1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Aber 120 Frauen hatten in seine Studie eingewilligt. Wie hatte er sie dazu gebracht? So etwas würde doch niemand freiwillig tun... oder?
Henry zahlte mit Kreditkarte, wie die meisten Menschen, die viel Geld besitzen. Denn dessen war ich mir nun sicher. Für seine Studie benötigte er viel Geld. Woher er es hatte, keine Ahnung.
Anschließend tranken wir einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, was mich schon wieder nervös machte. Ich stand an einem der Tische am überdachten Stand und wartete auf Henry, der uns die Getränke holte. Aufgrund der Befürchtung, jemand könnte mich erkennen, gab ich mir Mühe, niemanden anzusehen. Aber diesmal hatte ich weniger Glück als am Bahnhof.
"Greta?" Ich zuckte zusammen und blickte auf, in zwei stahlblaue Augen.
"War doch richtig, oder?"
Ich brauchte einen Moment, um das Gesicht einzuordnen. Vor mir stand ein Mann, groß und breitschultrig, etwa Mitte dreißig, mit dichtem Vollbart und man-bun. Aber vor allem diese Augen waren auffällig und das war der einzige Grund, weshalb ich mich plötzlich erinnerte, woher wir uns kannten.
"Elijah", stieß ich überrascht aus. Er war der neue Kollege aus dem Ensemble, den man uns letzte Woche vorgestellt hatte. Zweimal hatten wir einander in der Kantine gesehen, aber nie mehr miteinander gesprochen, als einen kurzen Gruß zu erwidern. Es wunderte mich daher, dass er meinen Namen behalten hatte.
"Bist du alleine hier?", fragte er mich und ich bemerkte aus dem Augenwinkel eine Gruppe junger Männer, die zu uns hinüber spähten. Vielleicht seine Kumpels. Kollegen waren es jedenfalls keine.
"Nein, mit einem Freund", gab ich zurück und kaute auf der Unterlippe.
"Achso, gut. Sonst hättest du dich auch zu uns stellen können. Meine neuen Nachbarn. Wir dachten, bei einem Glühwein kann man sich vielleicht am besten kennenlernen." Er wies auf die drei Typen, die nun zum Gruß die Tassen hoben.
"Danke, aber schon gut." Unsicher blickte ich mich nach Henry um. Wo war er bitteschön abgeblieben?
"Musst du morgen nicht arbeiten?", fragte Elijah. Ich biss mir wieder auf die Unterlippe.
"Nein. Ich habe meinen Samstagsdienst getauscht."
Er grinste.
"Für Glühwein?"
"Offiziell für ein Familienfest morgen, daher wäre ich dir dankbar, du würdest für dich behalten, dass du mich hier gesehen hast." Ich hoffte nur, dass er vertrauenswürdig war.
"Klar, kein Problem."
Da kam Henry endlich zurück, zwei dampfende Becher in den Händen.
"Hi", sagte Elijah freundlich und hielt ihm die Hand hin. Henrys Blick war geradezu vernichtend. Trotzdem nahm er die Hand, nachdem er die Becher abgestellt hatte.
"Das ist Elijah, ein Kollege aus dem Staatstheater", sagte ich rasch und vergaß (natürlich vollkommen unabsichtlich) Henry vorzustellen. Er übernahm das selbst und an der Art, wie er seinen Namen sagte, vermittelte er Elijah unmissverständlich, dass er kein Interesse an einem Gespräch hatte.
Ich sagte nichts dazu und jetzt stehe ich hier, vor dem A7, bibbernd vor Kälte, denn Henrys Lederjacke hält nicht gerade warm. Die Türsteher kontrollieren eigentlich die Ausweise, doch offenbar meint jemand da vorne diskutieren zu müssen, so dass es nicht vorangeht.
"Komm her", sagt Henry, dem nicht entgehen kann, wie sehr ich zittere. Er legt den Arm um mich, zieht mich an sich und wärmt mich mit seinem Körper. Es bringt nicht viel, außer dass mich seine Nähe verlegen macht, zusätzlich zu der Angst, was jemand denken könnte, der mich vielleicht kennt. Aber hier ist niemand. René, diese Jessica und wer auch immer, sind mit Sicherheit schon drin, und sie sollen uns ja sehen. Allerdings erst später.
Wir rücken endlich weiter vor und als wir nach gefühlt einer Stunde in der Kälte ins Warme kommen, brauche ich eine Weile, um mich zu akklimatisieren. In der Zwischenzeit verschwinde ich auf der Toilette, nicht ohne mich vorher umzusehen, ob ich René irgendwo entdecke. Aber er ist vielleicht tanzen oder oben im Raucherbereich.
