Achim Balters - Der Körpervirtuose
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»Was halten Sie von 7000?«, fragte er.
»Ich komme mir vor wie im Orient. Ich feilsche nicht gerne.«
»Und wenn ich aus 60 Metern Höhe abspringen würde?«
Mander versank in ein aufreizendes Schweigen, kratzte sich dabei mehrmals die auffallend stark behaarte Brust, die ein weit offenes Hemd zur Ansicht freigab. Er hatte mehr Haare auf der Brust als auf dem Kopf und Wiegand fragte sich, ob Mander wohl auch sein Brusthaar shampoonieren würde. Während er Mander weiter musterte, ließ dessen geschmäcklerische Aufmachung bei ihm den Eindruck entstehen, einen Provinz-Dandy vor sich zu haben.
»Das wäre ziemlich gewagt«, antwortete Mander schließlich. »Ist aber, glaube ich, dann doch zu hoch. Zu weit weg von den Zuschauern. Sie würden von Ihrem Sprung weniger haben. Lassen wir es besser bei der Höhe von 55 Metern. Von dort aus ist Ihr Sprung noch gut mitzuverfolgen und es reicht allemal aus, damit die Zuschauer ihren Nervenkitzel bekommen, was ja das Wichtigste dabei ist. Diese Höhe scheint Ihnen zu liegen, denn sonst hätten Sie sie ja wohl nicht gewählt. Safety first, nehme ich an. Sollte Ihnen aber doch etwas passieren, dann müssten wir unsere Jubiläumsveranstaltung abbrechen. Der ganze Aufwand wäre umsonst gewesen. Und wir würden eine Menge Ärger mit den Behördenhengsten bekommen. Und die Schlagzeilen in den Zeitungen wären alles andere als eine gute Werbung für uns. Einen Unglücksfall können wir uns nicht leisten. Sie wohl am allerwenigsten. Es ist besser, sicher aus 55 Metern Höhe zu springen, als —«
»Auch aus 20 Metern Höhe kann's schon tödlich enden«, unterbrach ihn Wiegand.
»Mag sein. Aber ich nehme doch sehr an, dass Sie Ihren Sprung beherrschen, oder?«
»Natürlich. Aber ein gewisses Risiko lässt sich dabei nicht ausschließen. Es kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren.«
»Sollte es besser nicht. Sie wollen also mindestens 7000?«
»Ja.«
»Sie sind nicht der Einzige, der sensationelle Sprünge anzubieten hat.«
»Das habe ich auch nicht behauptet, Herr Mander. Wenn es so wäre, dann hätte ich eine Monopolstellung. Ich wäre ein reicher Mann.«
»Bleiben wir besser bei den Tatsachen«, sagte Mander, dessen Gesicht sich zu einer grinsenden Grimasse verzog. »Alle Achtung vor dem Sprung, den Sie da vorhaben, aber so außergewöhnlich ist er nun auch wieder nicht. Manchmal ist es doch geradezu unglaublich, was Top-Sensationsdarsteller schon alles gewagt und geschafft haben.«
»Ja, besonders Dar Robinson. Mit dem kann sich keiner vergleichen«, sagte Wiegand, dessen Gefühle zwischen Verunsicherung und Ärger schwankten.
»Kenne ich nicht. Was macht er denn Sensationelles? Wo kann man ihn bewundern?«, fragte Mander.
»Nirgendwo mehr«, antwortete Wiegand.
»Wieso?«
»Dar Robinson ist vor ein paar Jahren gestorben. Bei einem Motorradunfall tödlich verunglückt. Heute ist er eine Legende.«
»Davon hat er auch nichts mehr. Irgendwann erwischt es jeden einmal. Den einen so, den anderen so. Dieser Dar Robinson ist wohl Ihr großes Vorbild.«
»Nein. Warum sollte er es sein? Ich bin kein Sensationsdarsteller, jedenfalls kein hauptberuflicher. Davon einmal ganz abgesehen, in Deutschland gibt es niemanden, der als Sensationsdarsteller seine Brötchen verdient. Ein deutscher Sensationsdarsteller wäre ein Sozialfall. In den USA ist es anders. Nirgendwo sonst gibt es für Sensationsdarsteller so hervorragende Arbeitsbedingungen. Deswegen arbeiten da auch die Besten.«
»Das habe ich auch gehört«, warf Mander ein. »Da tummelt sich die Weltspitzenklasse.«
»Ja. Und die Gagen, die sie einkassieren, sind dementsprechend«, fuhr Wiegand fort. »Mit einem amerikanischen Sensationsdarsteller könnten Sie wohl nie ins Geschäft kommen. Für ein Minihonorar von 5000 Euro würde der höchstens von einem Apfelbaum herunterspringen.«
»Meinen Sie? Na ja. Wie Sie wissen, kostet uns Ihr Sprung nicht nur Ihr Honorar. Wir müssen nicht nur Sie bezahlen, sondern auch den Fahrer und die Leihgebühr für den Kranwagen. Dazu kommt noch Seifert, dem wir eine schöne Stange Geld dafür bezahlen, dass Sie heil herunterkommen.«
»Er gehört schließlich zu den Besten seiner Zunft.«
»Ja und auch zu den Teuersten.«
»Als Gage bekommt er sicherlich mehr als die 5000, die Sie für meinen Sprung nur zahlen wollen«, sagte Wiegand, der bereits wusste, dass Seifert 7000 Euro Gage ausgehandelt hatte.
»Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. So viel möchte ich Ihnen aber doch sagen: Seifert hat nicht nur dafür zu sorgen, dass bei Ihnen alles klappt, sondern er ist für den reibungslosen Verlauf unseres gesamten Jubiläumsprogramms verantwortlich. Für die vielen Spezialeffekte und die ganzen Sicherheitsvorkehrungen. Was glauben Sie, wie viel Arbeit er allein in den Motorrad-Stunt gesteckt hat? Für mich übrigens der absolute Höhepunkt des Tages.«
»Wenn ich nicht springe«, entgegnete Wiegand kühl. Was für ein Halsabschneider!
»So kommen wir nicht weiter«, sagte Mander, seinen Ton verschärfend. »Wissen Sie was, Herr Wiegand, ich schlage vor, Sie nehmen sich eine Bedenkzeit. Mein Angebot steht fest: 5000 Euro. Das ist die Ober-Obergrenze. Eine Supergage für deutsche Verhältnisse. Das sollten Sie anerkennen. Wir sind hier nicht in Amerika. Es liegt jetzt an Ihnen, ob wir uns einigen oder nicht. Für Ihre Entscheidung können Sie sich ruhig einen oder auch zwei Tage Zeit lassen. Dann werden wir weitersehen. Bis zu unserer Jubiläumsveranstaltung am 24. August fließt noch eine Menge Wasser die Isar runter. Alternativen gibt es ja immer.«
Wiegand überlegte. Er wollte jetzt keinen Fehler machen. Er fühlte sich in die Enge getrieben. Die schlechteren Karten schien er zu haben. Er beschloss, nachzugeben. 5000 Euro konnte er nicht aufs Spiel setzen.
