganz friedlich aussah. „Der Rest kommt mit mir!“ Er blickte in die Runde. Alle schauten ihn direkt an, doch keiner sagte etwas. Daraufhin gab er Captain Tibak ein Zeichen. „Abmarsch!“
Dek öffnete die hintere Ladeluke und der Trupp verließ im Laufschritt das Schiff.
Bevor Mavis den Männern folgte, trat er nochmals zu Cosco und sagte. „Tarnen sie die alte Lady nicht zu gut. Am Ende finden wir euch sonst nicht wieder!“ Er zwinkerte ihm zu, grinste kurz, dann wandte er sich um und rannte die Luke hinab.
Cosco schaute ihnen noch hinterher, bis sie in dem dichten Dschungel verschwunden waren. Dann atmete er tief durch und gab Dek das Zeichen, die Luke wieder zu schließen. Er wäre sehr gern mit ihnen gegangen, doch beneidete er sie nicht um ihre Mission, die absolut gute Chancen hatte, wieder ein wahrer Höllenjob zu werden.
Melia schob sich durch eine schmale Nische in den ohnehin engen Gang, dann sprang sie einen kleinen Absatz hinunter, der sie auf eine recht große, beinahe waagerechte Felsplatte führte.
Während sie ein wenig verschnaufte, konnte sie Chalek einige Meter links von sich sehen, wie er ihren Weg bereits weiter erkundete. Der Junge stand vor einem schmalen Durchgang und warf ihr einen kurzen, lächelnden Blick zu, bevor er dahinter verschwand.
Doch Melia entschied, ihm nicht zu folgen. Obwohl sie sehr gut vorangekommen waren, war ihr Weg doch stets sehr gefährlich und sehr anstrengend. Sie brauchte jetzt einfach eine Pause, ein wenig Nahrung und einen Schluck Wasser. Sie nahm ihren Rucksack vom Rücken und streckte sich einmal zu ihrer vollen Größe aus, reckte ihre Arme weit in die Höhe, drückte ihren Rücken durch und stöhnte ausgiebig. Dann holte sie ein Stück Brot und eine kleine Ruari-Frucht aus ihrem Rucksack, die an eine Tomate erinnerte, allerdings nur eine wässrig-orange Farbe besaß, der man bereits ansah, dass sie kaum wirklich gesund war. Dennoch biss Melia herzhaft hinein und ließ sich nicht anmerken, dass der Geschmack eigentlich nur fade zu nennen war. Mit einem Schluck Wasser, dass zumindest noch einigermaßen neutral und frisch schmeckte, ließ es sich aber ertragen.
Während sie kaute, schaute Melia sich um. Sie stand auf einer Felsplatte, die nach vorn hin offen war und einen weiten Blick in das südliche Tibun ermöglichte, wenngleich der Dschungel dort von vielen Nebel- und Dunstschwaden verdeckt war. Einem inneren Impuls folgend, trat Melia bis an den Rand der Platte vor und schaute dann vorsichtig hinunter. Schon eine Sekunde später war ihr klar, dass sie es hätte wissen müssen, denn der Blick in die noch immer schier bodenlose Tiefe raubte ihr erneut den Atem und jagte Schwindelgefühle durch ihren Körper. „Oh warte!“ stieß sie hervor, als sie plötzlich eine Hand an ihrem rechten Oberarm spürte, die sie sanft zurückzog.
Es war Chalek, der zurückgekehrt war, weil Melia ihm nicht gefolgt war.
„Danke!“ sagte Melia und lächelte ihn an.
Alles okay?
„Ja!“ Sie nickte. „Ich brauche nur eine kleine Pause!“
Jetzt nickte Chalek, ging zu der Stelle, wo sie ihren Rucksack gelassen hatte, entledigte sich seines Exemplars und genehmigte sich ebenfalls einen Schluck Wasser.
Währenddessen drehte Melia sich herum und hob ihren Kopf an. Weit über sich erkannte sie den Gipfel des Tafelberges. „Wir sind gut vorangekommen!“ meinte sie schließlich zufrieden und setzte sich neben den Jungen.
Ich schätze, wir haben schon über dreihundert Höhenmeter zurückgelegt!
„Echt?“ Melia war sichtlich überrascht. „Wow, das ist viel!“ Sie atmete einmal tief durch. „Gib mir fünf Minuten, dann können wir auch schon weiter!“
Chalek nickte ihr mit einem sanften Lächeln zu, dann wandte er seinen Kopf nach vorn und schaute scheinbar unbestimmt in die Ferne. Melia bemerkte, dass er sein Lächeln verlor, sobald er sich unbeobachtet fühlte und sich sogar ein dunkler Schatten über sein Antlitz legte. Melia tat so, als würde sie sich entspannen, behielt ihn aber immer irgendwie im Auge. Als sich sein Ausdruck auch nach einer Minute noch immer nicht geändert hatte, begann sie sich Sorgen zu machen. „Chalek?“ fragte sie etwas unsicher.
Der Junge reagierte im ersten Moment nicht, dann erst drehte er seinen Kopf zu ihr. Sein finsteres Gesicht war sofort verschwunden. Ja?
„Ist alles in Ordnung mit dir?“
Warum?
„Du bist so ernst! Irgendwie...!“ Sie suchte nach den richtigen Worten. „...traurig!“
Nein! Chalek schüttelte den Kopf. Nicht traurig. Nur...nachdenklich!
„Warum?“
Ach, es ist wegen des Flugbootes!
„Ja?“
Die Menschen, die ich im Cockpit gesehen habe!
„Was ist mit ihnen?“
Er verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse. Da war ein Mann unter ihnen, der... Jetzt suchte er nach den richtigen Worten. ...ich weiß nicht? Er schaute Melia etwas hilflos an. Er kam mir...bekannt vor!
„Was?“ Melia, die bisher steif dagesessen hatte, drehte sich zu ihm herum und schaute ihm mit großen Augen an. „Aber...?“
Ich bin mir nicht sicher! erwiderte Chalek sofort. Doch... Er blieb einen Moment stumm, dann schüttelte er den Kopf. ...ich spüre etwas...Vertrautes in mir!
„Dann weißt du, wer dieser Mann ist?“
Chalek sah sie einen Moment lang an, dann schüttelte er wieder den Kopf. Nein! Nicht, dass ich wüsste. Ich bin absolut sicher, dass ich ihn noch nie zuvor gesehen habe, aber dennoch... Es ist total verrückt, ich weiß! Er schaute Melia wieder hilflos an, die sichtlich mitfühlte. Ich habe ein derartiges Gefühl noch niemals zuvor gehabt. Ich kann es kaum beschreiben. Er wartete, bis Melis ihn direkt ansah. Aber es lässt mich nicht mehr los!
Seine Freundin schaute ihn einen langen Moment an, dann nickte sie mit einem traurigen Lächeln. „Dann sollten wir wirklich alles daransetzen, das Flugboot und diesen Mann zu finden, damit du sein Geheimnis lüften kannst!“ Sie nickte ihm bestimmt zu.
Chalek musste sofort lächeln und seine Augen strahlten, bevor sie viel zu schnell wieder ernst und nachdenklich wurden.
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