Thomas Häring - Die Beobachter

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Wie lebt es sich in der Welt der Arbeitsagenturen und der Arbeitslosigkeit? Wer steht auf welcher Seite? Arbeitslose versus Fallmanager, oder gibt es doch auch ein sozialverträgliches Miteinander? Was machen all diese Leute eigentlich den ganzen Tag? Wieso bleiben die Einen was sie sind und warum finden die Anderen den Weg hinaus in die Selbständigkeit, oder zumindest in deren Schein? Weshalb das alles?

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Thomas Häring

Die Beobachter

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Inhaltsverzeichnis

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Neiße to miet you

Insiderbericht einer Befristeten

Selbstversuch eines Scheinarbeitslosen

Der Andere und die großen Fragen

Die Andere und ihre Probleme

Wie alles begann - der Tag meiner Arbeitslosmeldung

Interview mit einem Arbeitslosen, das nie stattgefunden hat

Impressum neobooks

Neiße to miet you

Es gibt eine Stadt in diesem Land, in der alles ein kleines bißchen anders ist. Nicht nur, daß die Leute gerne auf den Boden schauen, wenn sie laufen, wobei sie des Öfteren auch noch etwas merkwürdig gehen, sondern auch daß Rentnertouristenschwärme die Altstadt überfluten, was sich sogar die Neiße selbst hin und wieder traut. In dieser Stadt pulsiert das Leben auf seine ganz eigene Art und irgendwie hängt nicht nur alles zusammen, viele Bewohner hängen auch ab, beziehungsweise sind abhängig. Das Herzstück von G. ist die Agentur für Arbeit(slosigkeit), sie gilt als der größte Arbeitgeber und ohne sie wäre alles nichts. Nicht nur die Arbeits- und Hoffnungslosen, sondern auch die Selbständigen und Scheinselbständigen hängen am Tropf der Agentur, was dazu führt, daß jene, wäre G. die Mafia, so etwas wie den Paten höchstpersönlich darstellte. Kein Wunder also, daß sich der Chef jener Arge dazu auserkoren sah, OB von G. zu werden. Da es ja außer Prinz Charles noch etliche andere Männer gibt, die gerne ein Tampon sein möchten, verwunderte es nicht, daß sich auch Mitbewerber aufstellen ließen und einer von denen schlug den Chef der Arge in einer Stichwahl. Hatten die Bewohner von G. damit die Hand gebissen, die sie füttert? Nun ja, gut möglich, aber vielleicht hatte der Verlierer nur deshalb nicht reüssieren können, weil er aus dem Westen stammte und das war eben nach wie vor ein Kriterium, das gegen einen Kandidaten sprach. Wie auch immer, so blieb der gute Mann also was er war, nämlich der mächtigste Typ in G., weil ja fast alle Leute dort von seiner Agentur bezahlt wurden. Es verwunderte nicht weiter, daß er sich nach der mißglückten beruflichen Weiterentwicklung vermehrt auf sein Privatleben konzentrierte, denn seinen Job machte er mit links, was im wilden Osten von einem Mann in einer Führungsposition auch erwartet wurde. Da in seiner Agentur sehr viele Frauen arbeiteten, glich das Ganze in gewisser Weise einem Hühnerstall, in dem die Hühner gackerten, Eier legten und froh darüber waren, einen sicheren Job in unsicheren Zeiten zu haben. Nicht daß es sich bei ihnen um sonderlich glückliche Hühner gehandelt hätte, aber sie waren froh darüber, nicht so wie die Hartz IV-Hühner in Käfighaltung leben zu müssen, denn bei jenen war die Reisefreiheit doch in gewisser Weise ein wenig eingeschränkt. Der Hahn krähte leise auf dem Mist und die Hühner waren einigermaßen zufrieden, denn sie waren irgendwie alle gleich und weil sie doch auch leicht sozialistisch geprägt waren, war das für sie schon wichtig. Aber dann tauchte eines Tages ein ganz besonderes Huhn bei ihnen auf. Jene Henne unterschied sich von den anderen Hühnern schon allein dadurch, daß sie laut losgackerte, obwohl sie noch überhaupt kein Ei gelegt hatte. Natürlich wurde der Hahn alsbald auf besagtes Huhn aufmerksam, was den anderen Hennen weniger gefiel. Als es schließlich soweit war, daß der Hahn die tolle Henne zu seiner Lieblingshenne erkor und fortan nur noch sie bestieg, waren die anderen Hühner im Stall ziemlich angepißt und wandten sich von dem Huhn ab. Sie beargwöhnten es mißtrauisch und verbreiteten Gerüchte, wonach die Lieblingshenne des Hahns viel weniger arbeiten müsse als sie selbst und viel öfter krank wäre. Der Neid hatte also Einzug gehalten ins ehemals sozialistische Hühnerparadies, in dem zwar auch nicht alle gleich gewesen waren, doch die Erinnerung verklärte die Vergangenheit sorgfältig und so war die Atmosphäre leicht vergiftet. Dazu kam der Druck von außen, immer neue Gesetze mußten umgesetzt werden und die Hühner rackerten sich fast zu Tode. Der Hahn aber stand wie immer auf seinem Misthaufen und machte weiter wie bisher. Selbst wenn seine Lieblingshenne mal ausrastete, blieb er ganz gelassen und versuchte, mit seiner ruhigen Art, wieder Harmonie herzustellen. Das war nicht immer ganz einfach, aber im Grunde ging es ja um viel mehr als um die beleidigten Hühner im Hühnerstall namens DLZ (Dienstleistungszentrum für Arbeit). Draußen in der Stadt lebten, beziehungsweise vegetierten, die Bewohner von G. mehr oder weniger desillusioniert vor sich hin und daß es dort am 20.Jahrestag der Deutschen Einheit nicht wirklich was zu feiern gab, verwunderte kein bißchen, denn der Aufschwung war in jener Stadt an der Grenze zu Polen nie tatsächlich angekommen und die Hoffnung hatte sich auch schönere Plätze ausgesucht, an denen sie ihr Unwesen trieb. Doch um G. und seine Bewohner besser zu verstehen, muß man eintauchen in den Sumpf und das alles etwas genauer betrachten, was ich auf den folgenden Seiten versuchen werde.

