"Hey."
Ich zucke heftig zusammen. Elijah ist an meiner Seite aufgetaucht und hat das Tablett direkt neben meines geknallt.
"Gott, spinnst du?", fahre ich ihn an. Er grinst entschuldigend.
"Sorry", sagt er nur und wendet sich dann an den Kantinenmenschen, der mir gerade meinen Teller mit Gulaschsuppe reicht. "Einmal das Gleiche."
Ich schiebe mein Tablett weiter zur Kasse, bezahle und folge Nadya zu einem der quadratischen Tische in der Ecke. Elijah setzt sich kurz darauf ungefragt zu uns. Was ist nur los mit diesem Typen?
"Und? Wie war euer Wochenende?", fragt er und ich verschlucke mich fast an dem Löffel Suppe, der mir ohnehin die Kehle verbrennt. Ist das sein fucking Ernst? Zwingt er mich jetzt dazu, vor seinen wissenden Ohren meine beste Freundin anzulügen? Aber es ist ja nicht so, dass ich das nicht schon heute Morgen und letzte Woche getan hätte...
Nadya allerdings scheint nichts gegen seine Gesellschaft zu haben. Stattdessen blickt sie von mir zu ihm, was wohl etwas bedeuten soll, das ich mal wieder nicht schnalle (immerhin habe ich diesmal erkannt, dass ihr Blick etwas ausdrücken soll, was sie nicht ausspricht... also... das glaube ich zumindest).
"Mein Wochenende war gut", sagt sie. "Ich habe mir Samstag nach der Arbeit mit Tobias noch einen Film im Kino angesehen."
"Tobias ist ihr Mann", erkläre ich Elijah und hoffe dadurch vielleicht drum herum zu kommen, seine Frage ebenfalls zu beantworten.
"Sowas Ähnliches hatte ich mir gedacht, ja. Zumindest, dass Tobias nicht ihr Hund ist oder ihr Meerschweinchen oder so."
Ich denke schon, dass ich fein raus bin, wiege mich in Sicherheit, als er mir die gleiche Frage noch einmal stellt.
"Und wie war dein Wochenende?"
Ich habe das Bedürfnis, ihn anzuknurren, ihm zuzuzischen, dass er mit diesen Andeutungen aufhören soll, doch Elijah scheint diese Provokationen zu genießen, denn der Schalk funkelt in seinen Augen.
"Schön", antworte ich. Mehr nicht.
"Wirklich? Du wirkst eher, als wäre dein Wochenende ziemlich beschissen gewesen."
Ich habe das Bedürfnis die Augen zu schließen, genervt zu seufzen und ihn dann anzumeckern, doch ich unterdrücke all das und sammle mich kurz für meine Antwort. Wie zum Henker kommt er darauf?
"Nein, gar nicht. Ich hatte ein super schönes Wochenende", sage ich und wirke, trotz aller Bemühungen, herausfordernd.
Nadya scheint plötzlich irritiert, als hätte sie etwas von der Spannung zwischen mir und Elijah wahrgenommen. Oh verdammt, bitte nicht. Ich will keine Fragen beantworten müssen und noch mehr zum Lügen gezwungen sein, als ohnehin schon.
Aber sie sagt nichts. Jedenfalls noch nicht. Wir unterhalten uns über ganz normale Sachen. Und Elijah wickelt Nadya regelrecht um den kleinen Finger. Er ist witzig, nett, charmant und meine beste Freundin wirft mir immer wieder Blicke zu, die ich nicht deuten kann. Ich sollte wohl einen Kurs besuchen, der mir dabei hilft, Nadyas unausgesprochene Andeutungen zu entschlüsseln.
Schließlich stehen wir auf, bringen die Tabletts zurück und gehen zum Ausgang. Im Flur hält Elijah mich plötzlich zurück, während Nadya alleine weitergeht, die mir gerade von dem Kinofilm erzählt hat.
"Greta", sagt Elijah leise und beinahe eindringlich.
"Was denn?", zische ich.
"Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst so anders."
Wirklich? Ausgerechnet ihm ist es aufgefallen? Ihm der mich kaum kennt?
"Ja, alles bestens", gebe ich zurück und setze ein Lächeln auf.
"Aber du wirkst, als hätte man dir sämtliche Lebensenergie ausgesaugt."
Ich muss aussehen, als würde mir das Gesicht herunterfallen. Als hätte ich eine Maske getragen, die jetzt von mir abfällt.
"So ein Blödsinn", fahre ich ihn an. "Was willst du eigentlich von mir?"
"Dein Freund sein", gibt er unbeirrt zurück. Ich schnaube, reiße mich los und gehe weiter. Nadya guckt schon erstaunt um die Ecke und zieht eine Augenbraue nach oben.
