"Du wolltest Alkohol. Mach keine halben Sachen. Trink das jetzt!"
Ich hebe das Glas, rieche daran und verziehe das Gesicht.
"Stell dich nicht so an!", sagt er und ich kippe das Zeug runter. Zwei Schlucke braucht es und dann huste ich, würge fast und es schüttelt mich kräftig. Henry lacht.
"Vielleicht hätten wir doch mit einer Mischung anfangen sollen."
"Das wäre für deine Verhältnisse wohl zu gütig gewesen", keuche ich und ignoriere die beiden Tussis am Nachbartisch, die mich mit hochgezogenen Brauen mustern. Ich gebe offenbar ein ziemlich erbärmliches Bild ab. Vielleicht haben sie aber auch Mitleid mit Henry, der seinen Abend mit mir verbringen muss.
Und plötzlich regt sich Trotz in mir. Henry hat gesagt, ich sei heiß... sexy... Er freut sich auf den Sex mit mir. Ja, und ich freue mich auch. Endlich wieder Sex... vögeln hat er es genannt. Derlei Worte, Synonyme dafür, habe ich nie verwendet. Ich habe ohnehin selten darüber geredet. Vögeln... ficken... Diese Worte haben für mich impliziert, dass es schmutzig, versaut, sogar ein wenig würdelos zugeht. Und plötzlich will ich genau das. Jetzt und auf der Stelle. Aber ich habe zuerst etwas zu erledigen.
Ich stehe auf.
"Oh, du bist schon soweit?", fragt Henry. Er klingt belustigt.
"Und ob", bringe ich heraus.
"Na, dann lass dich nicht aufhalten. Ich werde an die Bar gehen und darauf warten, dass du anfängst mit mir zu knutschen."
Eine wahrhaft verlockende Vorstellung und ich würde mir am liebsten schon jetzt diesen Triumph gönnen, doch ich muss zuerst etwas tun, um mir den Preis zu verdienen.
Ich dränge mich an Menschen vorbei, gehe auf René zu, der gerade über den Witz lacht, den eins der Weiber gemacht hat. Wahrscheinlich war das Gesagte gar nicht witzig und er lacht nur, weil er auf sie steht.
Als ich seinen Tisch erreiche und mich vor ihm aufbaue, ihn anvisiere, kann ich die irritieren Blicke spüren. Auch seiner ist verwirrt, bis ihm klar wird, dass die heiße Frau, die sich da vor ihm positioniert hat, die ist, die er gebeten hat, seine Freundin zu mimen.
"Greta", bringt er heraus. "Du bist ja doch gekommen."
" Doch ", wiederhole ich verächtlich. "Als ob du jemals auf die Idee gekommen wärst, mich zu fragen, ob ich mit will."
Er wirft mir einen überraschten Blick zu, bevor er kurz seine Freunde ansieht, als wollte er sagen "Schalt mal ‘n Gang runter!" Aber ich denke gar nicht daran.
"Nein, dich interessiert nur, dass du mit deinen kleinen Betthäschen Spaß hast. Bis du dann mal wieder genug davon hast und zu mir angekrochen kommst."
"Deine Freundin?", fragt die strohblonde, aufgetakelte Tussi neben ihm.
René reagiert nicht auf sie. Er steht auf, kommt um den Tisch herum und fasst mich am Arm. Ich will mich eigentlich nicht von ihm wegziehen lassen, ich will ihn so richtig schön blamieren. Denn das hat er verdient. Und wie! Trotzdem kann ich mich nicht wehren.
"Sag mal, bist du irre? Du kannst vor Jessica doch nicht sowas sagen."
Ich schnaube.
"Ich bitte dich. Sie ist doch mit dieser Alten befreundet, wie heißt sie noch gleich, mit der du als letztes gevögelt hast?"
"Ellie..."
"Jaa genau! Ist sie auch hier? Eine von denen?", frage ich und deute auf seine Gruppe.
"Hör jetzt auf mit dem Scheiß. Was ist denn bei dir verkehrt?" Renés Griff um meinen Arm wird stärker.
"Du wolltest doch, dass ich mit dir Schluss mache. Hier hast du es. Fick dich, René! Hörst du? " Letzteres schreie ich, damit es jeder hört, doch die Musik ist ohnehin zu laut.
"Fick dich und deine scheiß Tussis! Und komm dann nicht wieder zu mir an, um dich auszuheulen. Ich bin nämlich den Rest des Abends selbst mit ficken beschäftigt, okay? Ich suche mir hier einen und dann wirst du schon sehen. Es gibt tatsächlich Männer die mich heiß finden und nicht für blonde Tussis verschmähen, hast du kapiert?"