»Herr Mander«, sagte er scheinbar gelassen, »Sie haben gewonnen. Für 5000 mache ich es.«
Beinahe gleichzeitig reichten sie sich die Hand.
Wiegand fühlte sich als Verlierer. Über die für seine Verhältnisse immer noch hohe Gage konnte er sich nicht freuen. Er hatte seinen Sprung zu billig verkauft. Mindestens 2000 Euro hatte er beim Gagenpoker verloren.
Wiegands Körper, für den es kein Zurück mehr gibt, ist in diesem Augenblick von den Händen bis zu den Füßen vollkommen gestreckt, bildet eine nach vorne gewinkelte Gerade, die kaum noch den Boden des Transportcontainers berührt. Kürzer als ein Wimpernschlag wird es nur noch dauern, bis er sich ganz von seiner Absprungstelle lösen und frei in der Luft bewegen wird. Seine Augen blicken zum grauen Himmel. Er ist sprungkonzentriert. Außer seinem zum Doppelsalto bereiten Körper gibt es für ihn nichts anderes mehr.
Jetzt ist Wiegand aus einer Höhe von 55 Metern abgesprungen, losgelöst von allem unter ihm, von den Finger- bis zu den Zehenspitzen, ein Freiluft-Artist, über ihm nur noch die Himmelskuppel, tief unter ihm die Vergnügungspark-Arena, schräg nach oben hebt sein Körper ab, bleibt über dem leicht schwankenden Transportcontainer noch einen Moment gestreckt, auf dem höchsten Punkt seiner Sprungkurve, dann krümmt ihn Wiegand schnell zum Doppelsalto, ein Bewegungsablauf, für den er seit Langem eine Vorliebe hat, schon x-mal ist er ihm gelungen, vom Sprungturm eines Schwimmbads wie auch von den Ringen in einer Sporthalle, über einer ebenerdigen Absprungfläche oder über einem Trampolin, er hat den Doppelsalto immer wieder trainiert und variiert, ist ihn sowohl vorwärts als auch rückwärts gesprungen, gehockt, gebückt und gestreckt, hat ihn mit anderen Sprungelementen verbunden, sein erster Doppelsalto gelang ihm vor fast zwanzig Jahren auf dem Trampolin, nie vergessen wird er diesen einmaligen Tag in seinem Leben, die Freude, der Stolz, ihn endlich geschafft zu haben, ein Höhepunkt in seiner Kindheit, kein anderer sportlicher Bewegungsablauf gibt ihm seitdem einen ähnlichen Körpergenuss, wenn er ihn aus Lust an der Bewegung ausführt, als ein freies Spiel mit seinem Körper und der Gravitation, nur für sich, wenn es aber eine sportliche Spitzenleistung sein soll, wie bei Wettkämpfen, die er bis vor einem Jahr noch für eine Münchner Vereinsmannschaft be-stritten hat, oder wenn er ihn auf Honorarbasis aus Höhen wagt, die ihn spektakulärer und riskanter machen, er von sich deswegen ein Höchstmaß an Präzision fordern muss, dann konzentriert er sich ganz auf seinen Körper, dann ist er nur noch sein Sprung, wie jetzt, in einer Höhe, in der er noch nie zuvor sich zu einem Doppelsalto eingekrümmt hat, die er jedoch nicht wahrnimmt, es gibt nur noch seine Körperwirklichkeit, nicht spielerisch springt er, nicht wie schon so oft aus reiner Bewegungslust am Doppelsalto, sondern ganz versachlicht, Wiegand ist Körper ist Sprung, bleibt weiter darauf konzentriert, so, wie er es sich vorgenommen hat, unbedingt notwendig, um zu überleben, er ist zu diesem eingeschliffenen Bewegungsablauf geworden, bei dem innere und äußere Kräfte zusammenwirken, über seine Zukunft sekundenschnell entscheiden, Wiegand spürt seinen Sprung, ohne an ihn zu denken, er macht sich kleiner, nimmt im Luftraum von Eldorado eine Haltung an, welche der Hock- und Kauerstellung eines Embryos im Mutterleib ähnelt, nur noch Körper bei seinem Salto mortale, erfährt er eine Rotationsbeschleunigung, dreht sich automatisch um die durch seinen Schwerpunkt verlaufende Achse, wirbelt so im Flug ganz herum, erst einmal, dann sofort noch einmal, in ebenso guter wie sicherer Haltung, er fühlt es, ohne es zu wissen, wie geplant springt und fällt er ziemlich nahe an dem leicht schwankenden Transportcontainer vorbei, als Luftakrobat ist er weiter nur sein Körper, wird in seiner Konzentration nicht abgelenkt, kein Jagdbomber rast im Tiefflug plötzlich auf ihn zu, keine starke Windbö erfasst ihn, kein durch die Luft dilettierender Jungvogel kreuzt seine Flugbahn, kein Juckreiz befällt ihn, nichts Unvorhergesehenes passiert, er nähert sich immer mehr und immer schneller der fast bewegungslosen, in einem Halbkreis um den Luftsack gruppierten Menschenmenge unter ihm, diesen vielen zu ihm hochgereckten Köpfen, die er nicht sieht, seine Augen bleiben die ganze Zeit auf seine Brust gerichtet, 2,4 Sekunden schnell läuft sein Doppelsalto ab, präzise und kontrolliert, zwei Körperkreisläufe hoch oben in der Luft, ausgeführt von diesem Kunst springenden Organismus, der ihn, Kurt Wiegand, lebt, 28 Jahre, 8 Monate und 12 Tage alt, 188 Zentimeter groß und 84 Kilogramm schwer, ein Mann, der als Person jetzt aufgehoben ist, ganz zu diesem Organismus geworden, dessen Leistungsstärke das Ergebnis intensiver Trainingsarbeit ist, dem es gelingt, einen Doppelsalto aus einer Höhe von 55 Metern zu springen, sicher gesteuert von seinem Zentralnervensystem, dessen Netzwerk elektrochemische Impulse sofort und für ihn nicht spürbar in all seine Körperteile leitet, die Reihenfolge der einzelnen Sprungphasen koordiniert, eine in seinem Körper ablaufende Kettenreaktion, die ein zweckmäßiges und zielgerichtetes Zusammenspiel der Knochen, Sehnen, Bänder und Muskeln seines Bewegungsapparates bewirkt, Wiegand zu diesem Kunstsprung befähigt, ein Sprung, der nach dem gelungenen Doppelsalto und einer zusätzlichen halben Körperdrehung jetzt wie beabsichtigt in den Hecht übergeht, sodass er genau genommen einen zweieinhalbfachen Salto ausgeführt hat, eine in Fachkreisen übliche Ansicht, die Wiegand schon seit Längerem nicht mehr teilt, ein sogenannter halber Salto hat für ihn nichts, was für einen Salto