40 Jahre Sozialismus hatten selbstverständlich ihre Spuren hinterlassen und so überrascht es kein bißchen, daß viele Ostdeutsche erwarten, daß sich der Staat um sie kümmert und für sie sorgt. Das führt wiederum dazu, daß die Leute oft glauben, Vater Staat müßte sie in Lohn und Brot bringen, weshalb es mit der Eigeninitiative der Arbeitssuchenden manchmal nicht weit her ist. Doch seit Hartz IV und das Prinzip „Fordern und Fördern“ in Deutschland Einzug gehalten haben, sind auch für die Langzeitarbeitslosen die „fetten Jahre“ endgültig vorbei und so gibt es Druck, Streß, Ärger und Sanktionen, wenn man sich nicht an das hält, was mit den Hühnern vom DLZ vereinbart wurde. Das Leben als Arbeitsloser hat sicherlich auch seine Vorteile, schließlich hat man mehr Zeit als viele Andere und kann den ganzen Tag machen was man will, doch genau jene vermeintliche Freiheit macht vielen Menschen zu schaffen. Der Grund dafür liegt unter Anderem darin, daß es in der ehemaligen DDR quasi keine Arbeitslosigkeit gab, was bedeutete, daß im damaligen „Arbeiter- und Bauernstaat“ alle etwas zu tun hatten, zumindest auf dem Papier, welches bekanntlich sehr geduldig ist. Die meisten Leute benötigen eine Aufgabe, sie wollen gebraucht werden und irgendwie nützlich sein, weshalb sie oft in ein Loch fallen, wenn das nicht gegeben ist. Offiziell hat G. eine Arbeitslosenquote von vielleicht 15 Prozent, doch die gefühlte Arbeitslosigkeit beträgt das Doppelte und wenn es den Tourismus nicht gäbe, dann wäre diese Stadt mausetot und könnte sich selbst fluten.

Aber da gibt es ja noch mehr. Rentner und Arbeitslose haben G. für sich entdeckt und ziehen in Scharen hierher. Das hat natürlich mit den niedrigen Mieten und Lebenshaltungskosten, aber auch damit zu tun, daß man sich in G. unter seinesgleichen befindet. Von den Studierenden dagegen bleiben die Wenigsten in der Stadt, sondern suchen schnell das Weite, denn für sie gibt es hier nicht wirklich eine Zukunft. Aber stattdessen existiert in G. noch eine ziemlich starke Fraktion und das sind die Familien, beziehungsweise Alleinerziehenden mit Kindern. Jene haben sich in dieser Stadt gemütlich eingerichtet, denn wenn es für junge Leute wenig oder keine Arbeit gibt, dann setzt man halt Kinder in die Welt, um eine Aufgabe zu haben und irgendwie beschäftigt zu sein. Wie nicht anders zu erwarten, handelt es sich bei den Eltern überwiegend um Mitglieder der unteren Schichten, was natürlich dazu führt, daß meistens die Kinder ebenfalls nicht zur Elite gehören werden. Vielleicht auch deshalb wurde von der Bundesregierung das Elterngeld für Hartz IV-Empfänger zwar nicht abgeschafft, wird aber nun mit dem Hartz IV-Einkommen verrechnet, denn die Politik und natürlich auch die Wirtschaft haben nicht wirklich ein Interesse daran, daß sich die Arbeitslosen wie die Karnickel vermehren und sie sowie deren Brut dem Sozialstaat jahrzehntelang auf der Tasche liegen. Kann man Sarrazins Thesen also auch in G. anwenden, natürlich in leicht abgewandelter Form? In gewisser Weise schon, doch damit wäre seine Gen-Theorie bereits widerlegt, denn Dummheit und Bildungsferne müssen nicht immer etwas mit der Nationalität zu tun haben.

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