«Wie ist dein Name?», fragte der König.
«Mein Name ist Itoia, mein König!», sagte sie leise und demütig.
«Bei den Göttern. Was für ein prächtiges Weib. Ich würde dich am liebsten hier auf der Stelle vögeln. Was sagst du dazu, Baby, wird sie den Göttern gefallen!»
«Ich glaube nicht an die Götter!», sagte Oxomoco.
Atlacoya ging nicht darauf ein: «Sieh doch diese prächtigen Titten. Der schlanke Hals. Sie ist eine wahre Schönheit!»
«Du bist der König, dann nimm sie dir doch!», sagte der Mani.
«Ach, tatsächlich?», Atlacoya grinste.
«Ja. Du kannst alles haben. Vergiss diesen Göttermist. Vergiss den Priester und seine Worte ...»
Der Hohepriester schaute entsetzt auf den Mani. Dieser ungläubige Bastard. Er lästerte den Göttern.
Doch der König grinste: «Du willst mich nur provozieren, Bruder. Ohne sie müsstest du nicht auf die grüne Insel und zum Tempel von Deux. Aber vergiss nicht, du bekommst dann auch kein Pferd und keine Ausrüstung für deine Reise ins Land der Mani!»
«Helfen dir die Götter und der König nicht, dann hilf dir selbst. Ich finde schon einen Weg meine Reise zu ermöglichen.»
«Hast du eigentlich irgendwo ein kleines Büchlein, wo die ganzen beschissenen Sprüche stehen oder denkst du dir die alle aus?», fragte Atlacoya und haute der jungen Frau auf den Po.
Sie schrie laut auf.
«Wenn wir dann soweit wären!», meinte Oxomoco: «Ich würde mich gerne zurückziehen.»
«Das geht nicht!», sagte Atlacoya: «Du musst bei der Zeremonie dabei sein!»
«Welcher Zeremonie?», Oxomoco schüttelte den Kopf.
«Sie wird als Jungfrau geweiht. Im Tempel! Es ist alles vorbereitet. Oder etwa nicht, Priester?», die letzten Worte galten Tupac, dem Hohepriester.
«Ja, mein König. Das ist es!»
«Dann auf, auf!», sagte Atlacoya.
«Tut mir leid. Aber ich habe für sowas keine Nerven!», meinte der Mani.
«Du kommst mit!», des Königs Worte duldeten keinen Widerspruch.
Vom Palast des Königs führte eine Straße durch die gesamte Stadt bis zum Tempel auf der anderen Seite. Eine langgezogene Hauptstraße die kerzengrade durch Xipe Totec führte. Verließ man den gewaltigen Palast, dann sah man direkt auf den Tempel am Ende der Stadt. Ein Gebäude, das nicht ganz so gewaltig war, aber dennoch hervorstach. Und dominant auf der anderen Seite der Hauptstraße prangte.
Es war eine Demonstration von Macht, die Atlacoya hier vollzog. Wie auch immer er so schnell das alles organisieren konnte, bei der Bevölkerung sorgte er für den plötzlichen zweiten Auftritt am heutigen Tag für Aufregung. Vier Soldaten gingen voran, dann folgte Atlacoya, der König. Er trug einen goldenen Lendenschurz, der nicht nur golden aussah, sondern tatsächlich aus zahlreichen Goldplättchen bestand. Auf seinem Kopf saß eine goldene Krone mit pechschwarzen Federn. Der ohnehin schon hünenhafte König wirkte so noch größer.
Hinter ihm ging das Götteropfer. Die schönste Jungfrau, die der Hohepriester hatte auftreiben können. Ob sie wirklich die Allerschönste war, das war natürlich Geschmacksache. Eine Augenweide war sie in jedem Fall. Sie war komplett nackt. Nicht minder stolz ging sie hinter dem nehatanischen Herrscher. Sie war die Auserwählte.
Dahinter der Hohepriester und zwei weitere Priester. Dann folgten vier Soldaten, schließlich Oxomoco zusammen mit Itzli. Am Schluss des Zuges gingen noch einmal rund zwanzig Soldaten. Alle in Lendenschurz und mit Speeren bewaffnet.
«Was wird das hier?», fragte Itzli.
«Eine Zeremonie!», erwiderte Oxomoco.
«Ach ja? Und was soll ich da?»
«Wolltest du nicht brüderlich Leid und Freude teilen. Das ist das Leid!»
«Leid? Oh je. Was erwartet uns?»
«Was weiß ich. Du bist doch Nehataner. Du kennst die Sitten und Bräuche besser als ich!»
