"Nein, das wäre zu einfach. Du musst mit mir Schluss machen, damit sie Mitleid mit mir hat."
Mir entfährt ein Schnauben.
"Du solltest dir nicht so viele Hollywood-Komödien reinziehen."
"Aber das funktioniert bestimmt", sagt er und klingt fast begeistert. Glaubt er das wirklich? Ich schüttle genervt den Kopf, was er nicht sehen kann, weil es im Bergpark fast stockdunkel ist. Nur Renés Handytaschenlampe spendet etwas Licht.
Ich kann schon wieder Nadyas Stimme in meinem Kopf hören, wie sie mich anschreien würde, wenn ich diesem dummen Vorschlag zustimme.
Das Blöde ist, ich ziehe es tatsächlich in Erwägung. Denn vielleicht - ganz vielleicht - erkennt René irgendwann, was er an mir hat.
Ich seufze leise.
"Und wie genau stellst du dir das vor?"
René bleibt stehen.
"Heißt das, du machst es?", fragt er und ich glaube das begeisterte Strahlen seiner Augen sogar in der Dunkelheit erkennen zu können.
"Ich habe mich noch nicht entschieden", behaupte ich. Aber da umarmt er mich schon.
"Danke", murmelt er und klingt dabei so froh, so erleichtert, dass ich keinen Rückzieher mehr machen kann. Verdammt, warum hat dieser Mann mich nur so in seiner Gewalt.
Du bist so dumm, Greta!
Es ist noch immer mitten in der Nacht. René liegt auf meiner Couch und pennt, während ich im Sessel sitze, meinen Laptop auf dem Schoß habe und tippe.
Greta:Bist du da?
Henry:Ja. Was machst du so spät... oder früh... noch online? Brauchst du nicht deinen Schönheitsschlaf? ;)
Greta:Haha, sehr witzig...
Henry:Ist was passiert? Tut mir leid, ich wollte nicht taktlos sein.
Greta:Schon ok. Meine eigene Dummheit. Das ist passiert.
Henry:Ohoh...
Greta:Mister-ich-tauche-mitten-in-der-Nacht-bei-dir-auf liegt auf meiner Couch und pennt...
Henry:Betrunken?
Greta:Ja, aber das ist nicht das Schlimmste...
Henry:Was ist das Schlimmste?
Greta:Meine eigene Dummheit...
Henry:Hattest du Sex mit ihm?
Greta:Oh Gott, nein!
Henry:Dann kann es nicht so schlimm sein. Hau raus!
Und dann erzähle ich es ihm. Berichte ihm von dieser Jessica und davon, was ich für ihn tun soll. Dabei kommen mir die Tränen und ich bete inständig, dass René nicht aufwacht und das mitbekommt.
Henry:...
Greta:?
Henry:Du brauchst dringend etwas, was dein Selbstvertrauen aufbaut, Süße... Weil hättest du welches, würdest du sowas nicht für ihn tun.
Greta:Und was? :(
Henry:Ich überlege mir was. Und jetzt empfehle ich dir dringend: Geh schlafen!
Greta:Okay... Danke für's zuhören.
Henry:Hab ich gern gemacht!
Und schon ist er offline. Ich blicke auf die Buchstaben, die mir das verkünden und frage mich, wie er sich da etwas ausdenken will. Wie soll er aus der Entfernung wissen, was mein Selbstbewusstsein aufpoliert? Schließlich fahre ich meinen Laptop herunter und tue, was er gesagt hat. Ich gehe schlafen. Ohne René noch einen Blick zuzuwerfen, verlasse ich die Wohnküche. Denn ich weiß, ihn beim Schlafen zu beobachten wäre keine gute Idee.
Am Morgen wache ich mit dem Duft von Rührei in der Nase auf. Sofort bin ich misstrauisch. René kann in etwa so gut kochen, wie mein Bruder Daniel. Und bei dem kann man froh sein, wenn er es schafft, Tiefkühlpizza vor dem Backen aus der Plastikverpackung herauszuholen. Ich stehe auf, ziehe mir einen Sweater über und gehe durch den Flur auf die Küchentür zu.
Ich höre Stimmen... Kein gutes Zeichen. Und tatsächlich steht meine Mutter am Herd und rührt in einer Pfanne.
"Ah, hallo Schatz, ich wollte dich gleich wecken", sagt sie und lächelt mich an, auch wenn ihr Blick eindeutig die Frage aufwirft, wer zum Henker der Kerl ist, der die Nacht auf meiner Couch verbracht hat.
René grinst mich an, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, was seine Muskeln betont.
"Erinnere mich daran, dass ich nie wieder den Ersatzschlüssel bei euch deponiere", sage ich mürrisch, gehe aber zu ihr, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken.
