"Ein letztes Mal, bevor ich zurück muss..." Er fährt mit dem Finger über meine feuchte Mitte und ich stöhne auf. Mehr braucht er nicht als Zustimmung.
"Aber wir müssen uns beeilen", sagt er, als wäre das auf meinem Mist gewachsen und nicht auf seinem. Kurz frage ich mich, was meine Nachbarn in den letzten zwei Tagen wohl dachten, denn ich habe mich selbst damit überrascht, welche Laute ich beim Sex von mir gebe. Ich kann mich nicht erinnern, dass das früher bei mir der Fall war.
Vielleicht wäre es mir peinlich gewesen, hätte Henry mich nicht darin bestärkt, eben diese Töne auszustoßen.
Während er mich fingert, ich noch halb am Schlafen bin, aber trotzdem stöhne, denke ich, dass es mir einigermaßen gut gelungen ist, mich nicht in Henry zu verlieben. Er ist attraktiv, keine Frage. Er weiß, was er tut, aber er ist immer eine Spur zu arrogant, selbstgefällig und glaubt offenbar, dass niemand ihm etwas abschlagen könne. Wie zum Beispiel die Teilnahme an seiner Studie. Aber obwohl er mir von all den Vorteilen erzählt hat, habe ich nicht in seine Studie eingewilligt. Nicht das Geld, das mir laut Vertrag zustehen würde, nicht die anderen materiellen Zugeständnissen (von Kleidung, über Friseurbesuche, Kosmetikbehandlungen und dem Besuch von Nailstudios bis hin zu Sextoys) und auch nicht die immateriellen Versprechungen (ihm zufolge hauptsächlich die Aufwertung meines Selbstvertrauens und natürlich sexuelle Befriedigung), haben mich dazu gebracht, 'Ja' zu sagen.
"Greta?"
"Mh", bringe ich stöhnend hervor, denn seine Finger sind tief in mir, und er bewegt sie dort, so wie ich es unendlich geil finde.
"Du lässt einen entscheidenden Punkt in deiner Betrachtung außer Acht", sagt er. Ist das sein Ernst? Dieses Gespräch haben wir gestern Abend vor dem Einschlafen geführt und jetzt ist es wie ein Echo auf meine Gedanken.
"Was denn?", keuche ich.
"Wie gut du bist. Wie gern du Sex hast", sagt Henry. "Du liebst es. Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass du keinen Freund und somit auch keinen Sex und mit deinem geringen Selbstbewusstsein auch keine One-Night-Stands haben wirst."
Ich umfasse sein Handgelenk, damit er seine Finger lässt, wo sie sind, drehe mich, stütze mich neben seinem Kopf ab.
"Kannst du nicht endlich die Klappe halten?", fluche ich. "Fick mich einfach!"
Von wegen geringes Selbstvertrauen...
"Stimm einfach zu!", sagt er und bewegt seine Finger wieder. Ich stöhne auf, taste nach der Kondomverpackung und hole mit vor Erregung zitternden Händen eines heraus.
"Klappe jetzt!", befehle ich, werfe das Plastik auf den Boden und streife ihm das Latex über. Dann zieht er seine Finger aus mir heraus und ich nehme seinen Schwanz in mir auf. So tief wie es mir möglich ist.
Ich stütze mich neben seinem Kopf ab, lasse ihn die Arbeit machen, während er meinen Hintern umfasst und mit tiefen Stößen, die beinahe wehtun, dem Höhepunkt entgegensteuert.
Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden, dass es mir wohl nicht möglich ist, zu kommen, während wir Sex haben. Jedes Mal spüre ich es herannahen, doch es bricht nie hervor, wenn er nicht explizit dafür sorgt.
Als er kommt, stößt er so tief zu, dass ich einen kleinen Schmerzensschrei ausstoße, doch er entschuldigt sich nicht. Er genießt das Gefühl nach dem Orgasmus. Die tiefe Zufriedenheit.
Mein Unterleib zieht immer noch leicht, als wir endlich aufstehen, nacheinander im Bad verschwinden und uns fertigmachen. Ich muss zur Arbeit nachdem ich Henry zum Zug begleitet habe. Es kommt mir so vor, als wäre ich wochenlang nicht dort gewesen, dabei ist es erst zwei Tage her. Aber dieses Wochenende hat eine Dekade lang gedauert und ist doch wie im Flug vergangen.
"Du wirst mir fehlen", sagt Henry, als wir am Gleis stehen und darauf warten, dass sein ICE eintrifft.
"Ich als Person oder ich als Sexobjekt", frage ich leise, so dass niemand sonst meine Worte hören kann.
Er grinst.
