1 ...8 9 10 12 13 14 ...39 Karl grinste breit. Auch wenn er ein gottesfürchtiger Bursche war, so hatte auch er sein Auge für die Schönheiten des Lebens. Vor allem jenen, deren Formen so angenehm und weich waren. Friedrich nahm einen langen Schluck aus der angebotenen Weinflasche. „Und wo machst du hin, wenn das hier fertig ist? Wir wollen nach Amerika.“
Bernd Kahlmann hatte eigentlich keinen besonderen Plan. Er sprach fließend Französisch und fühlte sich hier durchaus wohl. Es gab Arbeit, gutes Essen und schöne Mädchen. Es trieb ihn nicht weiter in die Ferne.
Es dauerte mehrere Tage, bis die Kähne alle beladen waren. Bernd Kahlmann wies auf den Mann im Anzug. „Das ganze Holz geht runter nach Marseille. Dort bauen sie wie verrückt. Häuser und Schiffe. Fragt ihn doch nach einer Passage. In Marseille muss ja auch entladen werden. Vielleicht nimmt er euch mit.“
Der Mann willigte ein. Er brachte sie zu einem stämmigen Franzosen, der sie zu einem der Kähne schob. Die Holzkähne hatten ganz vorne einen kleinen Mast mit einem Segel, doch hauptsächlich wurden die Schiffe durch lange Staken und die Strömung bewegt. Der Mann im Anzug verschwand. Er fuhr über Land mit einer Kutsche, während die Brüder, in Begleitung von Kahlmann, auf den Kähnen fuhren.
„Was soll´s?“, sagte Kahlmann, als er auf den Kahn sprang. „Schöne Mädchen gibt es auch in Marseille.“
Sie fuhren die Rhone herunter und es war eine der schönsten Landschaften, die sie je gesehen hatten. Kahlmann behauptete allerdings, das Tal der Loire mit seinen Burgen und Schlössern sei noch weit schöner. Trotz der Arbeit genossen sie die Fahrt. Ihre Aufgabe war nicht kompliziert. Die Stake ins Wasser, am Rumpf seitlich entlang laufen und dabei kräftig drücken, und am Bootende die Stake aus dem Wasser, wieder zum anderen Ende zurücklaufen und das Ganze von vorne beginnen. Es blieb genug Gelegenheit, dabei die Landschaft zu betrachten und eventuell den Kopf einzuziehen, wenn der kleine Mastbaum mit dem Segel herumschwang. Spätestens nach der ersten Beule hatte man den Dreh rasch heraus. Ein einziges Mal reagierte Friedrich zu spät und landete im Wasser, doch sie fischten ihn rasch genug heraus.
Im Sommer 1850 erreichten sie dann tatsächlich Marseille. Jene Stadt, die der Nationalhymne der französischen Republik ihren Namen gegeben haben sollte. Die Stadt barst förmlich vor Leben und geschäftigem Treiben. Wo im Stadtkern noch die üblichen verwinkelten und engen Gassen vorherrschten, da wurde in den Außenbezirken eifrig gebaut. Marseille entwickelte sich von der Hafenstadt zu einer Industriestadt. Nur bei Frankfurt hatten die Brüder zuvor eine solche Anzahl rauchender Schlote gesehen. Doch sie trieb es zum Hafen, der für sie das Sprungbrett nach Amerika werden sollte. Je näher sie kamen, desto deutlicher wurde der intensive und ihnen ungewohnte Fischgeruch. Deutlich war das Wachstum des Hafens zu verfolgen. Von steinernen Molen und Kais führten neue hölzerne Anlegestege in das Hafenbecken.
Eine scheinbar unüberschaubare Anzahl unterschiedlichster Boote und Schiffe bevölkerten den Hafen. Und selbst außerhalb des Hafenbeckens waren ankernde Schiffe zu erkennen. Zahlreiche kleine Boote pendelten zwischen den Wasserfahrzeugen, brachten Waren und Menschen, sogar Tiere an Land oder zu den Schiffen hinüber. Es gab eine große Zahl kleiner Fischerboote, doch diese interessierten die Brüder und Bernd Kahlmann wenig. Sie suchten nach jenen Schiffen, die über den Atlantik fahren würden.
