1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Für die Gemeinschaft im Dorf war es wichtig, zusammen am Feuer zu sitzen und in der guten Laune zu baden, welche die Kinder verströmten. Ihr Tatendrang und ihr Ehrgeiz konnte eine Inspiration für die geschockte Seele des Dorfes sein. Ich hoffte nur, die Dorfbewohner würden ihre Ängste mit der Zeit überwinden können, um sich mit voller Kraft den Aufgaben des kommenden Winters zu widmen.
Quinas gelbe Feuerkugel strahlte uns mit wunderschöner gelber Farbe an und sah dem richtigen Mond zum Verwechseln ähnlich. Bei diesem Spektakel klatschten wir alle in die Hände.
»Ich kann schon die Wölfe dazu jaulen hören«, rief Sir Caster. Da fiel mir ein, dass ich mit ihm über Kolosan reden wollte, und setzte mich neben ihn. Marilla spielte ›Der Eisgigant‹ auf ihrer Laute, und der Ritter pfiff die einzelnen Strophen mit; beim Hauptteil sang er aus voller Kehle. Es war ein trauriges Lied, langsam gespielt und mit vielen tiefen Tönen, doch Sir Casters Gesang brachte einen fröhlichen Schwung hinein. Während zwei Kinder versuchten, einen Fisch aus dem Feuer zu formen, sah ich vorsichtig zu ihm hinüber. Er trug einen schwarzen Lederumhang, verziert mit kleinen, weißen Edelsteinen. Auf dem rechten Arm prangte ein segelnder Falke auf rotem Hintergrund.
»Ein wahrhaft prächtiges Banner«, sprach ich ihn an, als Marillas Lied zu Ende war. Sir Caster applaudierte ihr und schaute zu mir herüber.
»Der Falke über Payton Grat ist stolz und unermüdlich«, sagte er. »Er wohnt dort schon länger als die Paytons selbst, und er wird die Menschen um viele Epochen überleben.«
»Ich habe noch nie einen Falken gesehen.«
»In Payton Grat tummeln sie sich so zahlreich wie in anderen Städten die Ratten.«
»Hat Euer ehemaliger König seine Heimat oft besucht?«
Sir Caster zog seine Augenbrauen hoch. »Meiner? Er ist auch Euer ehemaliger König.«
»Natürlich ist er das«, sagte ich und betonte: » Unser ehemaliger König.« Hier in Schwarzbach war uns einerlei, wer gerade auf dem Thron saß, doch das war dem Ritter sicherlich bewusst.
Jetzt lächelte er. »Nicht so häufig, wie er gerne hätte, und auch ich hätte ihn mit Vorliebe öfter dorthin begleitet. Es ist eine lebhafte Stadt mit riesigen Gebäuden aus Granit, und die Berge sind von malerischer Schönheit.«
»Wieso hat er seinen Sitz nicht dorthin verlegt?«
»Lloyandasburg liegt nun mal in der Mitte des Königreichs. Von dort aus konnte er seine Truppen viel strategischer einsetzen.«
Während er sprach, huschten verschiedenfarbige Lichter über ihn hinweg, rot, grün, gelb und lila, doch das Blau des Meeres wollte den Kindern nicht gelingen. Sie mixten immer mehr Feuersteine, doch je mehr sie probierten, desto unreiner wirkte die Farbe.
»Wie schlägt sich Kolosan beim Schwertkampf?«, fragte ich Sir Caster.
»Er macht gute Fortschritte für sein Alter«, erklärte er. »Das Schwert liegt gut in seiner Hand, und seine Füße bewegen sich schnell. Aus ihm kann ein geschickter Ritter werden.«
»Das freut mich zu hören. Doch ist sein Gemüt nicht sein stärkster Gegner? Zu Hause handelt er ungeduldig und ist schnell erzürnt.«
Sir Caster lachte. »Stimmt wohl, aber so ist jeder ehrgeizige Junge in seinem Alter. Als Knappe wird er die Geduld lernen; sie ist eine der wichtigsten Tugenden eines Ritters.«
»Er hat noch viel Zeit, diese Tugenden zu lernen. Er hat ein langes Leben vor sich.«
»Je früher, desto besser. Das gilt für die Ritterschaft wie für den Bauern und den Schneidermeister.«
Die Kinder hatten den Fisch nicht formen können. Sie vergossen Tränen, und ihre Eltern eilten herbei, um sie zu trösten. Doch sie waren nicht zu trösten, nicht, solange sie das Feuer nicht zähmen konnten. Sie hielten an ihren Feuerstäben fest, bis die Erwachsenen ihr Mitleid vergaßen und ihnen die Stäbe aus den Händen rissen. Andere Kinder wollten sich schließlich auch noch der Kunst des Feuers hingeben.