Der Blick in den Spiegel über den Waschbecken erschreckt mich zuerst. Ich sehe ganz anders aus, als sonst. Wenn ich schon zweimal hinsehen muss, um in meinem Spiegelbild mich selbst zu erkennen, dann wird mich jemand, der mich nicht hier erwartet, doch nicht entdecken, oder?
Ich sehe wirklich nicht schlecht aus, in dem meergrünen Kleid. Das muss ich Henrys Geschmack zugestehen. Zu Hause hat er mich dazu angehalten, meine Haare zu machen und mich zu schminken. Meine grünen Augen wirken nun größer und meine Frisur lässt mich attraktiver wirken. Henry hat es wirklich drauf mich zu beraten.
Trotzdem... Im Grunde, denke ich, ist diese Person da im Spiegel nicht Greta. Aber vielleicht brauche ich das. Dieses Aussehen, um mein Selbstvertrauen zu stärken und das zu tun, wofür ich hergekommen bin. Also straffe ich die Schultern, atme tief durch und verlasse die Damentoilette. Draußen begegne ich Henrys Blick. Er setzt ein Lächeln auf. Zufrieden und auch ein bisschen arrogant.
"Was denn?", frage ich herausfordernd.
"Nichts. Du bist bloß ziemlich sexy."
"Sexy", murmle ich und werde rot. Schon ist mein kümmerlicher Haufen Selbstbewusstsein dahin.
"Sexy... heiß... An dieser Stelle kannst du jedes beliebige Synonym einsetzen", sagt Henry und streckt die Hand nach mir aus. Er zieht mich an sich und ich denke schon er will mich küssen, doch er kommt nur nah an mein Ohr.
"Ich freue mich schon darauf, dich nachher auszuziehen und zu vögeln, bis dir die Sinne schwinden."
Hitze schießt mir durch sämtliche Gliedmaße und mir stockt der Atem. Henry grinst über meine Reaktion.
"Es war wohl keine so gute Idee, dir das zu sagen, bevor du René abservierst." Von Reue fehlt in seinem Tonfall aber jede Spur.
"Ich schätze, es sollte mir Genugtuung verschaffen, dass ein Kerl wie du sich darauf freut, mich... zu vögeln."
"Auf jeden Fall", sagt Henry. "Und dieser René... Er wird bereuen, dass er sich dir gegenüber nicht besser verhalten hat. Dass er nicht zu schätzen wusste, wie besonders du bist."
"Bin ich das? Besonders?"
"Du hast ja keine Ahnung." Henry grinst und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Und jetzt machst du diesen Idioten fertig, klar?"
Ich muss lächeln. "Klar!"
Wir gehen zu einem der Tische und ich setze mich, während Henry zur Theke hinübergeht. Als ich ihm nachblicke, entdecke ich sie plötzlich. René und seine Freunde sitzen nahe der Tanzfläche. Ihre aufgeheizten Gesichter, das Grinsen sagen mir, dass sie gerade von dort zurückgekommen sind. Jetzt haben sie allesamt ein alkoholisches Getränk vor sich stehen. Ich spähe durch die Leute, beobachte ihn, den Mann, in den ich seit zwei Jahren verliebt bin. Und ich spüre es noch immer. Das Bedürfnis in seiner Nähe zu sein. Die Eifersucht auf die Frauen, die mit ihm und seinen Freunden hier sind. Vor heute Abend hat er mich noch nie gefragt, ob ich Lust habe, mitzukommen. Nicht ein einziges Mal ist er auf die Idee gekommen, mich seinen Kumpels vorzustellen, mich in seine Clique aufzunehmen.
Und jetzt?
Jetzt sitze ich hier, warte darauf, dass Henry mir Alkohol besorgt (die Flasche Wein, die wir zu Hause getrunken haben, reicht definitiv nicht aus), damit ich überhaupt den Mut finde, zu dieser Gruppe von Menschen zu gehen, die so viel cooler sind als ich. Denn das ist das Einzige, woran ich denken kann. Eigentlich bewertet man in unserem Alter wohl nicht mehr nach diesem Kriterium. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb René und ich überhaupt befreundet sind. Doch unsere Beliebtheit, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie Menschen, hat uns die ganze Zeit unterschieden und dafür gesorgt, dass er mich als Fußabtreter verwendet.
"Ein Doppelter", sagt Henry und stellt den Whisky auf Eis vor mir ab.
"Das soll ich trinken?", frage ich entsetzt und starre die braune Flüssigkeit an, als würde es sich dabei um Gift handeln.
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