Katharina schloss die Augen. Sie wollte das nicht sehen. Für einen Moment lang erfasste sie ein seltsames Gefühl und sie erinnerte sich zurück. Priester Zacharias war ihr wie ein alter Lüstling vorgekommen. Aber sie hatte gedacht, er wäre eine Ausnahme und die anderen Priester waren anders. Dann die Erfahrung mit Lord Christoph. Der sie gefangen gehalten hatte, sie beobachtet hatte. Und letztendlich Alexander. Bei dem sie am wenigsten erwartet hatte, dass er so war, wie er sich am Ende seines Lebens präsentiert hatte. Waren alle Männer so? Sie wagte kaum zu atmen. Hielt noch immer die Augen geschlossen, was noch viel unheimlicher war. Denn sie hörte durchaus das leise Stöhnen dieser geistlichen Männer.
Nicht alle Männer waren schlecht. Und auch im Umfeld von Prinzessin Katharina gab es gute Männer mit Ehre und Anstand. Doch diese prägten sich deutlich weniger in ihrer Erinnerung ein. Sie selbst war eine junge Dame in der Findungsphase. Und im Moment überwogen die schlechten Erfahrungen.
Einer der Männer, die von Ehre und Anstand wohl genügend hatten, war einer den Prinzessin Katharina nur flüchtig kannte. Er war auch noch nicht allzu lange in Hingston. Lord Marcus von Lessington. Wie der Zufall es wollte, war er gerade auf dem Weg zum Tempel. Sein Ziel war ein Gespräch mit dem Obersten Priester. Er wollte einen Ansprechpartner für zukünftige Fragen im Hinblick auf den Glauben. Denn seiner Erfahrung nach basierten viele Verbrechen auf Gründen des Glaubens. Manch einer versuchte damit seine Tat zu rechtfertigen.
Der Tempel war ein offenes Haus. Im Grunde konnte jeder reingehen, wann er wollte. Allerdings war dies selten der Fall. Keiner betete im Tempel. Und so war es ein absoluter Zufall, dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt jemand das Götterhaus betrat, als die Götteropfer vor dem Altar knieten.
Lord Marcus war schockiert, als er die Szene sah. Drei nackte junge Frauen knieten vor dem Altar und die Priester holten sich einen runter.
Der Lord aus Lessington war ein gottesfürchtiger Mann. Er war im Glauben erzogen worden, betete und glaubte wie jeder gute Mani. Doch er hatte auch einen Hang zum Realismus. Er hatte sich mit so vielen wissenschaftlichen Themen beschäftigt, dass er nicht einfach alles ungefragt hinnahm. Und so stellte er auch diese Szene in Frage.
«Bei den Göttern, Oberster Priester. Was tut Ihr?», fragte der Lord überrascht und entsetzt zugleich.
Der Priester ließ sofort von seinem Tun ab. Für einen Moment rang er nach einer Antwort. Wütend darüber, dass der Lord einfach so in den Tempel geplatzt war: «Ihr platzt einfach so in die Zeremonie?»
«Es ist ein offener Tempel. Ein Haus der Götter!», meinte Lord Marcus: «Ich wusste nicht, dass ich anklopfen muss!»
«Es ist ... eine Fruchtbarkeitszeremonie!», sagte der Oberste Priester wirsch.
«Für mich sah es eher so aus, als würdet ihr Eurem Trieb nachgehen!», meinte Lord Marcus: «Mag sein, dass diese drei auserwählt von den Göttern sind. Aber doch nicht um Euch Vergnügen zu bereiten!»
«Ihr wisst nicht, was Ihr redet!», sagte Johannes: «Ihr nehmt Euch viel raus dafür, dass Ihr gestern erst zum Offizier ernannt wurdet!»
«Ich bin von Adel, falls Ihr das vergessen habt. Und ich spreche als Lord dieses Landes. Nicht als Offizier!»
«Dann hütet Eure Zunge. Ihr habt keine Ahnung von den Sitten und Bräuchen, die notwendig sind um Regnator zu besänftigen. Kümmert Euch um Eure Angelegenheiten!»
«Ich werde diese drei jungen Frauen mitnehmen, ob es Euch passt oder nicht. Soll der König entscheiden wie weiter verfahren wird. Aber hier bei Euch lasse ich Sie nicht!», sagte Marcus.
Die Prinzessin war die erste, die sich umdrehte: «Danke, Lord Marcus!»
Für einen Moment erwischte er sich dabei, wie er sie anstarrte. Dann aber siegte die Moral: «Zieht Euch an, königliche Hoheit. Und Eure beiden Kameradinnen ebenfalls. Ich bringe Euch zum König!»