"Beides. Ich erwäge ernsthaft dich nicht in meine Studie aufzunehmen, sondern dich einfach als persönliches Toy zu behalten. Aber das wäre wohl vergeudetes Potential und würde dir nicht gerecht werden."
Ich schnaube.
"Also bin ich nichts weiter als eine Hure?"
Henry verdreht die Augen.
"Du weißt, dass ich das so nicht sehe. Aber stell dir nur mal vor, was für eine bessere Liebhaberin aus dir werden wird. Du wirst mehr als begehrt sein."
"Woher willst du das so genau wissen?"
"Keine meiner Probandinnen habe ich zufällig ausgewählt. Aber mit manchen bin ich zufriedener als mit anderen. Du hingegen wärst praktisch das Juwel in der Sammlung. Allein die Form und Größe deiner Brüste ist perfekt und dann noch in Kombination zu deinem hübschen Gesicht, deiner heißen Figur..."
"Du versuchst mir gerade Honig ums Maul zu schmieren, oder?"
Henry seufzt. Dann umfasst er mein Gesicht mit seinen großen Händen und küsst mich intensiv.
"Hör auf, an dir zu zweifeln. Sonst wirst du meiner Studie nie zustimmen."
"Das werde ich sowieso nicht. Das habe ich dir schon gesagt."
Henry sieht sich um, vermutlich um sich zu vergewissern, dass niemand in Hörweite steht. Dann kommt er nah an mein Ohr, so dass sein Atem meine Haut kitzelt.
"Denk an Sex, gut ausgewählte Männer, die dich begehren. Die deine Schönheit bewundern..."
Mit quietschenden Bremsen fährt der ICE ein.
"...dich überall berühren, weil dein Körper so jung und sexy ist. Sie bereiten auch dir die größtmögliche Lust, denn du bist nicht irgendeine Prostituierte, die sie am Straßenrand aufgesammelt haben. Du bist professionell, du bist nicht billig und du bist ein Traum von einer Frau. Das sehen sie und deshalb ist ihnen viel daran gelegen, dass auch du auf deine Kosten kommst."
Die Vorstellung lässt mich schon wieder feucht werden. Henry jedoch gibt mir nur noch einen Kuss auf die Wange. Dann schultert er seine Tasche und geht auf die geöffneten Zugtüren zu.
Ich sehe mich wie im Film hinter ihm herrennen, ihn aufhalten und ihm sagen, dass ich zustimme. Dass ich es tun will. Aber meine Füße sind wie angewurzelt. Ich kann mich nicht bewegen. Vielleicht aus Zweifel? Angst?
"Verdammt", murmle ich leise. Vermutlich werde ich bis zum Ende der Studie so empfinden. Aber ich muss es doch versuchen, oder? Sonst werde ich mich mein Leben lang fragen, wie es wohl gewesen wäre.
Aber ich sehe einfach nur zu, wie Henry in den Zug steigt. Ich beobachte, wie er abfährt, langsam an Geschwindigkeit zunimmt. Aber es ist ja nicht so, dass das meine einzige Möglichkeit ist, ihm zu sagen, dass ich es tue. Also nehme ich mein Handy hervor.
Du hast gewonnen...
Sekunden später schickt er mir mehrere glückliche Emoticons.
Ich wusste es! :)
Er wusste es vielleicht. Ich hingegen habe geglaubt, mit Bauchschmerzen kämpfen zu müssen, nachdem ich zugestimmt habe. Stattdessen ist mir danach zu singen und zu tanzen. Grinsend verlasse ich das Bahnhofsgebäude. Ich kann einfach nicht anders.
Es gibt Dinge, die sich in deinem Leben verändern. Weitreichende Entscheidungen, die du triffst und die so gravierend sind, dass du glaubst, jeder müsse es sehen. Wie eine neue Brille oder eine andere Haarfarbe. Man muss es doch erkennen. An der Ausstrahlung, dem neuen Ausdruck in deinen Augen... irgendetwas.
Und dabei bemerken andere überhaupt nichts. Niemand sieht, dass sich gerade etwas komplett verändert hat in deinem Leben. Dass du dich aus einem Loch befreit hast. Einem Tal aus Schüchternheit, Zurückhaltung und dem Anschein von Sittlichkeit.
Denn genau so fühlt es sich an. Ich gehe durch die Kantine, folge Nadya zur Essensausgabe und frage mich, warum niemand mir mehr Beachtung schenkt, als sonst, warum ich nicht von innen heraus leuchte. So müsste es nämlich sein. Ich gehe mit aufrechterem Gang, fühle mich, als könne ich Berge versetzen und als wäre ich mutiger denn je. Aber nicht einmal meine beste Freundin hat gefragt, ob etwas anders ist. Sie wollte nur wissen, wie die Familienfeier war.
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