charakteristisch ist, zählt nicht, mit einem ganzen verglichen, wirkt er immer reizlos und zweitrangig, von einem zweieinhalbfachen Salto zu sprechen, erscheint ihm genauso unsinnig wie von einem drei minus einhalbfachen, entweder springt er einen einfachen oder einen doppelten Salto, dazwischen fügt er immer nur Verbindungselemente ein, der Doppelsalto ist die Hauptsache, alles Weitere sind Zusätze, im Grunde nur Übergänge von einem Sprungteil zum anderen, wenn er einen Doppelsalto mit anschließendem Hecht springt, dann gibt es für ihn keinen halben Salto dazwischen, so wie jetzt, hoch oben im Luftraum des Vergnügungsparks Eldorado, wo er seinen nach dem Doppelsalto noch drehgerundeten Körper energisch und schnell streckt, sofort den Haltungswechsel vollzieht, eine reine Gefühlssache, mitentscheidend für sein Überleben, er darf sich nicht überstrecken, muss seinen von den Rotationsbewegungen rasant beschleunigten Körper neu ausrichten, ihn kontrolliert weiterfallen lassen, in guter Sturzflughaltung, was er jetzt auch macht, er drückt seinen Körper durch, gibt ihm eine starke Bogenspannung, sodass er die Form einer gekrümmten Linie annimmt, breitet gleichzeitig seine Arme flügelartig zu größter Spannweite aus, richtet seine Augen auf das unter ihm liegende Blau des Luftsacks und steuert, von den nervalen Vorgängen in seinem Körper geleitet, kopfüber dessen noch mehr als 35 Meter entfernte Mitte an, so, wie er es sich vorgenommen und in Gedanken oft durchgespielt hat, denn je punktgenauer er fällt, desto besser wird er aufkommen, trifft er ihn in der Mitte, dann wird er weich auf diesem riesigen Luftsack, gefüllt mit der Luft Bayerns, landen und seinen Sprung glücklich beenden, um 5000 Euro reicher und mit der Aussicht auf einen Karriereschub im Unterhaltungsgeschäft, ein Sprung vorwärts für ihn, ein Körpererfolg, aber noch hat er es nicht geschafft, ein Luft- und Fallweg von 35 Metern liegt noch vor ihm, noch ist nicht entschieden, ob und wie er seinen Kunstsprung überleben wird, sein Körper ist noch unterwegs, erdwärts gerichtet, der Gravitationskraft ausgesetzt, die hier im Eldorado-Gebiet ihn mit der überall geltenden Fallbeschleunigung von 9,81m/sec² unaufhaltsam anzieht, ein auf ihn dauernd einwirkendes Naturgesetz, dem er sich nicht entziehen kann, das ihn rasend schnell zur Erde zurückbewegt, ebenso rigoros, wie es bei vielen Körpereinsätzen zuvor schon der Fall gewesen ist, die er alle unverletzt überstanden hat, bis heute, was er sich zutraut, das kann er auch, dafür ist er trainiert, wenn er etwas mit seinem Körper wagt, dann bringt er ihn immer mit einem Höchstmaß an Kontrolle und Präzision ins Spiel, eine Selbstverständlichkeit und eine Notwendigkeit, nie setzt er ihn aufs Spiel, das Risiko muss in einem für ihn vertretbaren Rahmen bleiben, zwar gewagt, aber genau berechnet, gut abgesichert, etwas anderes kommt für ihn nicht infrage, dafür lebt er zu gerne, er hütet sich davor, sich zu überschätzen, das könnte schnell tödlich werden, er weiß, wie weit er gehen kann, kennt seine Grenzen, er muss davon überzeugt sein, dass er es schafft, nur dann macht er es, führt er aus, wozu man ihn engagiert hat, nur dann setzt er seinen Körper ein, verdient er mit ihm auf seine ganz besondere Weise das Geld, das er braucht, danach handelt er schon seit einigen Jahren, deswegen ist ihm auch bis jetzt noch nichts passiert, weder bei seinen spektakulären Sprüngen und Stürzen, die seine Spezialität sind, noch bei seinen anderen stark körperbetonten Auftritten, nur leichte Hautabschürfungen, Verstauchungen und Zerrungen hat er sich bisher dabei zugezogen, keine ernsthaften Verletzungen, der Schwierigkeitsgrad ist manchmal hoch gewesen, aber er hat noch nie Kopf und Kragen riskiert, grundsätzlich macht er nichts auf gut Glück, er weiß seine körperlichen Möglichkeiten richtig einzuschätzen, das gilt für seinen Sprung jetzt genauso wie für seine anderen mehr oder minder gewagten Körpereinsätze, die er bisher bewältigt hat, hier im Eldorado Vergnügungspark ist er schon im vergangenen Jahr an vier Wochenenden aufgetreten, in einer Bavaria-Stuntmen-Show, wo er mit Kollegen einiges davon zeigte, was bei Filmaufnahmen immer wieder vorkommt: Stürze aus Fenstern, von Leitern, auf Treppen, aus fahrenden Autos, Sprünge von Klippen, von Dächern und Balkonen, durch Glasscheiben, aus Zügen, Prügelszenen mit allen Finessen, auch in dem baden-württembergischen Freizeitpark FuntropoI hat er schon gearbeitet, ist dort von einem Sprungturm aus einer Höhe von 30 Metern à la Acapulco in ein großes Wasserbecken gesprungen, jedoch nicht als Alleinunterhalter, wie es jetzt der Fall ist, sondern als Mitglied einer fünfköpfigen Springergruppe, die für die Hauptsaison im Sommer verpflichtet worden war, er hat zu verschiedenen Gelegenheiten auch Doppelsaltos vorgeführt, aus Höhen bis zu 35 Metern, am spektakulärsten war wohl bisher sein Hechtsprung aus einem Hubschrauber aus 40 Metern Höhe in den Bodensee, der ihm für eine Fluchtszene in einem Actionfilm problemlos gelang, und nach dem er sich so großartig wie selten fühlte, das war vor etwa eineinhalb Jahren, seitdem wird er mehr beachtet, zwar ist er noch immer eine Randfigur, aber mittlerweile eine bekanntere, in seinem Metier ziemlich gefragt, gilt als vielseitig einsetzbar, zuverlässig, routiniert, Wiegand weiß, dass er sich Schlampereien nicht erlauben darf, wie wichtig ein guter Ruf in seinem Tätigkeitsbereich ist, er wird immer besser, man soll mit ihm zufrieden sein, er ist leistungsorientiert, was er macht, das ist Qualitätsarbeit, bei manchen Körpereinsätzen kommt er nahe an seine Grenze, am schwierigsten sind für ihn jene