L. Renegaw
Die Studie
Teil 1
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Inhaltsverzeichnis
Titel L. Renegaw Die Studie Teil 1 Dieses ebook wurde erstellt bei
Von Primaballerinas und Partnervermittlungen
Von Bartstoppeln und Nussknackern
Von Selbstvertrauen und mütterlichen Müttern
Von Kapazitäten und unmoralischen Angeboten
Von Zügen und zerbrochenen Spardosen
Von Whisky auf Eis und elektrischen Zahnbürsten
Von Juwelen und Rotkäppchens Großmutter
Von erotischen Musicals und Verträgen
Von gepunkteten Kleidern und Autorennen
Von theoretische Theorien und Rasierschaum
Von Kulturbanausen und O-Saft
Von ersten Aufträgen und Eisbergen
Von Chipkarten und Notizzetteln
Von Paketen und geblümten Vorhängen
Von Raketen und leeren Weinflaschen
Von Rührei und angenehmen Bestrafungen
Von Hormonen und überflüssigen Informationen
Von Eigeninitiative und Popcorn
Von Sushi und tropfnassen Kleidern
Von gälischen Liedern und Handschellen
Von Brecheisen und Sturheit
Von Paprikareis und Basecaps
Von Anrufbeantwortern und braver Mädchenkleidung
Von Striemen und einem Blick von außen
Von Landschweinen und Kanonen
Von anziehenden Brüsten und Apfelkuchen
Von Smalltalk und Teufelskreisen
Von Eisbeuteln und Schwertern
Von alten Bekannten und Zigarettenqualm
Von Tomaten-Sandwich und Unterschieden
Von Panikattacken und Nutella
Mein Dank gilt
Impressum neobooks
Von Primaballerinas und Partnervermittlungen
"Habe ich eigentlich irgendwo Popel hängen? Oder steht Loserin auf meine Stirn geschrieben und ich hab’s noch nicht gemerkt?" Demonstrativ lege ich den Kopf auf den Tisch.
Nadya tätschelt mir mitfühlend den Arm.
"Ach Süße, vergiss ihn doch endlich. Du bist sowieso viel zu gut für den."
Ich hebe den Kopf und blicke sie finster an. So ein Klischee. Du bist zu gut für ihn. Er weiß gar nicht, was er verpasst… Floskeln!
"Das ist nicht wirklich hilfreich", grummle ich.
Nadya seufzt und steht auf, um die leeren Schachteln vom Chinaimbiss in den Müll zu werfen.
"Wie lange bist du jetzt in ihn verknallt?", fragt sie resigniert und ich höre aus ihrer Stimme heraus, dass ich sie jegliche Geduld koste. Fast tut sie mir leid. So oft muss sie dafür herhalten, wenn ich mich über René ausheulen will.
"Weiß nicht", murmle ich und denke kurz nach. Vor über zwei Jahren habe ich mein Studium abgeschlossen und auf der Graduierungsfeier habe ich mich zum ersten Mal mit ihm unterhalten. Da muss es in etwa losgegangen sein. Nur dass er meine Gefühle in all der Zeit nicht erwidert hat. Nein, er betrachtet mich nach wie vor nur als Freundin. Er erzählt mir von seinen Verabredungen, von den Frauen mit denen er ins Bett geht. Nicht einmal darauf ist er bei mir gekommen. Dass er mit mir schlafen könnte. Nein, im Grunde behandelt er mich wie einen seiner Kumpel.
"Du musst das endlich abhaken, Greta!"
"Das sagt sich so leicht", schmolle ich und stehe ebenfalls auf. Ich wasche mir die Hände an dem immer schmutzigen Waschbecken im Pausenraum und nehme zwei Blatt von der Küchenrolle, anstatt das bakterienverseuchte Handtuch zu benutzen.
"Ja, verdammt. Aber der Kerl will nichts von dir und dein Leben ist auch kein Liebesfilm, bei dem plötzlich alles anders wird. Er wird nicht irgendwann die Augen öffnen und sehen, was er an dir hat. Der Kerl ist ein Arsch, Greta. Schieß ihn endlich ab und lerne andere kennen! Und wenn du dich in einem dieser Flirtforen anmelden musst."
Ich schnaube und überspiele damit, wie sehr sie den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
"Ist das dein Ernst? So ein Forum für die ganz verzweifelten Fälle?"
