Friedrich Karl Schmidt
Die Angst der Schatten
Die geheimnisvolle Welt der Schatten
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Inhaltsverzeichnis
Titel Friedrich Karl Schmidt Die Angst der Schatten Die geheimnisvolle Welt der Schatten Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Unter Druck
2. Begegnung mit dem toten Vater
3. Zweite Begegnung
4. Weg ins Moorland
5. Moorsee
6. Anhörung
7. Im Reich der Schatten
8. Im Moorland
9. Schattenreich und Moorland
10. Schattenreich II
11. Mutter
12. Das Gericht
13. Verdacht
14. Der Prozess
15. Die Prozession
16. Entnahme
17. Entlassung
18. Zurück in die Vergangenheit
19. Rückkehr ins alte Leben
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Impressum neobooks
Eine gewaltige Kraft, deren Ursprung er nicht zu erkennen vermochte, sog ihn in einen engen Schacht, zerrte an seinem Leib. Vergeblich der Versuch, sich mit den Füßen dem ungeheuren Sog entgegenzustemmen, sich mit den Händen am Schachtrand festzukrallen. Wie im Fahrstuhl eines Bergwerks raste die Wand an ihm vorbei, seine Finger fanden keinen Halt, um die Fahrt abzubremsen, rasend schnell flutschte er nach unten, der kühle Luftzug nahm ihm den Atem. Mit an den Leib gepressten Armen rutschte er mit den Füßen voraus bis zur Schachtsohle, eisiger Wind blies ihm aus dem Stollen entgegen, es war bitter kalt. Bibbernd erwachte er, wickelte die Decke um sich, stand auf, schloss das Fenster. Schnee lag, über Nacht war es Winter geworden.
Beklemmende Träume folgten ihm weit in den Tag hinein, es brauchte Stunden, bis sich die wie ein Panzer seine Seele umschließenden Bilder auflösten. Die Albträume läuteten den Beginn eines Wandels ein, der sein Leben umformen sollte. Gegen seine Gewohnheit, auf warnende Vorgefühle zu achten, tat er es in diesem Fall nicht, obwohl er spürte, dass sich im Kopf etwas Fremdes und Störendes einnistete, das sich nicht fassen ließ. Er konnte nicht ahnen, dass ihn die nicht fasslichen Gefühle bald mehr beunruhigen sollten als all die unangenehmen Einflussversuche von außen. Zunächst waren es bloß lästige Nadelstiche, mit denen ihn Institutionen und andere Einrichtungen drangsalierten, aber Zahl und Intensität nahmen zu, arteten in Belästigungen aus, reihten sich aneinander wie billige Glasperlen auf einer Schnur, drohten sein Dasein zu vergiften. Bald konnte er die Möglichkeit nicht mehr ausschließen, dass die Ereignisse, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun hatten, einen Zusammenhang aufwiesen, so absurd das schien. Anfangs hatte er den Vorfällen wenig Bedeutung beigemessen, sie verdrängt, aber sie wuchsen zur Belastung aus, ließen sich nicht mehr ignorieren. Noch wollte er der naheliegenden Folgerung, dass es sich nicht um zufällig übereinstimmende Unannehmlichkeiten handelte, sondern ein gemeinsamer Nenner für Albträume und Missliebigkeiten zu finden sein müsste, keine Gültigkeit zubilligen.
Das allgemeine Unbehagen, das ihn in den Krallen hatte, entzog sich jeder logischen Überprüfung. Es wurde durch eine Vorahnung verstärkt, in ein Abenteuer mit unabsehbaren Folgen zu schlittern. Auch wenn er von Prophezeiungen im Traum nicht viel hielt, beschäftigten ihn die Befürchtungen mehr als ihm lieb war. Doch jedes Mal, wenn er glaubte, sie begrifflich zu fassen, entwanden sie sich dem Zugriff wieder. Wie das klebrige Netz einer Spinne überzogen diffuse Eindrücke und unscharfe Bilder sein Denken, sonderten wie ein Filter jeden Einwand gegen ein Wagnis aus, dessen Inhalt im dichten Nebel unkenntlich blieb. Er spürte, es lag nicht in seiner Macht, Einfluss auf die Gestaltung zu nehmen. Die nicht fasslichen Empfindungen riefen Unsicherheit hervor, die sich nicht nur im Alltag bemerkbar machte, sondern auch seine Träume formte: Es tauchten Situationen auf, die nicht vorhersehbare Geschehnisse vorwegnahmen und stets mit Ängsten gepaart waren. Das sollte ihm erst bewusst werden, als der Weg zurück bereits versperrt war.