Sprünge, die wie tödliche Stürze aussehen sollen, bei denen er sekundenschnell die richtige Mischung aus Präzision und Sturzhaltung finden, scheinbar unkontrolliert in die Tiefe fallen muss, wie bei dem Sprung vor einigen Wochen, den er in einer kleinen Nebenrolle für eine Todesszene zu bewältigen hatte, in der er auf einen Baukran kletterte und aus 18 Metern Höhe, von Polizeikugeln getroffen, herunterstürzte, wie bei vielen seiner Sprünge und Stürze auf einem Luftsack sicher landete, fünfmal musste er diesen Sprung wiederholen, weil er dem Regisseur so oft zu artistisch vorkam, zu wenig einem Sturz glich, das war schon gut, aber bitte, mach das doch noch einmal, dann wird's bestimmt super, an solche und ähnliche Sätze hat er sich bei Dreharbeiten gewöhnt, wenn ein Stunt nicht so klappt, wie es der Herr Regisseur gern haben will, man erwartet von ihm, dass er gewagte Szenen wiederholt, so lange, bis man mit ihnen zufrieden ist, sie gut genug wirken, das gehört zum Geschäft, das Risiko hat er allein in Kauf zu nehmen, es soll so spektakulär wie möglich aussehen, sehr gefährlich, es soll Spannung erzeugen, ein Höhepunkt des Films werden, man braucht ihn, man weiß, was man von ihm erwarten kann, man fordert von ihm oft einen hohen Körpereinsatz, den man einem teueren Star keinesfalls zumutet, damit verdient er Geld, er hat dagegen nichts einzuwenden, diese Filmarbeiten gefallen ihm von seinen Engagements am besten, auch wegen der dabei herrschenden Atmosphäre, er zeigt gern, was er mit seinem Körper alles machen kann, genießt es, wenn er etwas Besonderes geschafft hat, er dafür Beifall erhält, wie neulich, als er doubelnd von einem Zug in ein Sportwagen-Cabriolet umstieg, mit einem Aktenkoffer voller Filmgeld unter dem Arm kam er wie vorausberechnet auf dem rutschfest gemachten Wagenheck auf, schlängelte sich dann zum Beifahrersitz, setzte sich neben einen Komplizen und hielt den Aktenkoffer triumphierend hoch, danach war sein Auftritt vorbei, das Filmteam applaudierte begeistert, Bravo-Rufe, alle Augen auf ihn gerichtet, ein angenehmes Nachspiel für ihn, er war der Mittelpunkt, anerkannt, wichtig, ein Star, aber nur für kurze Zeit, die Szene war abgedreht, seine Arbeit war getan, man brauchte ihn nicht mehr, der gewohnte Verlauf, im Film- und Fernsehgeschäft spielt er keine große Rolle, er ist nur ein Gelegenheitsarbeiter, der mal mehr, mal weniger beschäftigt wird, seine spektakulären und durchschnittlichen Auftritte halten sich dabei in etwa die Waage, manchmal wird er nur für abgedroschene Prügeleien oder läppische Treppenstürze engagiert, es kommt auch vor, dass der jetzt als Sensationsdarsteller 9,81 m/sec² schnell durch den Eldorado-Luftraum fallende Kurt Wiegand bloß ein besserer Komparse ist, für Mini-Szenen sich nur wenig zu bewegen und nur ein paar Worte zu sprechen braucht, wofür er Gagen erhält, die kaum kleiner sein können, je spektakulärer er auftritt, desto mehr verdient er auch, Berechnungsgrundlage dafür ist ein Stuntszenen-Katalog, in dem die einzelnen Einsätze nach dem Schwierigkeitsgrad und dem Risiko aufgelistet sind, danach werden die Verträge abgefasst, die er zu erfüllen hat, eine Unfallversicherung gibt es nicht, das Risiko hat er alleine zu tragen, doch das ist ihm egal, er weiß genau, was er sich zumuten kann, vertraut den Sicherheitsvorkehrungen, sonst würde er es nicht machen, manchmal fragt er sich, ob er nicht doch zu wenig wagt, sich zu früh sagt: Bis hier und nicht weiter, vielleicht könnte er aus seinem Körper mehr Kapital schlagen, weil ihm sein Risiko zu hoch schien, hat er schon einige verlockende Angebote abgelehnt, ist er etwa noch zu vorsichtig, nicht couragiert genug, er weiß es nicht, andere wagen und verdienen mehr als er, doch manchmal wagt jemand zu viel, verletzt sich schwer oder stirbt sogar, erst im vorigen Monat war ein amerikanischer Stuntman, der an Händen und Füßen gefesselt war, bei einem Sturz von einem Münchner Hochhausbalkon katastrophal falsch auf einem Luftsack aufgeprallt, anstatt auf den Rücken fiel er auf den Bauch, seitdem ist er querschnittgelähmt, Rollstuhlfahrer, Wiegand könnte so nicht weiterleben, dann wäre er lieber tot, doch darüber denkt er nicht lange nach, er rechnet immer damit, dass ihm nichts passiert, ist sich seiner Sache sicher, wenn er seinen Körper ins Spiel bringt, sonst hätte er sich auch nicht auf diesen Eldorado-Sprung eingelassen, bei dem sich sein Körper noch in der Sturzflughaltung befindet, dieser für ihn genau kalkulierte Sprung, für den er seinen bisher höchsten Sekundenlohn bekommen wird, der ihn im Unterhaltungsgeschäft ein gutes Stück vorwärts bringen könnte, wo er bislang als Körpervirtuose zwar gebraucht, aber nur am Rande beachtet wurde, in der lohnbezogenen Rangordnung steht er auf einer der untersten Stufen, einen Namen hat er sich noch nicht machen können, er ist problemlos ersetzbar, darüber täuscht er sich nicht hinweg, was er kann, das können andere auch, wenn er es nicht macht, dann macht es eben ein anderer, es gibt zwar nur wenige in Deutschland, die ähnlich wie er ihren Lebensunterhalt verdienen, aber die sind für ihn schon Konkurrenz genug, dagegen muss er sich behaupten, für Leute seines Fachs ist Deutschland ein Entwicklungsland, hier herrschen keine amerikanischen Verhältnisse, mit Hollywood oder Las Vegas lässt sich hier nichts vergleichen, alles ist hier eine Nummer kleiner, mindestens, deutsche Stuntmen oder Sensationsdarsteller gibt es eigentlich nicht, man arbeitet zwar so, aber nicht nur, man ist auf zusätzliche Einnahmequellen angewiesen, Wiegand macht sich darin nichts vor, er kennt die deutschen Verhältnisse, die alles andere als