"Du bist ein ganz verzweifelter Fall", sagt Nadya und grinst mitleidig. Ich ziehe einen Schmollmund und stehe auf.
"Und du bist blöd."
Sie lacht und umarmt mich.
"Das hast du schon das ein oder andere Mal erwähnt."
Ich lächle gequält.
"Komm schon, wir müssen wieder ran", sagt sie und ich folge ihr aus dem Pausenraum.
Die meisten Menschen denken, dass Maskenbildner den ganzen Tag Künstler vor ihren Auftritten schminken. Das stimmt jedoch nur bedingt. Zwar gehört auch das zu unserem Aufgabengebiet, doch die meiste Zeit verbringen Nadya und ich in einer kleinen Kammer, ganz am Ende eines Kellerganges, noch hinter den Schneidereien und der Schusterei. Dort sitzen wir beinahe jeden Tag und stellen Perücken her. Und weil wir dort fast immer alleine sind, haben wir viel Zeit zum Reden.
Während wir in den vergangenen zwei Jahren Haar um Haar an Netze auf Styroporköpfen knüpften, redeten wir über alles und jeden. Mittlerweile kennen wir einander in- und auswendig und vertrauen uns gegenseitig unsere tiefsten Geheimnisse an. Aber wir tauschen uns auch über den neuesten Klatsch und Tratsch aus dem Ensemble aus.
Heute Morgen haben wir zum Beispiel über den neuen Schauspieler geredet, den unser Intendant gerade erst für das Staatstheater gewonnen und gestern durch die Werkstätten geführt hat. Nadya zufolge ist er ein echter Hingucker. Ich habe jedoch nicht weiter darauf geachtet und erinnerte meine Freundin daran, dass sie verheiratet ist. Darauf verdrehte sie die Augen und kommentierte, dass sie ja wohl wenigstens gucken dürfe und dieser Elijah ziemlich attraktiv sei.
Ich wollte da nicht weiter drauf eingehen, denn ich war mit den Gedanken bei René. Den Rest des Vormittages sprachen wir dann auch über ihn, bis wir in die Mittagspause gingen.
Eigentlich mag ich meine Arbeit, doch an Tagen wie heute, an denen es mir schlecht geht, ich deprimiert bin und am liebsten alle Welt anfauchen würde, wäre ich mit Begeisterung dabei, mich einfach in meinem Bett zu verkriechen und erst wieder daraus hervorkommen, wenn mein Traumprinz vor der Tür steht. Aber Nadya hat vermutlich recht. Mein Leben ist kein Liebesfilm und der perfekte Kerl wird nicht an meiner Haustür klingeln.
Wahrscheinlich liegt meine verquere Vorstellung daran, dass ich mir als Teenager eine Liebesschnulze nach der anderen reinzog und glaubte, dass das Leben genau so laufen müsse. Und jetzt bin ich 27, arbeite für einen mittelprächtigen Lohn (einem recht guten Lohn im Vergleich zu dem der meisten Schauspieler) im Staatstheater in Kassel und hatte in meinem ganzen, verdammten Leben erst einen einzigen Freund.
Vielleicht bin ich auch einfach hässlich. Oder da klebt doch ein dicker (für mich unsichtbarer) Popel unter meiner Nase, der die Männerwelt davon abhält, sich mir auf weniger als einen Meter zu nähern.
Ausgerechnet heute Nachmittag sind wir nicht in unserer Kammer, sondern mit einigen anderen in der Maske und schminken und frisieren die Balletttänzer und ‑tänzerinnen für die Abendaufführung. Ausgerechnet heute, wo ich lieber dasitzen und Haar um Haar an die neue Perücke knüpfen würde, die ich gestern angefangen habe. Ich stehe also hinter einer Primaballerina, bürste ihr Haar mit kräftigen Strichen und ignoriere ihre arroganten Blicke im Spiegel.
Es gibt zwei Arten von Künstlern. Jene, die sich wie dieses blonde Klappergestell aufführen, uns als minderwertig ansehen und nie ein freundliches Wort für uns übrig haben, die ihre Nase in die Luft gereckt tragen und die mich dummerweise einschüchtern. Oder jene, wie die Frau, die vor Nadya sitzt und sich freundlich mit ihr unterhält.
"Gibt es denn irgendetwas, das man sich unbedingt ansehen sollte, wenn man schon mal in Kassel ist?", fragt sie gerade und schließt ihre Augen, damit Nadya den Lidstrich auftragen kann.
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