8
Xipe Totec,
Königlicher Palast
In rund einem Tag konnte eine gutgenährte Taube im besten Alter und bei ausgezeichneter Gesundheit über tausend Kilometer zurücklegen. Vor dem Flug wurden sie mit fettreichen Nüssen gefüttert. Um die vierhundert Gramm wog einer dieser fliegenden Boten bevor man sie auf die Reise schickte. Deutlich leichter waren sie dann am Ziel, da sie während dem Flug ihre Fettreserven aufbrauchten. Chantico hatte jeden Tag eine Taube mit einer Nachricht in die Hauptstadt zu seinem Bruder geschickt. Sie waren unglaublich zuverlässig und flogen stets direkt in ihren Heimatschlag. Dieser war in einem der Türme des Palastes. Der alte Nehataner, der für die Tauben zuständig war, döste gerade. Er hatte ein wenig zu viel Wein getrunken. Zu Ehren des Königs. Als die Tauben aufgeregt in ihren Schlägen umherflatterten, erwachte er. Sofort wusste er, dass eine Taube zurückgekehrt war. Er öffnete den Taubenschlag und nahm die Taube, die eine Nachricht trug, heraus. So gerne er es auch gelesen hätte, er durfte das kleine Papierstück nicht auseinanderfalten. Das war dem König vorbehalten.
Keine halbe Stunde später hatte der König die kleine Nachricht in der Hand. Atlacoya starrte auf das Stück Papier. Er war froh, dass sein Bruder auf die Tauben bestanden hatte. So war er immer informiert. Doch diese Nachricht war nicht so gut.
«Mixtli ein Verräter? Bist du dir sicher?», fragte Shada, seine Frau. Vor ihr kniete die manische Sklavin Rebecca. Sanft streichelte die Königin das Haar der hellhäutigen Frau.
«Wenn es Chantico schreibt, dann wird es wohl so sein!», meinte Atlacoya wütend.
«Vergib mir, ich wollte dich nicht zornig machen!», sagte Shada.
«Bei den Göttern. Hoffentlich ist das nicht die Strafe dafür, dass wir noch kein Götteropfer auf die Reise geschickt haben», murmelte der Hohepriester Tupac. Er war gerade da, um dem König noch einmal zu verdeutlichen für wie wichtig er die Aussendung eines Götteropfers hielt.
«Unsinn!», sagte Atlacoya wütend: «Was soll das damit zu tun haben?»
«Nun, das Volk vertraut Euch, mein König. Aber die Leute haben Angst vor den Göttern und fürchten ihren Zorn. Euer Wort, mein König, steht über dem von jedem in unserem Land. Aber nicht über den Göttern!»
«Ich bin ein Sohn der Götter!», sagte Atlacoya: «Ich bin ein Halbgott. Und das wisst Ihr!»
«Und dennoch müsst auch Ihr den Göttern gehorchen!»
«Ich brauche keinen Hohepriester. Mein Vater hörte gerne auf Euch, das weiß ich. Aber ich bin anders. Ich spreche mit den Göttern und sie sprechen mit mir!»
«Dann werden sie Euch auch sicherlich ins Gewissen geredet haben, dass die Nehataner ebenfalls zur Jahrhundertwende ein Götteropfer zum Tempel von Deux bringen müssen!»
Atlacoya erwiderte darauf nichts. Er betete nicht zu den Göttern. Und natürlich sprachen sie auch nicht mit ihm. Und dennoch behauptete er es. Weil er sich gerne als Sohn der Götter ansah. Stattdessen fragte er Tupac: «Habt Ihr denn eine ausgesucht? Ich gab Euch doch freie Hand eine zu erwählen?»
«Das habe ich, mein König. Eine schöne Maid aus Tezcatli Poca!»
«Nun, wo ist dann das Problem? Wir haben ja dann unser Götteropfer!»
«Ihr seid es, die sie auf die Reise schicken muss!»
«Für was habe ich Euch?», fragte Atlacoya: «Meinen Priester?»
«Ich reiste vor ein paar Wochen zum Tempel von Deux und kam gesund wieder. Eine weitere Reise halten meine müden Knochen nicht mehr aus. Das wisst Ihr, mein König!»
«Herrje. Mixtli hat mich verraten. Hat unser ganzes Volk verraten! Und Ihr sprecht von Euren Knochen!», meinte der Herrscher zornig, wurde dann aber etwas ruhiger: «Geht und bringt sie mir. Ich möchte sie sehen!»
«Sehr wohl, mein König!», sagte Tupac und entfernte sich dann rasch.
«Das Volk wird es irgendwann erfahren, dass Mixtli die Seiten gewechselt hat!», meinte die Königin.
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