günstig sind, nicht genug Action, er hat sich darauf eingestellt, seine Mischform gefunden, er bietet sich vielseitig an, er ist eine Art Hure, er prostituiert seine körperlichen Fähigkeiten in verschiedenen Bereichen der Unterhaltungsbranche, nimmt auch Angebote an, die weit unter seinem Niveau liegen, er verdient zwar nur mäßig, aber seine Gelegenheitsarbeiten gefallen ihm, was für ihn wichtiger ist, es reicht für seinen Lebensunterhalt, er braucht nicht viel, er will abwarten, wie sich alles weiterentwickelt, wer weiß, welche Möglichkeiten sich ihm nach seinem Sprung noch bieten, es ist eine Chance, auf jeden Fall verdient er damit gutes Geld, auch wenn er sich unter Wert verkauft hat, die 5000 Euro hat er schon fest einkalkuliert, aber noch hält er den Scheck nicht in seinen Händen, noch hat er es nicht geschafft, er ist noch von oben nach unten unterwegs, in perfekter Sturzflughaltung springt er auf den jetzt noch 25 Meter unter ihm liegenden Luftsack zu, als wäre sein Körper in dieser Haltung erstarrt, er beschreibt eine leicht bogenförmige Flugkurve, ganz vom Sprunggefühl durchdrungen, weiterhin an nichts denkend, körperzentriert, die Haltung seines Körpers nicht verändernd, immer schneller fallend, weder empfindet Wiegand es als Rausch, noch läuft, wie es nicht selten abstürzende Bergsteiger erleben, ein Film mit Szenen aus der eigenen Lebensgeschichte vor seinem geistigen Auge ab, noch nie hat er auf einem seiner vielen Fallwege Ähnliches erlebt, eine wohl einzigartige Erfahrung, die er gern einmal machen würde, natürlich nur bei gewollten und geglückten Sprüngen und Stürzen, vielleicht, so sagt er sich gelegentlich, geschieht so etwas bei einem Super-Sprung aus einem Hubschrauber, bei dem er so lange wie noch nie zuvor auf einem Fallweg unterwegs ist oder auch bei einem eher mittelmäßigen Körperkunststück, möglicherweise wird er es jedoch nur dann erleben, wenn er plötzlich sein Gleichgewicht verliert, lebensgefährlich zu Fall kommt, davon völlig überrascht wird, keinen Halt mehr unter seinen Füßen zu haben, wenn er keine Kontrolle mehr über seinen Körper gewinnt, tief ins Leere stürzt, vom Jetzt-ist's-aus durchzuckt, bei einem Unglücksfall, bei der Arbeit an einer gefährlichen Filmszene, vielleicht passiert dann, was andere schon erlebten und wovon sie, falls sie überlebten, später berichteten, vielleicht würde dann bei ihm auch wie bei jenen scheiternden Gipfelbezwingern eine Gedankenflut einsetzen, in der sich rasend schnell das eigene Leben in noch nie gesehenen Bildern zeigt, verbunden mit einem wunderbaren Glücksgefühl, ein Wachtraum direkt an der Grenze von Leben und Tod, die er dann glücklicherweise doch nicht überschreitet, wovon er mit einer einmaligen, unvergesslichen Erfahrung zurückkehren würde, aber davon ist er jetzt weit entfernt, was mit ihm in diesem Augenblick geschieht, das ist von ihm gewollt, geplant, Ergebnis seiner Fähigkeiten, es läuft automatisch ab, sein Bewusstsein bleibt ausgeschaltet, während sein Zentralnervensystem seine Aufgabe weiterhin erledigt, elektrisch schnell leitet es seine Impulse genau dahin, wohin sie gehören, lässt so bestimmte Reihenfolgen von Reiz, Reaktion und Interpretation entstehen, die seinen Sprung dirigieren, wovon er nichts merken kann, solange er springt und fällt, ist er nur noch ein von seinen nervalen Vorgängen gesteuerter Körper, dessen Gewicht und Lage die Auswirkung der Gravitationskraft auf in beeinflusst, die ihn wie alle fallenden Körper zum Erdmittelpunkt hin gleichmäßig beschleunigt und dabei seine Geschwindigkeit nach jeder Sekunde um 9,81 Sekundenmeter vergrößert, bis zum Sprungende, im uralten Schwerefeld der Erde fällt er, wie er fallen muss, sekundenkurz noch wird sich sein Kunst springender Körper im Sturzflug weiter erdwärts bewegen und sein Leben dieser Situation ausgeliefert bleiben, das heute vor 28 Jahren, 8 Monaten und 12 Tagen begann, siebeneinhalb Pfund wog er bei seinem Erddebüt, entwickelte sich aus so viel Körper, lernte sein Gleichgewicht gegen die auf ihn wie auch auf alle anderen Menschen unablässig einwirkende Schwerkraft zu behaupten, er richtete sich auf, machte seine ersten Schritte, fand in der Vertikalen Halt, bewegte sich immer freier im Raum, durchlief prägende Phasen, bekam seinen eigenen Werdegang, wurde schließlich zu dem Mann, der er heute ist, kein anderer will er sein, so etwas spielt er schon lange nicht mehr in Gedanken durch, ein Kopftheaterstück, in dem er als Abtrünniger von sich selbst auftritt, wäre für ihn nur noch komisch, damit gibt er sich nicht ab, die Menschen sind ihm fremd, die es nicht bei sich aushalten und von sich loszukommen versuchen, obwohl sie ihr ganzes Leben mit sich verbringen müssen, mit welchen Tricks man eine derartige Lebensweise erträgt, vermag er nicht nachzuempfinden, vielleicht eine Folter, so vermutet er, an der man zwar leidet, die man aber auch genießt, nicht seine Welt, er bleibt entschieden bei sich, er ist froh, dass er sich hat, so soll es auch bleiben, schließlich bin ich lebenslang mit mir zusammen, bis dass der Tod mich scheidet, sein Leben versteht er als eine Art Kür, nur nach seiner Fasson will er es führen, für ihn eine Selbstverständlichkeit, seine Körper-Kultur bildet seinen Schwerpunkt, er könnte sich nicht anders gewichten, ich körper, also bin ich, seit seiner Studentenzeit denkt er so, was ihm folgerichtig erscheint, auf akademischem Wissen gründet, das er sich auf der Sporthochschule in Köln angeeignet hatte, zwar lernte er weniger als vom Lehrplan gefordert, aber doch genug, um die körperlichen Gegebenheiten zu begreifen, die ihn besonders interessierten, wodurch ihm sein eigener