Katharinas Traumwelt war schon abgebrannt und ihr Robert hieß Lucien. Nach seinem Unterricht, hatte er wie üblich im Lehrerzimmer auf seine große Liebe gewartet. Während er dies tat, zeichnete er eine kleine Radierung. Katharina, nackt wie Gott sie schuf, an der Brüstung eines Balkons und in zwei weiteren Motiven, beim Baden und auf Laken. Wie sie aussah, das wusste er blind und er konnte alle ihre Details zeichnen oder zumindest aus der Phantasie ergänzen. Ohne Kleider, hatte er sie ja noch nie gesehen. Sehr zu seinem Bedauern, aber er überhöhte sie in jeder Beziehung und konnte sich denken, dass eine Frau nach drei Schwangerschaften niemals so eine Figur haben konnte.
Katharinas Schulunterricht wurde im Laufe des Tages immer mehr zur Belastung. Und als die letzte Stunde um war, da freute sie sich fast mehr darüber als ihre Schüler. Genervt und unausgeschlafen kam sie ins Lehrerzimmer. Dort saß Lucien und packte schnell seine Zeichnung weg. Sie tat so als ob er gar nicht da wäre. Erinnerte sich aber auch daran, dass er in ihrem Traum eine Rolle gespielt hatte. Er hatte sie schlecht beurteilt und das war ihr unangenehm. Das er sie liebte, war ihr nicht verborgen geblieben. Aber nie sagte er etwas dazu, immer nur himmelte er sie aus der Entfernung an und wollte doch so oft es ging in ihrer Nähe sein. Selbst wenn es nur der symbolische Parkplatz neben ihr war.
Eigentlich hatte sie die Wahl zwischen Jean und ihm. Wo der eine forsch und einnehmend war, da war der andere sensibel und ... unscheinbar, ängstlich. Lucien schien überhaupt kein Selbstvertrauen zu haben und Katharina wunderte sich in diesem Moment, als sie seine Blicke spürte, wieso er denn nicht wenigstens mal versuchte sie ernsthaft kennenzulernen. Ein seltsamer Gedanke, wo sie sich immer über seine auffällig unauffälligen Annäherungsversuche aufgeregt hatte. Nein, es war ausgeschlossen, einen Mann zu lieben konnte man nicht mit Vernunft oder Logik begründen. Da spielten Mächte mit, die weit über den irdischen Nichtigkeiten rankten. Sie hätte es selbst nicht beschreiben können, aber grob gesagt war es keine Frage des Aussehens. Sondern wie begehrt ein Mann bei den Damen war. So als ob es einen Aktienkurs gab, der umso schneller steigt, wenn jeder denkt die Aktie wäre wertvoll. Etwas was alle anderen wollen, wollte man dann auch selbst haben, weil die anderen ja nicht grundlos an etwas hingen.
Lucien aber sah seine Liebe wieder einmal durch die Tür entschwinden und ihm blieben nur seine Zeichnungen. Er hatte sich auch ein paar Worte einfallen lassen, aber schon am Blick von Katharina konnte er ablesen, wie wenig Interesse sie dafür aufbringen würde. Er war gehetzt und wenig auffordernd.
Eigentlich machte Lucien sich selbst etwas vor. Er erfand immer wieder Gründe, den entscheidenden Schritt nicht zu wagen, um sich nicht selbst der Illusion zu berauben. Solange er nichts entscheidendes sagte oder tat, konnte er hoffen, dass sie ihn vielleicht doch noch sympathisch finden würde. Wäre er den entscheidenden Schritt gegangen und gestürzt, wäre er aller Illusionen beraubt. Als er damals mitbekommen hatte wie ihre Scheidung verlief, selbst da war er zu feige. Er tat sich in diesem Moment mehr leid als Katharina ihn bemitleidete. Auf eine Chance zu hoffen, die man doch nie ergreift, kann auf Dauer nicht motivieren.
Katharina kam ziemlich groggy zu Hause an. Machte sich einen Tee, legte sich auf die Couch und hörte sanfte klassische Musik. Nichts kompliziertes, ganz sanft und seicht, die Moldau. Eine Fußmassage wäre jetzt genau das richtige. Als Lektüre nahm sie sich wieder das Klassentreffen Dossier vor. Sie lass es mindestens drei Mal und konnte es nicht fassen. Stephan war nun Chef der Comedie francais. Eine Einrichtung mit über 300 Jahren Tradition.