Der nächste Feuerartist war an der Reihe, es war Kolosan. Diesmal wurde keine Form vorgegeben, sondern sollte von den Zuschauern erraten werden. Kolosan würde entweder ein Schwert oder einen Schild formen wollen, zwei sehr anspruchsvolle Figuren. Selbst für die meisten Erwachsenen wäre dieser Baum zu dick zum Fällen.
»Sollte Kolosan den Schwertkampf nicht lieber unter Euch erlernen statt unter einem fremden Ritter? Ihr seid ein ehemaliger Ritter der Königsgarde, nicht einmal ein Prinz könnte einen besseren Lehrer finden als Euch.«
Sir Caster lächelte. »Danke für die hellen Worte, Kolen! Aber zu einer Ausbildung als Ritter gehört mehr als nur der Schwertkampf.«
»Und das kann er nicht bei Euch lernen?«
»Ein Knappe lernt am meisten, wenn er mit einem Ritter unterwegs ist. Das kann ich ihm nicht bieten, schließlich bin ich seit dem Sturz meines Königs nicht mehr im Dienst. Sollte es zu einer Rebellion kommen, würde ich natürlich in der vordersten Reihe kämpfen, aber daran glaube ich nicht.«
Grau-weiße Flammen stiegen in den Himmel, begleitet von grau-weißem Rauch. Die Farbe war nicht perfekt, aber sie erinnerte mich immerhin an Metall. Bloß mit der Form hatte Kolosan noch zu kämpfen. Bislang hatte keiner einen Schild erkennen können.
»Aber muss man schon mit zwölf Jahren anheuern?«, fragte ich Sir Caster.
Er lächelte. »Darum geht es Euch also.«
Ich nickte.
»Dies ist keine Sache des Zwangs«, sagte er. »Euer Sohn muss gar nichts.«
»Aber er sollte.«
Sir Caster schaute mich an wie ein Kleinkind, dem man alles dreimal erklären muss. »Muss ich mich wiederholen?«
Ich seufzte. »Nein, müsst Ihr nicht. Ich frage mich nur, ob zwei Jahre von Bedeutung sind. Vielleicht macht es nicht viel aus, wenn er erst mit vierzehn Jahren die Ausbildung beginnt.«
»Es macht viel aus, Kolen. Es gibt Kinder, die bereits im Alter von sechs Jahren einem Ritter übergeben werden.«
»Mit sechs Jahren?«
»Früh geschliffen, tief geschnitten – alter Ritterspruch.«
Derweil warf Kolosan den Feuerstab auf den Boden, beschimpfte seine Kumpane als dumme Esel und ging stampfend nach Hause. Niemand hatte seinen Schild erkannt, und seine Mannschaft drohte zu verlieren. Sir Caster lachte laut auf, ich zwang mich zu einem schwachen Lächeln.
Ich wollte dem Ritter weitere Fragen stellen, aber mir fielen keine ein. Er hatte mir die rohe Wahrheit vor die Füße geworfen, und seine Meinung war so klar wie das Wasser Schwarzbachs: Kolosan sollte lieber heute als morgen aufbrechen. Ich dachte an meinen Jungen, ich dachte an Myla und drehte meinen Kopf zur Mitte des Dorfes, wo direkt neben meinem Wohn- und Wirtshaus die Statue meines Vorfahren stand. Sofort fing sie meinen Blick auf. Im Dunkeln wirkte sie wie ein Riese, der über unser Dorf wachte. Wie immer schaute der Riese zu mir, starrte mich an, verfolgte jede meiner Bewegungen. Ich drehte meinen Kopf zurück zum Feuer, doch der Blick der Statue blieb auf meinem Rücken haften, und ich wusste, er würde den ganzen Abend lang dort bleiben.
Nach dem Spiel schickten wir die Kinder ins Bett, aber von den Erwachsenen blieben noch einige am Feuer sitzen. Jorden stritt sich mit Salya – mal wieder. Warum tat er sich das immer und immer wieder an?
Tarlow versuchte währenddessen, eine Frau aus dem Feuer zu formen. »Früher hat mir das Feuer gehorcht wie der Lakai dem König, ich schwöre es euch!«
Keiner sagte etwas dazu. Eine längliche Form nahm das Feuer zwar an, aber eine Frau konnte man auch mit großer Anstrengung nicht erkennen.
»Wieso werden die Flammen denn jetzt gelb?«, brüllte er. »Verdammte Axt!«
»Weil du zu dumm dafür bist«, sagte Ronja. »Lass den Stab ruhen und belästige uns nicht mit deinen kläglichen Versuchen! Du hast versagt, jetzt scher dich vom Feuer!«
Tarlow schmiss den Feuerstab auf den Boden. »Früher hab ich das mit nur einer Hand geschafft«, murrte er.
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