Itzli starrte hinunter in das Loch. Es war in etwa drei Meter tief. Unten befand sich Wasser. Und darin schwammen ... Alligatoren. Der Schakal wischte sich den Schweiß von der Stirn.
«Ein Spiel?», der Mani grinste: «Ich spiele nicht gerne Spiele.»
«Ach tatsächlich?», König Atlacoya seufzte: «Nun. Ihr spielt beide mit. Euer Einsatz sind eure Männer. Du hast deinen ... schmächtigen, hageren Kameraden. Und du ... du hast deine fünf Söldner! Wer die Frage falsch beantwortet, dessen Männer fallen in die Grube.»
«Was für eine Frage soll das sein?», fragte der Söldner irritiert.
«Eine Frage über mich. Über deinen König. Du bist doch königstreu, oder nicht?»
«Natürlich, mein König!», stotterte der Söldner und starrte hinunter in das Loch. Die Alligatoren schwammen aufgeregt hin und her. Sie wussten, dass Fütterungszeit war. Wer auch immer hier das Spiel verlor, er war nicht der erste, der hier diesen Kreaturen zum Opfer fiel.
König Atlacoya ging um das Loch herum und blieb bei Itzli stehen. Er grinste ihn an: «Du bist also der Kamerad dieses Mani?»
«Nun ja ...», stotterte dieser: «Wir sind Gefährten, aber ...»
«Aber was? Du würdest für ihn nicht sterben wollen?»
«Ganz ehrlich, mein König!», meinte der Schakal kleinlaut: «Wer will schon sterben? Und ist er nicht für seine Taten selbst verantwortlich?»
«Itzli, was ist los mit dir?», fragte der Mani: «Wir stehen seit Jahren Seite an Seite und nun kneifst du?»
«Ja, Herrgott. Wir standen Seite an Seite. Und wir haben gekämpft. Aber würdest du für mich da reinspringen?», er zeigte auf das Loch, wo die Alligatoren wie verrückt hin und herschwammen.
«Nein!», meinte der Mani trocken.
«Siehst du!», schrie der Schakal laut und deutlich. Also entschuldige, wenn ich nicht vor Freude einen Furz fahren lasse im Angesicht des Todes!»
«Ihr beide seid so putzig!», sagte König Atlacoya und zeigte dann auf die fünf Söldner. Hinter ihnen standen zehn Soldaten: «Schmeißt sie rein!»
Die Worte kamen so plötzlich.
Ohne viel Zögern schoben die Soldaten die fünf Söldner nach vorne. Der erste stürzte sofort ins Loch. Gierig stürzten sich die Alligatoren auf ihn. Kurz sah man ihn panisch schwimmen, aber lange hielt er sich nicht über Wasser. Dann stürzte der nächste und auch ihn traf das Schicksal.
«Bei den Göttern!», schrie der Söldner neben dem Mani: «Was tut Ihr, mein König?»
Die anderen drei Söldner fielen auf die Knie. Flehten um ihr Leben. Einer hielt sich krampfhaft am Bein eines Soldaten fest. Aber sie hatten keine Chance. Auch sie flogen hinab.
Es war ein grausames Spektakel. Die letzten drei waren nicht mehr ganz so sehr den gierigen Attacken ausgesetzt. Die Alligatoren waren noch mit den anderen beiden Söldnern beschäftigt. Und so schwammen sie um ihr Leben. Sie schrien, paddelten, versuchten an den Wänden irgendwie hochzuklettern. Und schließlich wurden auch sie Opfer der echsenartigen Monster.
Itzli schluckte. Das hatte er nicht erwartet. Angewidert schaute er zur Seite.
«Bei den Göttern, mein König. Ihr hattet keine Frage gestellt!», der Söldner schwitzte. Panik erfasste ihn. Er schaute sich um, sah die beiden Soldaten hinter ihm, die ihn drohend anschauten.
«Nun ja, mein Spiel, meine Regeln!», meinte Atlacoya, ging um das Loch herum und blieb dann neben dem Söldner stehen.
«Aber ... aber das ist nicht gerecht!»
«Nun ja. Was gerecht ist und was nicht gerecht ist, das entscheidet in diesem Land der König. Habe ich recht?», fragte Atlacoya.
«Gewiss, mein König!», sagte der Söldner demütig.
«Es ist schon viele Jahre her!», meinte der König und ging dann hinauf zu seinem Thron. Er setzte sich: «Vor vielen Jahren als mein Vater noch König war. Da gab es eine Gruppe von Söldnern, die überfielen einen manischen Kaufmann. Sie schlitzten ihn auf und vergewaltigen seine Frau!»
Der Söldner stand wie angewurzelt da. Er hörte einfach nur zu.