"Scheiße, verdammt noch mal. Fahr mal runter, Greta! Wie viel hast du bitteschön getrunken?", fragt René gedämpfter. Aber ich denke gar nicht daran, meinerseits die Stimme zu senken oder auf seine Frage zu antworten.
"Du wirst schon sehen." Ich reiße mich los, bin mir bewusst, dass jeder meiner Schritte vermutlich von mehreren Augenpaaren verfolgt wird und gehe direkt auf Henry zu. Er unterhält sich mit der gepiercten Barkeeperin. Ich achte jedoch gar nicht darauf, lege einfach die Hand in seinen Nacken, stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn. In meiner Vorstellung fällt René die Kinnlade herunter und das macht es noch tausend Mal besser. Henry zieht mich näher an sich, zwischen seine Beine, die er leicht angewinkelt hat, um auf dem Barhocker sitzen zu können. Ich spüre seine warmen Lippen, seine Hand, die meinen Hintern umfasst und mich feucht zwischen den Beinen werden lässt. Ich dränge mich an ihn, presse mein Becken gegen seins und er vertieft den Kuss noch, berührt meine Zunge mit seiner. Hitze schießt mir durch jeden Körperteil. Verdammt, ich will mehr. Auf der Stelle!
In diesem Moment reißt mich jemand von Henry weg. Ich stolpere fast über seine Füße, doch René hält mich fest.
"Sag mal, bist du jetzt vollkommen irre?", schreit er mich an. "Du kannst doch nicht mit irgendeinem, wildfremden Typen knutschen!"
"Ach nein? Wieso nicht?", frage ich und hebe herausfordernd das Kinn.
"Weil... weil... du Greta bist. Du bist süß und lieb und nett... Du machst sowas nicht."
Einen winzigen Augenblick zögere ich. Das denkt er von mir? Dass ich so bin? Vielleicht, ganz vielleicht sieht er doch mehr in mir... Aber wir reden hier von René, der mich benutzen wollte, um an Jessica ranzukommen.
"Verschwinde", kommt über meine Lippen. "Du hast keine Ahnung, wie ich wirklich bin."
Henry steht auf, genau im richtigen Moment.
"Und ich kann sein wie ich will. Nur weil du mich so nicht kennst, muss das überhaupt nichts heißen", bekräftige ich.
Ich denke, dass er jetzt gehen wird, dass er mich in Ruhe lässt, weil das eigentlich seine Art ist. Wenn es kompliziert wird, zieht er den Schwanz ein oder wird ausfällig. Stattdessen jedoch tut er etwas ganz Anderes. Blitzschnell umfasst er mein Gesicht mit den Händen und küsst mich. Ich bin so geschockt, dass ich mich nicht dagegen wehre. Aber verdammt, ich will es auch gar nicht. Endlich... Endlich Renés Lippen auf meinen... Wie lange habe ich darauf gewartet? Wie oft habe ich mir das vorgestellt?
Abermals wird der Kuss unsanft unterbrochen und als ich wahrnehme weshalb, steht Henry schon vor mir, hält René am Kragen fest und droht ihm mit der Faust.
"Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass diese Frau etwas Besonderes ist? Nichts für deine entwürdigenden Spielchen?", zischt er, während ich nicht in der Lage bin, etwas anderes zu tun, als meine Lippen mit den Fingerspitzen zu berühren. Verdammt... Ich wollte ihn an diesem Abend loswerden. Ihm ein für alle Mal klarmachen, dass er der größte Idiot ist, den ich kenne. Stattdessen hat er mich geküsst und ich habe seinen Kuss erwidert. Aber wollte er nicht eigentlich diese Jessica? Hat er mich nicht darum gebeten, ihn vor ihren Augen abzuservieren? Natürlich hat er sich das ein wenig anders vorgestellt, doch er hätte das alles zu seinen Gunsten auslegen können. Jetzt kann er das nicht mehr.
"Fick dich doch!", erwidert René und reißt sich los. Natürlich weiß er jetzt, dass Henry kein Fremder für mich ist, aber auch das ist egal. Er würde niemals eine Schlägerei mit ihm anfangen. Dafür hat er zu viel Schiss vor Kerlen, die stärker sind als er. Und das ist Henry auf jeden Fall. Allein seine Größe würde ihm einen Vorteil bringen.
"Gehen wir", sagt Henry, legt besitzergreifend den Arm um mich und führt mich zum Ausgang. Ich kann Renés Blick auf mir spüren, wie er uns verfolgt, doch ich sehe mich nicht mehr um.
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