Niemand anderes konnte so mit Atlacoya sprechen. Der Herrscher, der niemals Gnade zeigte. Der König störte sich nicht einmal an den Worten. Er respektierte den Mani. Ja, es stimmte, als Kind hatte er Probleme mit dem weißhäutigen Jungen gehabt. Aber das war vorbei. Sie waren erwachsen. Atlacoya ging in Richtung Ausgang und sprach dabei in ruhigem Ton: «Du hast recht, Baby. Den Krieg habe ich angefangen!»
Er ließ den Söldner los. Dieser stürzte auf die Knie und rang nach Luft.
«Ich wäre schon vorbeigekommen!», meinte Oxomoco: «Ich bin auf der Durchreise!»
«Du gehörst zu unserer Familie, bei den Göttern. Aber wir reden später weiter. Ich habe eine Zeremonie durchzuführen. Das Volk möchte mich feiern. Wenn die Sonne den höchsten Stand hat, dann wollen sie mich sehen!»
«Was wird mit ihm?», fragte der Mani und schaute auf den Söldner.
«Nun. Die Alligatoren scheinen satt. Vielleicht sollte ich ihn zu Ehren meines Geburtstages hinrichten lassen. Das Volk freut sich. Immerhin hat er die königliche Familie beleidigt!»
«Hat er nicht. Und wenn, dann wusste er ja nicht einmal, wer ich bin!»
«Versöhnliche Worte von dir?», Atlacoya lachte: «Du hast nie Gnade gekannt!»
«Er ist auf einem guten Weg!», meinte nun Itzli, den die Soldaten freigelassen hatten.
«Halt die Schnauze!», meinte das Baby.
«Nein, ernsthaft. Er hat seine Gefühle besser im Griff, mein König! Ich habe viele Gespräche mit ihm geführt und ...»
Atlacoya schaute den Mani an: «Soll ich ihn den Alligatoren zum Fraß vorwerfen!»
«Sinnvoll wäre es vielleicht!», meinte der Mani: «Er nervt. Ständig kommt er mit seiner Moral. Ständig redet er von Gefühlen!»
«Moment!», wehrte Itzli ab.
«Nun. Diesen Gefallen werde ich dir nicht tun, Bruder!», sagte Atlacoya und winkte einen Soldaten her: «Bringt sie zu meinem Weib. Sie soll ihnen Wein und etwas zu essen geben. Sie sind meine Gäste!»
«Was ist mit ihm?», fragte der Soldat und zeigte mit dem Schwert auf den Söldner.
«Ach ja, er. Hackt ihm beide Hände ab, schneidet ihm seine verräterische Zunge raus!»
«Und dann?», fragte der Soldat ein wenig irritiert.
«Na dann hoffen wir, dass meine kleinen schuppigen Kinder dort unten wieder genug hungrig sind. Dann soll er seinen Söldnerkameraden folgen!»
5
Stadt Hingston,
Gemächer der Prinzessin
In der großen Welt von Ariton passierte Tag für Tag so viel. Und dies war an diesem einen Tag nicht anders. Männer und Frauen starben, Babys wurden geboren, Händler wurden betrogen, Schwerter gekauft, Wölfe jagten Schafe, mancherorts regnete es, irgendwo schien die Sonne, in Xipe Totec feierte ein König seinen Tag der Geburt, der Tempel von Deux war gefallen und in Hingston erwachte eine Prinzessin zur Mittagszeit.
Katharina blinzelte und schaute zum Fenster. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Sie hatte lange geschlafen. Aber das war kein Wunder nach den aufregenden Ereignissen des letzten Tages. Sie war das Götteropfer der Mani und würde auf eine lange Reise gehen. Auch wenn sie es noch nicht so richtig glauben konnte.
Prinzessin Katharina hatte darauf bestanden, dass die beiden Götteropfer Hedda und Ailsa bei ihr unterkamen. Sie würden ohnehin auf der Reise ständig beieinander sein. So konnten sie sich vielleicht vorab ein wenig besser kennenlernen. Zudem waren sie in den Gemächern der Prinzessin am besten geschützt.
Man hatte für die beiden jeweils ein Bett aufgestellt.
Katharina stand auf und schaute zuerst zu Ailsa. Sie schlief noch. Hedda hingegen war wach. Gedankenversunken schaute sie ins Leere. Als sie sah, dass Katharina aufgewacht war, lächelte sie und nickte ihr zu.
«Gut geschlafen?», flüsterte die Prinzessin.
Die Ragna nickte: «Ja. Allerdings bin ich schon eine Weile wach. Und ich langweile mich!»
«Nun, sei doch froh. So viel Aufregung. Da tut dir eine Woche Erholung bestimmt gut!»
