Hans war fasziniert von einem hübschen Mädchen, welches ihn aufreizend anlächelte, bis der Wirt es verscheuchte. Kahlmann lachte leise und schlug ihm auf die Schulter. „Vergiss es. Das ist nicht seine Tochter, sondern eine seiner Huren. Na ja, vielleicht trotzdem seine Tochter. Ist auch egal. Er hat gleich gesehen, dass bei uns nichts zu holen ist und sie zurückgepfiffen.“
Kahlmann sprach als einziger fließend Französisch. Er sprach den einen oder anderen Mann an, den sie für einen Matrosen hielten. Im Grunde waren sie nicht schwer zu erkennen. Zwar waren die meisten Männer hier braungebrannt, kräftig und vom Wetter gegerbt, doch die Seeleute hatten einen typischen und merkwürdig wirkenden Gang. Sie schienen ein wenig zu Schaukeln, so, als trauten sie der Festigkeit des Bodens nicht. Viele der Männer waren Barfuss und hatten hornige Füße.
Nach einer Weile kam Bernd Kahlmann mit einem hageren Mann zurück. Dieser trug gestreifte Hosen und geschnürte Stiefel, dazu eine blaue Jacke. Unter der Jacke erkannte man das bei Seeleuten wohl übliche Messer. Doch hinter der roten Schärpe des Mannes steckte zusätzlich eine doppelläufige Pistole.
„Das ist Pierre Lerousse“, stellte Bernd vor. „Er ist erster Maat auf der Marbelle und sagt, er könne uns helfen.“
Der Mann hatte ein schmal geschnittenes Gesicht. Ein wenig schaudernd erkannte Hans eine weißliche Narbe, die sich von der rechten Augenbraue bis zum Kinn erstreckte und dazu führte, dass Lerousse ständig schief zu grinsen schien. Lerousse zog einen Schemel heran und setzte sich. „Allors, meine Freunde“, sagte er freundlich, „euer Kompagnon sagt mir, ihr sucht eine Passage nach Amerikas, oui?“
Die drei nickten und das Grinsen des Maats verstärkte sich noch. „Ihr habt nicht viel Geld, n´est ce pas?“
„Nein“, bekannte Friedrich als Wortführer. „Aber wir sind kräftig und können arbeiten. Wir würden uns die Überfahrt schon verdienen.“
Pierre Lerousse lachte herzlich auf. „Natürlich, meine Freunde, natürlich.“ Er wandte sich dem Wirt zu und winkte ihn heran. „Bring eine Runde von deinem besten, mein Freund.“ Während der Wirt verschwand, sah Lerousse sie der Reihe nach an. „Die Marbelle geht nach Amerika, meine Freunde. Genau dorthin, wohin ihr wollt. Wir werden noch einen kleinen Abstecher machen, um Ladung aufzunehmen, aber das macht euch sicher nichts aus, oui?“
„Äh, nein“, sagte Friedrich unsicher. „Hauptsache, wir komme nach Amerika.“
„Aber sicher, das werdet ihr, meine Freunde, das werdet ihr.“ Die Krüge kamen und Pierre Lerousse verteilte sie.
Während sie sich zuprosteten musterte Friedrich den Mann und was er sah, gefiel ihm immer weniger. Er begann sich zu fragen, ob es richtig sein würde, an Bord der Marbelle zu gehen. Doch immerhin waren sie zu Viert, da sollten sie sich schon ihrer Haut wehren können. So wie Lerousse das Schiff beschrieb, schien es relativ klein und sehr schnell zu sein. Kaum dreißig Mann Besatzung. Friedrich hatte gehört, dass die großen Linienschiffe, wie jenes im Hafen, bis zu tausend Mann Besatzung besaßen.
Sie tranken noch eine zweite Runde und Friedrich bemerkte, dass Lerousse eine sehr geschwätzige Art hatte. Er war ständig am plaudern. Stets freundlich. Aber Friedrich schien der einzige zu sein, der bemerkte, dass all das Gerede nicht viel Substanz hatte. Der Mann schwärmte von dem Schiff, aber welchen Geschäften man nachging, darüber schwieg er sich eigentlich aus. Der Älteste der Baumgarts bekam das Gefühl, das die Marbelle ein Schmugglerschiff war. Doch bevor er mit seinen Brüdern und Kahlmann beraten konnte, zahlte Lerousse und blickte sie auffordernd an.
„Nun denn, meine Freunde, ich zeige euch das Schiff und stelle euch dem Kapitän vor.“
Mechanisch erhob Friedrich Baumgart sich und folgte den anderen. Er bemerkte einen französischen Gendarmen, der Lerousse beobachtete und dieser Blick gefiel ihm nicht. Aber der Polizist machte keinerlei Anstalten, sich zu erheben und ihnen zu folgen.