Im Traum war ihm Vater erschienen, hatte ihm prophezeit, er werde eine Welt kennen lernen, die zuvor kein Lebender zu sehen bekommen hat. Gewiss, die Ankündigung war eine Illusion, doch blieb sie nicht ohne Wirkung, passte sie doch zu dem Vorgefühl, das Spannung und nie Geschautes verhieß. Es war wie früher, wenn er eine Reise in ein Land plante, wo Gefahren und Schwierigkeiten auf ihn warteten.
Im beruflichen Alltag häuften sich ärgerliche Vorkommnisse über das übliche Maß hinaus und erschwerten die Arbeit an der Planung von Projekten, die unter hohem Zeitdruck standen. Im privaten Bereich wurden von allen möglichen Stellen ohne Angabe von Gründen plötzlich Bestätigungen oder seine Legitimation verlangt. Hintereinander geriet er in Fahrzeugkontrollen und was er zunächst als allgemeine Maßnahme zur Reduktion der Unfälle einstufte, ordnete er nach Gesprächen mit Bekannten, die nie kontrolliert wurden, den Schikanen zu. Innerhalb eines Monats wurde er dreimal von der Polizei angehalten, musste ins Röhrchen blasen, Papiere, Verbandskasten, Licht und Bremsen aufs Genaueste überprüfen lassen, es war, als suchte man einen Grund, ihm das Leben zu erschweren.
Noch erschien ihm der Gedanke absurd, Albträume, Polizeikontrollen und Unannehmlichkeiten mit Behörden und Bürokratien könnten miteinander in Verbindung stehen, aber ganz ohne Zweifel beeinträchtigten sie die Lebensqualität und erhöhten seine Nervosität. Das wurde ihm bewusst, als er abends, um die Einschlafzeit hinauszuzögern und den Albträumen durch Übermüdung zu entgehen, stundenlang durch die Stadt lief und plötzlich vermeinte, neben sich Schritte zu hören, so deutlich, dass er sich zur Seite drehte, aber da war niemand außer seinem Schatten. „Das gibt‘s doch nicht“, murmelte er, „lasse mich vom eigenen Schatten ins Bockshorn jagen!“ Zu Hause pulte er Steinchen aus den Sohlen, sie mussten das Geräusch erzeugt haben, er lachte laut.
Das Lachen verging ihm, als er tags darauf eine Bekannte im Krankenhaus besuchen wollte. Schnellen Schritts lief er durch die sparsam beleuchteten Gänge, fand die ihm in der Auskunft erteilte Zimmernummer, klopfte. Es rührte sich nichts, er klopfte energischer und als abermals keine Antwort kam, drückte er die Klinke nieder und trat ein. Hinter ihm fiel die Tür zu. Der Raum war stockdunkel, seine Hand suchte den Lichtschalter, fand ihn nicht, er tastete sich an der Wand längs weiter. Kein Lichtstrahl drang durch die Fenster, die Jalousien waren herabgelassen und die schweren Vorhänge zugezogen. Ein kratzendes Geräusch, das sich anhörte, als schärfte eine Katze ihre Krallen, erschreckte ihn. Er wollte raus, griff suchend nach Lichtschalter und Türklinke, Panik erfasste ihn, der Puls klopfte bis zum Hals. „Bleib ruhig, ganz ruhig!“, ermahnte er sich, hangelte sich an der Mauer entlang, stieß auf einen Metallrahmen, ein Bett, tastete sich weiter, bekam einen Arm zu fassen, lies ihn entsetzt los. Schritt für Schritt bewegte er sich zurück, erreichte die Tür, riss sie auf und hetzte den Flur entlang zum Ausgang. Minutenlang atmete er die scharfe feuchte Luft ein, die der Wind von der See ins Land blies, ehe er wieder die Auskunft aufsuchte.
„Sie haben mir eine falsche Zimmernummer gegeben“, sagte er missmutig, noch außer Atem.
Ein Zeigefinger fuhr auf der Liste nach unten und plötzlich begann die Frau hinter der Scheibe zu lachen. „Oh Gott, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, habe tatsächlich das falsche Zimmer erwischt! Sie waren im Institut für Pathologie.“ Sie wischte sich Lachtränen aus den Augen. „Wenn ich das den anderen erzähle …“, gluckste sie. „Eigentlich ist Vorschrift, dass abgeschlossen wird, der Professor hat wohl wieder vergessen.“ Lachend nannte sie eine andere Nummer, entschuldigte sie sich abermals.
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