Körper noch vertrauter wurde als er es ohnehin schon war, er übernahm die gerade in Sportlerkreisen favorisierte Ansicht von der Einheit von Körper und Seele, fand im psychophysischen Gleichgewicht sein Ideal, übertrug, um seine Ichstärke zu trainieren, Erfolg versprechende Erkenntnisse der Trainingslehre leicht abgewandelt auf sein Innenleben, er nahm an Selbsterfahrungs-Kursen teil, lernte seine individuellen Schwerpunkte besser verstehen, bemühte sich um seine eigene Balance, es kam ihm darauf an, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch in Form zu sein, man muss sein Leben gut trainieren, jeder ist seines Glückes Schmied, er gewann eine sportlich-materialistische Lebenseinstellung, die für ihn sinngebend und richtungsweisend wurde, bis heute ist er mit ihr gut zurechtgekommen, was ihm ihre Richtigkeit beweist, einen anderen Nutzen hatte sein Studium an der Sporthochschule nicht, im Grunde genommen war es sogar überflüssig, ein paar populärwissenschaftliche Bücher hätten für seinen Eigenbedarf auch ausgereicht, aber nach dem Abitur war ihm nichts Besseres eingefallen, als Sportlehrer oder Trainer zu werden, was er wegen seiner wettkampferprobten körperlichen Fähigkeiten für sinnvoll hielt, jedoch bald als Irrtum einsah, er merkte, dass er dafür gänzlich ungeeignet war, andere sportlich zu beammen, deswegen brach er nach dem fünften Semester sein Studium ab, ein zweiter Platz bei den deutschen Studentenmeisterschaften im Kunstturnen war für ihn der größte Erfolg, den er innerhalb seiner Universitätszeit erringen konnte, danach setzte er mit Entschiedenheit fort, womit er schon während seines Studiums begonnen hatte, er bot seine körperlichen Qualitäten an, versuchte im Unterhaltungsgeschäft Fuß zu fassen, um Geld zu verdienen, wurde so zu dem Freiberufler, der er auch heute noch ist, ein Selbstständiger, dessen Produkt sein eigener Körper ist, den er vermarktet, so gut es geht, als freischaffender Körpervirtuose hat er gelernt, seine Ansprüche seiner Verdienstlage anzupassen, er kommt mit wenig Geld aus, den Gelderwerb mit dem eigenen Körper zieht er jedem anderen vor, für ihn gibt es nichts Passenderes, es gefällt ihm keinen genormten Beruf zu haben, mal ist er mehr Schauspieler, dann wieder mehr Doubel oder wie jetzt Sensationsdarsteller, was er macht, ist abwechslungsreich, in einem Büro würde er sicherlich verkümmern, ein bürgerlicher Berufsalltag wäre für ihn ein Martyrium, dafür fehlt ihm das nötige Talent, er hat seinen eigenen Lebensstil gefunden, er ist nur für sich selbst verantwortlich, mit seinen Aktivitäten schadet er niemandem, was er sich zugutehält, wenn er bedenkt, wer alles wem wie schadet, um Gesellschaftliches kümmert er sich nicht, dieses Gebiet überlässt er gern den hauptberuflichen Humanisten, es ist ihm zu fremd, wer kümmert sich denn um ihn, noch nicht einmal eine Gewerkschaft, die es für Leute seines Fachs nicht gibt, er ist auf sich alleine angewiesen, vom sogenannten Sozialstaat fühlt er sich stiefmütterlich behandelt, ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld oder einen bezahlten Urlaub oder ein dreizehntes Monatsgehalt, er muss sehen, wie er zurechtkommt, alles hängt von seiner körperlichen Verfassung ab, sie muss erstklassig sein, nur so kann er seinen Lebensstil beibehalten, er fordert sich, will sich ausschöpfen, er kennt seine Stärken und richtet sich danach, das macht ihn selbstsicher, falsche Bescheidenheit hat er nicht nötig, seit seiner Kindheit ist er es gewohnt, dass er seine körperlichen Vorzüge ausspielt, und dass sie ihm am meisten nutzen, sie verschaffen ihm Vorteile, Anerkennung, was für ihn in der Natur der Sache liegt, denn das Körperliche steht ja immer hoch im Kurs, jahrelanges, oft hartes Training liegt hinter ihm, er ist auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit angelangt, er weiß, dass die Zeit gegen ihn arbeitet, er etwas verkörpert, das nur kurzlebig ist, umso wertvoller erscheint es ihm, er lebt sich aus, in vollen Zügen, bis zum Extrem, Mittelmäßiges reicht ihm nicht, er braucht stärkere Reize, wie diesen Doppelsalto aus 55 Metern Höhe, der vor wenigen Augenblicken in den Hecht übergegangen ist, innerhalb seiner eigenen Grenzen will er es so weit wie möglich treiben, das Extreme beginnt bei ihm später als bei den meisten anderen, normale Maßstäbe gelten für ihn nicht, er ist artistisch eingestellt, er sucht die Herausforderung, um sich an ihr zu messen, tiefe Befriedigung verspürt er, wenn er mit seinem Körper etwas Außergewöhnliches geschafft hat, er sich sagen kann: Das war nicht 08/15, das war 1A, eine Reihe beachtlicher Körperkunststücke sind ihm schon gelungen, er ist ein Profi, weiß, dass er in seinem Fach gut ist, aber auch, dass es Bessere gibt, die ihm klar überlegen sind, dazu zählen vor allem die Sensationsdarsteller aus den USA, die dort als Stars gehandelt werden, Hollywood- und Las-Vegas-Größen, die viel können und auch viel verdienen, 100000 Dollar pro Jahr und mehr, die Rekorde aufstellen, noch nie Dagewesenes zeigen, Supersprünge, die er nicht meistern könnte, wie jenen vierfachen Salto mit eineinhalbfacher Schraube aus 30 Metern Höhe, bei dem jemand an einem Wasserfall vorbei sprang, dann im Strudel eintauchte, ein Weltrekord, überall sind diese Spitzenleute im Einsatz, begehrte Spezialisten, nicht zu ersetzen, zweifellos eine Klasse besser als er, doch damit kommt er gut zurecht, er ist mit seinem Körperkönnen zufrieden, es kann sich durchaus sehen lassen, für deutsche Verhältnisse langt's allemal, und danach richtet er sich, was lässt sich nicht steigern, sensationell, sensationeller, am sensationellsten, auch für Wiegand verkörperte