Die Marbelle lag an keiner der Anlegestellen, sondern ankerte auf der Reede des Hafens. Lerousse winkte ein Boot heran, ließ die vier einsteigen und wies die Kutterbesatzung an, sie zum Schiff zu rudern. Die Ruderblätter hoben und senkten sich im Gleichmaß und Hans wunderte sich, wie wenig Geräusch sie machten, wenn sie ins Wasser eintauchten. Lerousse schnappte seine Bemerkung auf und lachte. „Bist nur auf einem Lustboot mit deiner Liebsten gepaddelt, oui? Es kommt auf die Technik an, mein Freund. Maximale Wirkung bei geringstem Kraftaufwand. Doch das lernst du noch, mein Freund.“
Allmählich begann sich der Tag zu neigen und als sie sich dem Schiff näherten, hob es sich seltsam schimmernd gegen den beginnenden Sonnenuntergang ab.
Die Marbelle mochte um die dreißig Meter lang sein und lag hoch im Wasser, was darauf hinwies, dass sie kaum Ladung hatte. Der Rumpf war graugrün gestrichen, mit einem rot gestrichenen Unterwasserschiff. Sie besaß zwei Masten. Der vordere, größere Mast, war Rahgetakelt. Das bedeutete, dass vom Mast hölzerne Ausleger quer zur Fahrtrichtung verliefen, von denen die Segel herabgelassen wurden. Der hintere Mast hatte Lateinerbesegelung. Der dortige Segelbaum lief parallel zur Fahrtrichtung. Zwischen den Masten ragte der Schornstein einer kleinen Dampfmaschine auf.
Der Kutter ruderte, unter dem weiß gestrichenen Bugspriet der Marbelle hindurch, auf die andere Seite des Schiffes. Die Brüder erkannten über sich eine Galionsfigur. Sie stellte den Kopf eines Einhorns dar, dessen Horn in Fahrrichtung gerichtet war.
„Boot ahoi“, rief es von oben herunter.
„Schiff ahoi. Marbelle “, erwiderte Lerousse und die Männer an Deck des Schiffes erkannten ihn und seine Stimme.
In der umlaufenden Reling des Schiffes stand eine Einstiegspforte offen. Friedrich betrachtete misstrauisch die hölzernen Stufen, die in die Bordwand eingearbeitet waren. Sie schienen ihm schmal und wenig vertrauenerweckend. Doch Lerousse warf der Kutterbesatzung eine Münze zu, schwang sich ohne zu Zögern auf die Stufen und erklomm sie zum Oberdeck. Friedrich zuckte die Achseln, ergriff die merkwürdige Leiter und stellte fest, wie sehr das Schiff schaukelte. Zumindest erschien es ihm, denn wenn er den Fuß auf den unteren Tritt setzen wollte, schien sich ihm die Bordwand entziehen zu wollen. Es schien ihm fast, als wolle die Marbelle ihm ausweichen.
Lerousse sah von oben auf ihn herab. „Nur Mut, mein Freund. Ein kurzer Sprung, nicht mehr.“
Die anderen Männer, die sich über die Reling beugten, lachten auf, als Friedrich es endlich geschafft hatte und nach oben kletterte. Einer der Männer schlug ihm gutmütig auf die Schulter und sagte etwas in einer unverständlichen Sprache. Der Mann hatte eine ungewöhnlich dunkle Haut und eine ausgeprägte Hakennase, doch Friedrich achtete nicht weiter darauf, sondern beobachtete die Bemühungen seiner Gefährten, endlich an Bord zu folgen. Inzwischen war die Dunkelheit hereingebrochen und zwei Männer beugten sich mit Laternen über den Einstieg hinab. Schließlich war es geschafft und als die Vier sich wieder gesammelt hatten, fiel ihnen ein netter älterer Herr auf, der sie gutmütig ansah und unbefangen lachte.
„Capitaine“, sagte Lerousse mit einer angedeuteten Verbeugung, „das sind die Neuen. Die Brüder Baumgarde und ihr Freund Kahlmann.“ Er wandte sich den Vieren zu. „Dies ist Capitaine de Croisseux.“
„Baumgart“, korrigierte Friedrich und übernahm das Wort. „Wir sind Brüder. Also, mit Ausnahme von Bernd Kahlmann. Der ist unser Freund. Wir wollen nach Amerika und...“
De Croisseux hob eine seiner Hände und nickte freundlich. „Nach Amerika. Ja, da wollen wir auch hin. Und da ihr auch dorthin wollt, werdet ihr eure Überfahrt wohl abarbeiten wollen, nicht wahr? Nun, ihr könnt sofort damit anfangen, denn wir gehen Ankerauf.“
Читать дальше