"Alles in Ordnung?", fragt sie. Ich packe sie am Arm und ziehe sie weiter.
"Alles Bestens", blaffe ich auch sie an. Verdammt, was ist nur los mit mir? Und ich dachte, ich würde nach meiner Entscheidung eine komplett andere Ausstrahlung vermitteln.
Du wirkst, als hätte man dir sämtliche Lebensenergie ausgesaugt.
Pah! Das ist doch Blödsinn. Ich fühle mich praktisch wie neu geboren. Er hat kein Recht so etwas zu mir zu sagen. Aber ehrlich gesagt... kein Wunder, dass er das dachte. Schließlich habe ich erst mit seinem ungefragten Aufdrängen Panik bekommen, er könnte mich bei Nadya verpetzen.
"Sag mal, läuft da was?", fragt meine beste Freundin, als wir schließlich zurück in unserer Kammer sind und uns an unsere Perücken setzen, um weiter zu arbeiten.
"Was?" Ich bin irritiert. Wovon spricht sie bitte?
"Na, Elijah und du. Ihr geht so vertraut miteinander um. Habe ich da was nicht mitgekriegt?"
"Ähm...", mache ich und will erst verneinen, aber da kommt mir ein plötzlicher Gedanke. Was wenn ich Nadya wirklich glauben lasse, dass da etwas läuft? Dass ich auf ihn stehe. Damit könnte ich ihr erklären, warum ich René allmählich abhake und weshalb ich mich vielleicht so verändere. Denn ich merke jetzt schon, dass ich anders werde. Aber das wären noch mehr Lügen...
"Wusste ich's doch. Er ist aber auch heiß", sagt Nadya und grinst.
"Ja, total", gebe ich zu. In diesem Punkt kann ich wenigstens ehrlich sein. Elijah ist ohne Zweifel attraktiv mit seinem breiten, muskulösen Körper, den rötlich-braunen Haaren, die er zu einem man-bun zusammenfasst und dem dichten Vollbart. Und nicht zu verachten sind natürlich seine Augen. Stahlblau und bohrend.
"Was hat er zu dir gesagt, eben?"
"Ach, er hat nur rumgealbert."
"Er steht bestimmt auf dich. Hat er schon irgendwelche Andeutungen gemacht, die du mir verschwiegen hast?", fragt sie missbilligend.
"Ähm...", stammle ich. "Nein, eigentlich nicht."
Nadya schiebt schmollend die Unterlippe vor.
"Schade. Ich dachte, du könntest mir jetzt eine spannende Story liefern, die mich von dem hier ablenkt." Sie deutet auf die graue Haarmähne vor sich, die sie für Rotkäppchens Großmutter zu einer Perücke verarbeitet.
"Tut mir leid, leider nicht", gebe ich entschuldigend zurück.
Dummerweise fängt Nadya nun an, mit mir sämtliche Vorzüge Elijahs zu erörtern, was mich beinahe glauben lässt, dass sie auf ihn steht und nicht angeblich ich.
Von erotischen Musicals und Verträgen
Die Woche nach Henrys Besuch ist die letzte Woche vor Weihnachten. Die Feiertage fallen in diesem Jahr so denkbar arbeitnehmerunfreundlich, dass ich zu dem Pech am zweiten Weihnachtsfeiertag arbeiten zu müssen, auch noch bloß ein ganz normales Wochenende zur Verfügung habe. Und das wird angefüllt sein mit Familienfeiern, essen, Familienfeiern, essen und so weiter. Deshalb bin ich die meiste Zeit leicht demotiviert und nicht einmal Nadya, die das gleiche Los gezogen hat wie ich, schafft es, mich aufzuheitern.
Am Mittwoch kommt Elijah in unsere Kammer, wo wir sitzen und Haar um Haar an unsere Perücken knüpfen. Er teilt uns mit, dass auch er an Weihnachten hier sei und die Premiere seines Stückes aufführen würde.
"Am Freitag ist die Generalprobe. Und auch auf die Gefahr hin, dass du dich nicht so sehr darüber freust wie ich, Greta, du bist mir zugeteilt."
Ich hebe tatsächlich den Kopf, blicke in sein grinsendes Gesicht und frage mich, wie er Stunde um Stunde ernst genug bleiben will, damit ich ihn schminken kann.
"Was spielst du denn?", frage ich, um zu erfahren, ob ich meine Kenntnisse eventuell noch etwas auffrischen muss.
"Ich spiele nicht nur, ich singe auch", antwortet er. Ich muss lachen.
" Du singst Opern?" Das passt nun wirklich gar nicht zu ihm. Er ist eher der Travis Fimmel Verschnitt im Jack Sparrow Kostüm. Oder sowas ähnliches.
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