«Nun!», erzählte der König: «Meinem Vater wäre es vermutlich ganz egal gewesen. Es waren Mani und mein Vater war nie ein Freund dieses bleichen Volkes. Aber dieser Kaufmann war auf dem Weg zum König, zu meinem Vater. Um ihm eine Medizin zu bringen. Denn sein Sohn lag im Sterben! Und nur diese eine Medizin konnte ihm helfen. Und nun rate mal, wer dieser Sohn war ...»
«Ihr, mein König?», fragte der Söldner mit zittriger Stimme.
Atlacoya grinste: «Du bist gar nicht so dumm! Wie auch immer. Mein Vater schickte Männer los um den Mani zu finden. Sie fanden ihn tot. Den Mann ermordet, die Frau geschändet und dann ebenfalls getötet. Die Medizin war weg. Sofort machte man Jagd auf die Mörder. Und man fand sie schließlich. In der Hauptstadt. Sie waren schnell aufgefallen. Denn sie hatten ein Baby dabei. Einen kleinen manischen Säugling, den sie verschachern wollten.»
«Ich verstehe nicht ganz, warum ihr diese Geschichte erzählt, mein König?», fragte der Söldner: «Auch ich bin Söldner, das stimmt. Aber mit diesen feigen Mördern habe ich nichts zu tun. Ihr sagt selbst, es ist viele Jahre her ...»
«Lasst mich doch die Geschichte erzählen!», meinte Atlacoya: «In jedem Fall wurden die Männer hingerichtet. Die Medizin wurde bei ihnen gefunden und ich konnte geheilt werden. Das kleine Baby aber brachte man ebenfalls in den Palast. Und das kleine hilflose Manikind wuchs bei uns in der königlichen Familie auf. Und auch wenn er nun ein kräftiger, kluger und vor allem bärtiger Kerl ist. Den Namen, den wir ihm gaben ist Oxomoco. Aber man nennt ihn immer noch Baby.»
Der Söldner erbleichte und blickte hinüber zu dem Mani. «Er? Er ist dieses ... dieses Kind?»
«Ganz genau!», meinte Atlacoya und stand wieder auf: «Ich habe dir diese Geschichte erzählt, damit du in der Ewigen Verdammnis etwas hast um darüber nachzudenken!»
«Ich flehe Euch an!», sagte der Söldner: «Ich ...»
König Atlacoya packte den eigentlich sehr kräftigen Nehataner am Hals und drängte ihn rückwärts zum Loch. Er schaute hinüber zu dem Mani: « Oxomoco! Willst du ihm noch irgendwas sagen?»
«Ehrlich gesagt würde ich jetzt irgendwann gerne einen Wein trinken und mich nicht über euch schwarze Männer ärgern!», meinte dieser: «Es ist dein Geburtstag. Und ein Nationalfeiertag. Aber was tust du? Du fütterst deine Viecher!»
«Herrgott, Bruder! Du bist in die Stadt gekommen und kommst nicht auf die Idee mich zu besuchen?», die Worte von Atlacoya klangen zornig. Noch immer hielt er den Nehataner fest. Dieser stand bedrohlich nah am Abgrund.
«Nenn mich nicht Bruder, Atlacoya. Wir sind keine Brüder. Wir waren nie Brüder und wir werden nie Brüder sein! Ich habe einen neuen Bruder. Den deine Männer auch verhaften lassen haben. Der Mann dort drüben. Ein Bruder im Geiste.»
«Du bist und bleibst ein wütender Mani, ich weiß! Dabei hat mein Vater doch alles für dich getan!», Atlacoyas Hand klammerte sich noch mehr um den Hals, so dass der Söldner nach Luft schnappte.
«Dein Vater fand es lustig mich wie einen Hund vorzuführen. Ein kleiner Junge aus dem Land der Mani. Ich war ein Sklavenjunge, nicht mehr und nicht weniger!»
«Du tust meinem Vater unrecht. Du saßt bei uns am Tisch, du hast alles bekommen. Du warst mir und Chantico stets ebenbürtig!»
«Das war ich nicht und das weißt du!»
«Chantico hat dich immer geliebt!»
«Ach, verfickte Scheiße. Chantico ist schwach. Er war schon immer schwach. Wo ist er überhaupt? Eine Familienzusammenführung ohne ihn?»
«Er ist im Krieg gegen die Pravin!», sagte Atlacoya: «Herrgott, in welchem Loch hast du dich verkrochen, das du nichts mitbekommen hast?»
«Im Krieg gegen die Pravin?», Baby lachte: «Das war deine glorreiche Idee. Entsprungen aus deiner Machtgier, oder?»
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