«Entschuldige, aber du bist im Königshaus aufgewachsen. Langsam habe ich das Gefühl, du versteckst dich hinter deiner manischen Maske! Du weißt vermutlich mehr über unser Nehataner als solche Leute wie ich. Arme Leute.»
Die Soldaten vorne kamen am Tempel an und blieben dort stehen. Zwei Tempeldiener standen links und rechts vor den großen Flügeltüren. Sie bliesen in zwei große gewundene Hörner. Es dauerte nicht lange und das Tor öffnete sich.
«Bei den Göttern. Ich war noch nie in so einem Tempel!», sagte Itzli.
«Gerade hast du noch gemeckert. Jetzt hört es sich an, als würdest du dich freuen. Entscheide dich für eine Gefühlsregung!», sagte Oxomoco und fuhr durch seinen Bart: «Oder aber sei einfach still, Schakal!»
Langsam setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Die Soldaten vorne marschierten durch das Tor. König Atlacoya folgte.
Itzli mache große Augen, als er schließlich ebenfalls den Tempel betrat. Zum ersten Mal in seinem Leben. Dem einfachen Volk war das Betreten eigentlich verboten. Und zu dem zählte er nun mal.
Was er sah übertraf all seinen Vorstellungen. Ein großer Saal tat sich auf. Ganz hinten im Mittelpunkt war eine große goldene Statue. Sie war gut und gerne zehn Mal größer als er selbst. Und sie zeigte den Gott Regnator. Die vermutlich größte Statue, die es in Ariton jemals gab. Davor waren kleinere Statuen. Direkt vor Regnator in der Mitte Bellumus, der Kriegsgott. Im Rang stand er direkt unter dem Göttervater und größten Gott. Links von Bellumus war Aviustus, der Gott der Wüste, dann Adfectus, der Gott der Liebe und schließlich Montis, der Gott der Berge. Auf der rechten Seite waren Venatura, der Gott der Jagd, daneben Cultivius, der Gott des Ackers und zuletzt Aquarius, der Gott des Wassers.
Itzli war erstaunt über derartige prunkvolle Statuen.
Links und rechts des Saales standen nackte weiße Männer. Allerdings waren es Nehataner. Sie hatten sich von oben bis unten angemalt. Nur an den Augen war ein schmaler Streifen nichtbemalter Haut zu sehen.
Was die ganze Sache unheimlich machte war ihr Summen. Das dumpfe Raunen hallte im ganzen Saal wieder. Die Männer schienen in einer Art Trance zu sein. Ihre Augen waren geschlossen und ihre weiß angemalten Körper bewegten sich vor und zurück. Sie wippten im Takt ihres eigenen Raunens.
Der König blieb vor der Statue von Bellumus stehen. Es sah so aus, als würde er den Gott um Erlaubnis bitten an ihm vorbei zu gehen. Er verbeugte sich vor der Statue und ging dann links an ihr vorbei. Eine Treppe führte hinauf zum Hauptgott. Zu Regnator, der großen Statue dahinter. Er winkte das Götteropfer zu sich. Langsam folgte die nackte junge Frau dem König. Sie zitterte. Nun überwog doch die Angst. Die Unsicherheit und die Furcht vor dem Unbekannten.
Itoia stand nun neben dem König. Er zeigte auf eine kreisförmige Stelle unterhalb der Statue. Dort hin sollte sie sich stellen. Sie gehorchte. Der König befahl ihr sich hinzuknien. Und auch das tat sie.
«Schau hinauf zu Regnator!», meinte der Priester.
Sie schaute hinauf zur Statue. Regnator war als kräftiger, muskulöser Mann dargestellt. In seinen beiden Händen hielt er ein Horn. Das Horn von Deux. Das heilige Horn aus dem der Gott aller Götter den Lebenssaft schenkte. So zumindest die Legende. Es sah so aus, als würde Regnator das Horn genau über der kreisrunden Stelle ausschütten auf der Itoia stand.
Sie war die Auserwählte. Sie war das Götteropfer. Zwanzig Tage lang hatte Tupac, der Hohepriester der Nehataner, Jungfrauen aus dem ganzen Land suchen lassen und sie hierhergebracht. Erst hier hatten die Priester dann sie erwählt. Aus sage und schreibe siebenundsiebzig Jungfrauen. Was aus den anderen geworden ist, dass wusste sie nicht.
Das Summen der weißen Männer verstummte. Und mit einem Schlag war es unglaublich still.
«Was geschieht nun?», fragte Itzli.
«Nichts Gutes!», meinte Oxomoco. Davon war er überzeugt. Es war nicht seine erste Zeremonie. Und die Meisten verband er mit schlimmen Erinnerungen.
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