Ein Abschnitt des Hafens schien den Kriegsschiffen vorbehalten. Sie sahen eines der älteren Linienschiffe, mit seinen zwei längs verlaufenden Batteriedecks. Es war schwarz gestrichen und seine Stückpforten, hinter denen die Geschütze standen, waren ebenfalls schwarz lackiert, und hoben sich von den weiß gemalten Streifen der Batteriedecks ab, die sich am Rumpf entlang zogen. Seine drei Masten ragten unglaublich weit empor und ein paar Seeleute, die oben an den Rahen irgendwelche Segelarbeiten ausführten, erschienen winzig. Zwischen dem mittleren und dem hinteren Mast ragte ein dünner schwarzer Schornstein auf, der verriet, dass man das Linienschiff, es schien eines der klassischen 72-Kanonen-Schiffe zu sein, modernisiert hatte. Dennoch war seine Zeit vorbei. Der Bug des hölzernen Schiffes hatte noch die alte rundliche Form, mit dem weit nach vorne ragenden Bugspriet. Das Schiff schien teilweise entwaffnet worden zu sein, denn der Rumpf ragte über die Wasserlinie hinaus und man konnte den mit Algen und Muscheln bewachsenen Kupferbeschlag des Unterschiffes erkennen. Direkt daneben lag ein modernes Kriegsschiff. Eine der neuen Dampffregatten. Der Rumpf war schnittig geformt und dieses Schiff hatte keine Batteriedecks mehr. An seinen Seiten erkannte man die mächtigen Radkästen des Schaufelradantriebes, flankiert von vereinzelten Kanonenluken. Die Hauptbewaffnung bestand jedoch aus zwei größeren Geschützen, die offen auf dem Oberdeck standen. Auch dieses Schiff hatte noch Masten, doch die Schaufelräder und der Schornstein verrieten, dass die Segel höchstens noch in Notfällen gesetzt würden, wenn die Dampfmaschine ausfiel.
Die beiden Schiffe führten die französische Trikolore. Doch dies war nicht die dominierende Flagge bei den großen Schiffen. Sie sahen die englische, holländische, portugiesische, spanische und preußische Fahne an den Hecks der Schiffe auswehen und etliche, deren Bedeutung sie nicht kannten. Eine fand Hans besonders hübsch.
„Was ist das für eine?“, fragte er neugierig und zupfte Bernd Kahlmann am Ärmel.
Der zuckte die Achseln und fragte einen Hafenarbeiter, der gerade eine Seekiste in ein Boot hob. Kahlmann lachte auf und schlug dem Mann kameradschaftlich auf die Schulter, half ihm, die schwere Kiste in das Beiboot zu wuchten. Dann grinste er die Brüder an.
„Ist die amerikanische“, verkündete er auflachend. „Da müssen wir uns wohl dran gewöhnen.“
Sie betrachteten die auswehende Fahne mit wachsender Ehrfurcht. Das war also die Flagge jenes Landes, welches ihre neue Heimat werden sollte. Ein blaues Feld, mit etlichen in Reihen angeordneten Sternen, und rote und weiße Streifen. Sieben rote und sechs weiße Streifen.
„Hübsch“, kommentierte Hans. „Kommt, lasst uns hingehen. Vielleicht können wir mitfahren.“
Karl hielt ihn am Arm fest. „Bist du verrückt? Das da ist ein Kriegsschiff. Die nehmen keine Passagiere mit. Willst du etwa wieder Soldat werden?“
Hans schüttelte den Kopf. Nein, dazu hatte er keine Lust.
Friedrich betrachtete ein größeres Postschiff, dass vor dem Hafen auf Reede lag. Eine Reise mit solch einem Schiff würden sie sich nicht leisten können. Selbst wenn sie im Unterdeck fuhren, würden sie sehr lange arbeiten müssen, um das notwendige Geld zusammenzubekommen. Er kratzte sich nachdenklich am Vollbart. „Wir sollten schauen, ob wir ein Schiff finden, das nach Amerika fährt und auf dem wir uns verdingen können.“
Bernd Kahlmann blickte über den geschäftigen Hafen. „Gehen wir zu den Kneipen. Da hängen bestimmt genug Matrosen herum, die uns Auskunft geben können.“
Sie schoben sich durch das Gedränge und achteten darauf, zusammen zu bleiben. Friedrich hielt eine Hand fest verschlossen in seiner Jackentasche. Dort befand sich das wenige Geld, über das sie noch verfügten. Etwas davon würden sie nun wohl ausgeben müssen. Der Hafen war weitläufig. Zwischen den Handelshäusern, Lagerschuppen und sonstigen Gebäuden fanden sich auch Gasthäuser und Kneipen. Eine von letzteren betraten sie schließlich zögernd.
Neben dem üblichen französischen Wein gab es hier auch Bier. Sie wussten nicht, ob es wirklich deutsches Bier war, wie der Wirt versicherte. Jedenfalls schien ihm der Transport nicht gut bekommen zu sein. Es schmeckte schal und hatte einen merkwürdigen Nachgeschmack. So froh sie waren, endlich wieder ein Bier trinken zu können, so reizte sie die Aussicht auf ein weiteres dieser Getränke doch nicht besonders.
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