"Sei nicht albern. Man kann nie wissen, wofür das einmal gut ist."
"Zum Beispiel um samstagmorgens Frühstück gemacht zu bekommen", wirft René ein.
"Ich weiß, wofür es nicht gut ist", sage ich missmutig, gehe zur Balkontür und lasse frische Luft herein.
Eigentlich liebe ich meine Eltern. Meine Mutter ist so ein wunderbarer Mensch, der sich kümmert, der da ist, wenn man ihn braucht. Sie ist eben eine ganz typische Mutter. Früher fand ich das schrecklich, habe mich unheimlich umsorgt und teilweise auch eingeengt gefühlt. Mit der Zeit habe ich sie jedoch zu schätzen gelernt. Nur vielleicht nicht gerade dann, wenn sie samstags unangekündigt in meiner Küche steht, um mir Frühstück zu machen. Noch dazu wenn ein Typ auf meinem Sofa übernachtet hat.
"René hat mir gerade erzählt, woher ihr euch kennt. Warum hast du uns einander nie vorgestellt?"
Ich hebe eine Augenbraue. Denkt sie, da läuft was zwischen uns? Blöde Frage. Natürlich denkt sie das, wenn sie ihn schlafend in meiner Wohnung antrifft. Ein guter Freund würde schließlich nicht unbedingt hier übernachten.
"Weiß nicht", gebe ich nur zurück. "Gab keine Gelegenheit."
"Dann kommt doch an Weihnachten zusammen vorbei."
"Mama, wir sind kein Paar", protestiere ich und er fängt an zu lachen.
"Macht doch nichts", sagt sie schulterzuckend. Sie hat die Trennung von meinem Exfreund nie ganz verwunden. Zumindest kann sie es schlecht ertragen, mich mit 27 nicht in festen Händen zu wissen. Daher lässt meine Mutter keine Gelegenheit aus, mich zu verkuppeln. Völlig egal, ob sie den Mann kennt oder nicht.
"Oder hast du an Weihnachten etwas anderes vor?", fragt sie ihn. Ich weiß, dass er nichts vorhat. Außer natürlich feiern zu gehen. Renés Familie lebt in Frankreich. Sicher könnte er sie besuchen, doch er will das gar nicht. Sein Vater ist nie ganz darüber hinweggekommen, dass René mit seiner deutschen Mutter zurück nach Kassel gezogen ist und nachdem sie vor zwei Jahren starb, hegte er dennoch keine Ambitionen, den Kontakt zu seinem Vater auszubauen.
"Ich habe nichts vor", sagt René.
"Also ist es abgemacht. Greta, du bringst ihn mit!"
Nur mit Mühe kann ich ein genervtes Knurren unterdrücken. Wenn Nadya oder wahlweise auch Henry das erfahren... Ich bin geliefert.
Von Kapazitäten und unmoralischen Angeboten
Mein Kopf pocht schmerzhaft. Ich gebe René die Schuld daran. Wegen seines nächtlichen Besuches und dem Schlafmangel. Wegen seiner dummen Sprüche. Wegen der vielen Gedanken die ich mir um ihn mache. Und verdammt noch mal wegen der verdammten Gefühle, die verdammt noch mal nicht weg gehen wollen...
Ich schließe die Augen und lehne mich auf dem Sofa zurück. Es ist keine zwanzig Minuten her, dass sie beide gegangen sind. Meine Mutter hat René angeboten, ihn auf dem Heimweg mit in die Innenstadt zu nehmen. Also sind sie gleichzeitig fort.
Und jetzt habe ich Kopfschmerzen. So schlimm, dass ich heulen könnte. So schlimm, dass ich nichts tun möchte, außer schlafen.
Stattdessen jedoch habe ich wenige Minuten später schon wieder den Laptop auf dem Schoß und logge mich im Forum ein. Zu meiner Enttäuschung jedoch ist Henry nicht online. Aber es ist auch erst kurz nach zehn und wer weiß, wie lange er nach unserem Gespräch noch auf geblieben ist.
Ich stöbere zuerst ein wenig in den Profilen anderer User herum, doch so richtig ansprechen tut mich niemand. Dafür haben mir drei Männer Blumensträuße geschickt. Ich stalke ihre Bilder, bin aber enttäuscht. Zwei sind ungefähr doppelt so alt wie ich und der dritte hat kein Bild hochgeladen. Also erwidere ich die Blumengrüße nicht. Genau da ploppt mein Chatfenster auf. Ich freue mich zuerst, dass Henry online ist, doch im nächsten Moment erkenne ich, dass es sich bei der Person im Chat um jemand anderen handelt, dessen Name nur ähnlich ist.
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