Da fiel ihr ein, dass Ariane immer so ein Szene und Kulturmagazin auf ihrem Schreibtisch herumliegen hatte. Da drin würde bestimmt auch stehen, was da so alles ablief. Sie ging mit einem schlechten Gewissen in das Zimmer ihrer Tochter und sah sich um. Das Pariscope, so hieß das Journal lag neben ihrem Bett. Das Deckblatt war schon zur Hälfte ab, aber es war das gewünschte Heft.
Sie nahm es sich mit und schmökerte darin. Zu ihrem Erstaunen war auch der Aufführungsplan der Comedie darin aufgeführt. Das Impressum, aber sonst auch nichts. Jedenfalls nichts über ihren alten Bekannten. Das hatte aber nichts heißen müssen. Ein Anruf bei Christine würde vielleicht Klarheit bringen. Oder noch einfacher, dass Internet. In der Schule gab es einen Computer für die Lehrkräfte, sie würde dort nachforschen und dann... bis hierhin kam sie noch, dann war der Traum auch schon zu ende.
Was sollte sie mit diesen Informationen anfangen. Ihn anrufen oder vorbeifahren. Seine Frau bitten ihm eine Nachricht zu hinterlassen... Vielleicht wegen Ariane ein paar Sachen wissen wollen. Aber auch das wäre ohne Sinn. Katharina bemerkte, dass sie sich eindeutig in einer emotionalen Sackgassen verrannt hatte. Ihren Ex wollte sie nicht mehr und Stephan hatte sie selbst nie gewollt. Nur Jean oder Lucien blieben da noch übrig. Und da wählte sie lieber den Mann, der sie glücklich machen konnte.
„ Ich ruf ihn jetzt an und verabrede mich mit ihm “: das war ihr Plan und ihr Entschluss. Nach allem hin und her schien es die einzige Alternative. In ihrer Handtasche fand sie seine Visitenkarte, eigentlich brauchte sie die nicht. Die Nummer hatte sie so oft angestarrt, sie müsste sie eigentlich rückwärts auswendig aufsagen können. Aber sicher ist sicher. Sie wählte seine Nummer und stand mit Herzklopfen neben dem Apparat. Doch dies war einfach zu unbequem und während es klingelte, setzte sich in ihren Sessel daneben. Bloß nicht verkrampft wirken.
„ Hallo Jean Walieront “.
„ Jean. Hallo ich bin’s Katharina. Die Freundin von Christine “.
„ Ah sieh an ... ich dachte schon du hättest mich vergessen oder die Karte verloren. Aber schön dass du dich trotzdem noch meldest. Wirklich schön ist das “.
„ Ja ich weiß es tut mir auch echt leid. Ich war etwas verwirrt und nicht ganz auf dem Damm. Ich würde dich gerne wiedersehen. Bald wiedersehen “.
„ Das klingt gut, aber ich muss dich leider etwas hinhalten. Ich werde diesen Freitag für 2 Wochen in Urlaub fahren. Das ist schon lange geplant und ... kannst du nicht mitfahren. Dich nehme ich sofort mit “: schlug er vor und hielt das für eine super Idee. Katharina konnte und wollte aber nicht mit. Erstens, weil sie drei Kinder hatte und in die Schule musste. Zweitens weil ihr das zu schnell ging und drittens konnte sie diese zwei Wochen auch noch warten. Vom Finanziellen mal ganz abgesehen.
„ Was ist Katharina. Ich lade dich ein und wir verbringen einen tollen Urlaub zusammen “.
„ Leider geht das nicht. Ich bekomme so kurzfristig keinen Urlaub und bin auch nicht alleine. Können wir uns nicht vorher kurz sehen oder nach dem Urlaub “.
„ Vorher... du ich ruf dich zurück. Versprochen. Ich muss jetzt weiterarbeiten und erst in meinen Terminkalender schauen. Ich hatte auch nicht mehr mit dir gerechnet und ... aber ich versuchs. Versprochen “.
„ Ok. Ich freu mich drauf “: seufzte sie erleichtert aus.
„ Ja ich mich doch auch. Machs gut und bussi“ : hauchte er in den Hörer und legte dann auf. Ein anderer Anrufer war in der Leitung. Sein Freund und Geschäftspartner Gilles.
„ Hi Jean “.
„ Hi Gilles. Na alles im Lot ?“
„ Logisch und bei dir. Du haust am Freitag ab wie man hört “.
„ Ja zwei Wochen nach Martinique. Fast wäre ich mit meiner Traumfrau hin gejettet “.
„ Traumfrau. Wen meinst du damit ?“
„ Na die süße Maus, die ich damals bei dem Besuch meiner Ex kennen gelernt hab. Die hat echt Klasse. Sieht super aus und hat auch was im Kopf. Ein echter Hinkucker “.
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