Dar Robinson den Superlativ, der steht über allen, einen besseren Sensationsdarsteller hat es bis heute nicht gegeben, der bleibt wohl unübertroffen, in Fachkreisen spricht man mit Hochachtung von ihm, bewundert ihn weiter, er ist eine Legende, zu Lebzeiten die absolute Nummer 1, er war mit Hollywoodstars befreundet, Produzenten flogen ihn zu den Drehorten, was er alles meisterte, ist einzigartig, einmal raste Dar Robinson in einem Sportwagen über eine Rampe direkt in den Grand Canyon, stieg im richtigen Moment aus und segelte an einem Fallschirm die Schlucht hinunter, so etwas hatte man vorher noch nie gesehen, auch nicht, als er aus 340 Metern Höhe vom CN Tower in Toronto, dem damals höchsten Gebäude der Welt, sprang und nur wenige Meter über der ihn lebensgefährlich anziehenden Erde von einem Spezialseil gestoppt wurde, unübertroffen auch, wie er die Todesszene eines Killers spielte, dabei im 22. Stock eines Hochhauses erst mit einer Hand an dem Balkongeländer hing, mit der anderen die Pistole ergriff, dann losließ und im freien Fall rückwärts noch schnell zwei Schüsse auf seinen Gegner abfeuerte, während er weiter rücklings in die Tiefe stürzte, perfekt, wie er in einem Hochhaus durch eine Scheibe sprang und aus 55 Metern Höhe in Rückenlage, ohne Sichtkontakt zum Luftsack, hinunterfiel, eine weitere Glanzleistung von ihm war sein Weltrekord-Sprung aus 100 Metern Höhe von einem Hubschrauber, nach dem er punktgenau auf einem Luftsack landete, Dar Robinson war ein Perfektionist, worauf er sich einließ, darüber war er sich jedes Mal im Klaren, er wusste, wie weit er gehen durfte, er plante seine Stunts bis ins kleinste Detail, benutzte Computeranalysen, hatte einen scharfen Verstand, dachte immer intensiv darüber nach, was er machte oder machen wollte, mental äußerst stark, der Zufall darf keine Chance bekommen, das war sein Grundsatz, nie war ihm etwas als Sensationsdarsteller passiert, doch dann verunglückte er bei einem alltäglichen Motorradunfall tödlich, er wurde nur 39 Jahre alt, ein recht kurzes, dafür aber intensives Leben, der jetzt 9,81 m/sec² schnell durch den Eldorado-Luftraum fallende Kurt Wiegand würde es, wenn er wählen müsste, einem langen, geruhsamen vorziehen, er kann nicht auf Sparflamme leben, in Dar Robinsons Unfalltod sieht er ein Beispiel dafür, dass man als Sensationsdarsteller wohl eher an den Gefahren des Alltags stirbt als an denen des Berufs, die ja durch Können und Planung in den Griff zu bekommen sind, im Alltag passieren dauernd eine Menge unvorhersehbarer Unglücksfälle, die Zeitungen sind voll davon, das Leben ist eben lebensgefährlich, auf vielerlei Art, allein schon der Körper steckt voller Risiken, bislang ist er selbst verschont geblieben, seine Schwester, an die er sich nicht erinnern kann, jedoch nicht, sie starb mit fünf Jahren an einer eitrigen Lungenentzündung, und auch sein Großvater, an dem er sehr hing, hat in seiner Familie bereits gegen den Tod verloren, endete auf ihn anfangs betrübende Weise als menschliches Wrack in einer Anstalt für Geisteskranke, das geschah vor etwa zwei Jahren, er hat sich in dieser Zeit mit Verfall und Tod so gründlich auseinandergesetzt wie noch nie zuvor, ist aber für sich zu keinem neuen Ergebnis gekommen, seine Einstellung zum Tod wird er wohl nie ändern, der Tod ist zum Fürchten, tyrannisiert jeden, alle, aber auch alle werden sein Opfer, die einen früher, die anderen später, der Tod ist sein größter Feind, ungeheuer brutal, unbesiegbar, mörderisch, so lange wie möglich will er ihn sich vom Leibe zu halten versuchen, was bleibt ihm auch anderes übrig, dank seiner erstklassigen körperlichen Verfassung glaubt er gute Überlebenschancen zu haben, mindestens 50 Jahre will er schon alt werden, wer gern lebt, stirbt nur ungern, mit dem Tod beschäftigt er sich nur noch flüchtig, er weiß ja, woran er bei ihm ist, ganz in Luft aufgelöst haben sich für ihn Pläne, die ihm einen Stammplatz im Jenseits sichern sollen, damit liebäugelt er schon lange nicht mehr, erst auf der Erde, dann in der Erde, das wär's, etwas Sinnvolleres als sich auszuleben, gibt es für ihn nicht, auf dieser Erde, die ihn jetzt bei seinem Kunstsprung anzieht und lebenslang weiter anziehen wird, er fühlt sich erdverbunden, Kurt Wiegand, Erdling, er kann sich nicht beklagen, im Grunde ist er mit seinem Leben auf diesem Planeten zufrieden, der im All nicht bahngenau, sondern leicht eiernd kreisen soll, mit dem All kann er nicht viel anfangen, es kommt ihm irgendwie gedopt vor, spielt in einer ganz anderen Liga, konkurrenzlos mit diesen unfassbaren Mega-Kräften und Super-Super-Geschwindigkeiten, wo dauernd eine kosmische Sensation die andere jagt, unfassbare Rekorde aufgestellt werden, erdferne Dimensionen, wo das Maßlose normal zu sein scheint, eben eine Menge passiert, seit jenem Ursprung, der ein Urknall gewesen sein soll, und wenn schon, von ihm aus kann es auch bloß ein göttlicher Furz gewesen sein, was vor Milliarden Jahren passiert sein könnte, interessiert ihn nicht, er zählt nicht zu denen, die den Kosmos anstaunen und pathetisch werden, nicht seine Welt, weitaus bedeutsamer sind für ihn die Schwerkraft der Erde und die drei Fallgesetze von Isaac Newton, wobei er dieses g = 9,81 m/sec² ganz besonders schätzt, diese Formel gehört zu seinem körperbetonten Leben, besitzt für ihn trotz aller Sachlichkeit eine ganz persönliche Note, kurz und bündig drückt sich in ihr aus, was für ihn eine außergewöhnlich große Rolle spielt, wovon er sich so stark beeinflusst fühlt, ich und die Erdanziehung, es vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht an sie denken muss, sie übt auf ihn einen eigenartigen Reiz