«Eine Woche hier in der Stadt?», Hedda seufzte: «Nun, vielleicht hast du recht. Die letzten Tage waren schon heftig. Ein wenig Ruhe tut gut!»
«Heute ist schönes Wetter. Ich könnte euch den Strand zeigen!», meinte Katharina.»
«Den Strand?»
«Ja, wir könnten baden gehen!», meinte die Prinzessin.
«Baden, wirklich? Im Meer?»
«Ich vergaß. Du kommst ja aus dem Eis und Schnee im Norden! Kannst du überhaupt schwimmen?»
Hedda schüttelte den Kopf: «Nein, kann ich nicht!»
«Dann solltest du es lernen!»
«Du willst mir das Schwimmen beibringen?»
Katharina kam nicht mehr dazu die Frage zu beantworten. Es klopfte an der Türe.
«Wer mag das sein?», fragte Ailsa. Sie war gerade aufgewacht. Noch ein wenig müde rieb sie sich die Augen.
«Du bist wach, endlich!», meinte Katharina und ging zur Türe. Lord Lenningten stand davor. Er schaute weg, als er Katharina im Nachthemd sah.
«Königliche Hoheit!», sagte er.
«Onkelchen, warum so förmlich?», fragte sie überrascht.
«Du hast Gäste, oder?», Lord Lenningten vermied es einen Blick in die Gemächer zu wagen.
«Ja, natürlich. Die beiden anderen Götteropfer!»
«Nun. Ihr sollt zum Obersten Priester. Alle drei!»
«Wirklich?»
Er nickte: «Ja. Sobald wie möglich. Man erwartet euch drei im Tempel!»
Katharina war nicht wirklich begeistert. Ihr Verhältnis zu Priestern war nicht mehr das Beste. Das hatte sich auch nach dem Tod von Priester Zacharias nicht geändert. Doch was sollte sie schon sagen? Deshalb nickte sie einfach nur.
«Der Oberste Priester ist, wie gesagt, im Tempel. Lasst euch Zeit. Macht euch erst einmal frisch und zieht euch an. Die Priester laufen ja nicht davon!»
«Ach, tatsächlich?», grinste Katharina: «Nun ja. Wir gehen natürlich hin, sobald wir fertig sind!»
«Nehmt Wachen mit. Mindestens zwei!», sagte Lenningten: «Nach den Vorkommnissen gestern sind wir gar nicht mehr so sicher, ob Hingston genug geschützt ist. Diese Kreaturen, die aus dem Himmel kamen. Mögen die Götter uns vor ihnen bewahren. So etwas Gespenstisches habe ich noch nie gesehen! Und dann erst diese Drachen. Bei den Göttern, Hingston hat gestern mehr als genug Unheil erlebt!»
Katharina nickte. Die Ereignisse am gestrigen Tag hatten sich überschlagen. Sie dachte an Sjel, den schwarzen Drachen. Anfänglich hatte sie panische Angst gehabt. Wie auch alle anderen. Und dann hatte er sie direkt angesprochen. Sie, die Prinzessin. Und noch immer verstand sie nicht, woher er gekommen war und was er eigentlich wollte.
Lenningten nickte nun ebenfalls und zog sich dann zurück.
«Was wollte er?», fragte Hedda.
«Wir müssen zu den Priestern. Oder dem Obersten Priester. In jedem Fall müssen wir zum Tempel!»
«Okay, das klingt spannend!», die Ragna grinste.
«Nein, das ist nicht spannend. Lauter alte Männer, die ...», Katharina sprach nicht weiter. «Die einen nur lüstern anschauen», hatte sie sagen wollen. Aber sie sprach es nicht aus. Sie hatte Angst, das vor allem Ailsa über sie lachte.
Die Noatin war nun vollends aufgestanden und hatte sich ihr Nachthemd ausgezogen. Nackt stand sie nun im Raum: «Wir sollten uns frisch machen. Können wir baden?»
«Sicher!», nickte Katharina: «Ich kann Tamara holen lassen, damit sie uns ein Bad einlässt!»
«Ist das dein Ernst? Hilft sie dir dann auch beim Ankleiden?»
Katharina wurde rot: «Na ja. Eigentlich schon!»
«Eine Prinzessin, eine verwöhnte Prinzessin!», grinste Ailsa spöttisch und ging dann in die Badestube nebenan: «Erkläre mir lieber, wie das funktioniert.»
«Gerne!», antwortete Katharina ein wenig unsicher. Sie ging der nackten Noatin hinterher. Dann erklärte sie, wie man das Wasser heißbekam.
6
Xipe Totec,
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