aus, sie hat für ihn etwas Magisches, von keiner Naturgegebenheit fühlt er sich mehr beeinflusst, die dominierende Kraft unter ihm, andauernd wirkt sie auf ihn ein, er kann sich ihr nicht entziehen, manchmal wünscht er, dass er es könnte, sie stellt an ihn spezielle Anforderungen, genauer als allgemein üblich muss er auf ihre Gesetzmäßigkeiten achten, er ist trainiert, auf ihre Wirkungsweise in Ausnahmesituationen richtig zu reagieren, er fühlt sich zwar gut geerdet, aber er weiß auch, dass er sich Nachlässigkeiten nicht erlauben darf, die Schwerkraft kann für ihn schnell schicksalhaft werden, Konzentration und Präzision sind der Tribut, den er ihr zollt, sie lässt sich nicht austricksen, sie herrscht, seit uralten Zeiten eine Weltmacht, eine Natur-Diktatur, je gekonnter er seinen Körper einsetzt, desto besser kommt er mit ihr zurecht, seine Muskelkraft und Beweglichkeit gegen die Schwerkraft, ein Spiel reich an Höhepunkten, bei dem ihm schon vieles gelungen und noch nichts zugestoßen ist, in seinem 28 Jahre alten Leben, das jetzt nur noch sekundenkurz dauern kann, er bleibt so lange noch in Lebensgefahr, bis er nach seinem Kunstsprung sicher auf dem Luftsack gelandet ist, sein 5000 Euro werter Auftritt als Sensationsdarsteller kann ihn das Leben kosten, wegen eines schweren Haltungsfehlers oder eines Defekts am Luftsack, aber noch stimmt seine Flugbahn, ist seine Sprungtechnik perfekt, mit der sein Körper auf den Luftsack, seiner Überlebenszone zusteuert, auf dieses Blau unter ihm, das immer größer wird und immer näherkommt, nichts anderes als dieses Blau sieht er, seine Augen visieren die Mitte davon an, die er jetzt ganz bewusst wahrnimmt, da will er hin, genau in die Mitte von diesem Blau, sein einziger Gedanke, für Sekundenbruchteile lässt er seinen Körper in noch immer kontrollierter Sturzflughaltung weiterfallen, eine Flugkurve bewegt sich auf den quaderförmigen Luftsack zu, 10 Meter über seiner blauen Überlebenszone, im richtigen Moment, vom Gefühl geleitet, führt er seinen letzten Haltungswechsel aus, die Endphase seines Sprungs beginnt, er dreht seinen Körper zur Rückenlage, winkelt dabei seine Arme an, presst sie seitlich an seinen Rumpf, den er leicht rundet, streckt seine Beine fast diagonal nach oben, gibt seinem Körper sofort eine starke Muskelspannung, die ihn in dieser Haltung erstarren lässt, er gleicht einem Artisten, der nach dem Ende seiner Trapeznummer sich auf das Netz fallen lässt, Wiegands Augen blicken in den grauverhangenen Himmel, während er rücklings auf den Luftsack zufällt, den er nicht mehr verfehlen kann, der Verlauf seiner Flugkurve nähert sich dem Zentrum des Luftsacks, den er als sein größtes Sicherheitsrisiko eingestuft hat, 11 Meter lang, 9 Meter breit und 3 Meter hoch, gefüllt mit der Luft Bayerns, liegt der Luftsack jetzt noch 8 Meter unter ihm, er ist für ihn in diesen Sekunden die wichtigste Sache auf der Welt, lebensentscheidend, man hat zwar Konstruktion und Material gründlich getestet, aber trotzdem bleibt der Luftsack ein Sicherheitsrisiko bis zuletzt, wegen eines Materialfehlers kann er zu stark nachgeben oder sogar platzen, was anderen Stuntmen schon passiert ist, das wird Wiegand jetzt wieder in Sekundenbruchteilen bewusst, er fühlt sich ausgeliefert, in großer Lebensgefahr, alles wird ihm fremd und unheimlich, plötzlich befällt ihn ungeheure Angst, wie er es noch nie zuvor erlebt hat, er spürt seinen Körper nicht mehr, als hätte die Angst ihm einen furchtbaren Schlag versetzt, der ihn gänzlich lähmt, er verliert die Orientierung, weiß nicht mehr, wo er ist, wohin und warum er fällt, glaubt jetzt schon lange so zu stürzen, in einen dunklen Abgrund, immer schneller und tiefer, in eine tödliche Tiefe, er weiß nicht mehr, dass unter ihm der Luftsack liegt, sein Körper genau auf ihn zufällt, Todesangst überwältigt ihn, er will nicht weiterstürzen, er will nicht sterben, Nein will er schreien, Neiiiin, kann es aber nicht, schlägt in diesem Moment nach einer Gesamt-Sprungzeit von 5,23 Sekunden auf dem Luftsack auf, mit einer Geschwindigkeit von 109 Kilometern pro Stunde, nicht ganz in der Mitte, aber noch immer genau genug, eine relativ sichere Stelle, etwa drei Meter vom tödlichen Rand entfernt, er spürt und hört, dass er auf den Luftsack gefallen ist, ein krachend harter, jedoch schmerzloser Aufprall, sofort wird er sich seiner Situation bewusst, seine Gedanken rasen, während er vom Luftsack abgebremst und umschlossen wird, der Luftsack ich hier oben drauf gut getroffen muss halten jetzt nicht kaputt will leben ich 5000 Euro auf Luft nicht platzen dann tot Schwerkraft ich wie tief weich ich versinke nein nicht weiter ist aus viel zu tief sterbe jetzt ist schon geplatzt nein doch nein spannt sich hält ist ganz ja hat gehalten ich lebe geschafft ja ich wirklich ich hab's geschafft, jetzt spürt er, wie sein im Luftsack eingesunkener Körper hochgedrückt wird, eine elastisch federnde Bewegung, die ihn erst auf seine linke Körperseite dreht, dabei eng an die luftgefüllte, sich glatt und warm anfühlende Synthetikmasse presst, dann wieder auf den Rücken zurückkippt, in dieser Position bleibt sein Körper liegen, lang ausgestreckt, regungslos, in einer Fallmulde, Wiegand sieht nur das Blau des Luftsacks um ihn und das sich scharf dagegen abgrenzende Grau des Himmels, er verspürt eine große Müdigkeit, möchte so liegen bleiben, sein Sprung ist ihm gelungen, das weiß er, aber etwas ist ihm dabei passiert, etwas, das weiter auf ihn einwirkt, irgendwie lähmt, alles andere überdeckt, es kommt ihm jetzt so vor, als hätte er gerade eine schwere Niederlage erlitten.
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