Er bejahte es. Eine noch offene Geschichte. Dieses In-der-Schwebe-sein bei ihnen gefällt ihm außerordentlich, gibt ihrer Beziehung einen ganz besonderen Reiz. So wenig bislang entschieden ist, so viel scheint noch möglich zu sein.
Dass sie wegen seines Sprungs, zu dem er in diesem Moment ansetzt, und dem sie 55 Meter unter ihm wie versteinert zusieht, äußerst beunruhigt sei, die Gefahr, in die er sich begebe, nicht länger verdrängen könne, sagte sie ihm gestern Abend, als sie sich in einer horizontalen Position befanden, sie beide während einer Lustpause nackt in seinem Bett lagen. Ihr Gesicht schien von einem melancholischen Muskelspiel verändert, sie sprach nur noch mit leiser Stimme, glanzlose Seitenblicke, müdes Lächeln.
Er wunderte sich, hatte er doch angenommen, sein Sprung würde ihr genauso wenig zu schaffen machen wie andere Körpereinsätze von ihm, deren Planung und Ausführung sie schon miterlebt hatte. Bisher hatte sie sich dabei erstaunlich abgeklärt gezeigt und ihn nicht mit Sorge- und Angsttiraden belästigt.
Sie ist eine Frau, die mich nicht beammen will, hatte er sich gesagt. Ein Charakterzug von ihr, den er zu schätzen wusste; denn wiederholt hatte er miterleben müssen, wie eine Frau wegen seiner Körpereinsätze zu einem Nervenbündel wurde, so weit in Sorge und Angst abdriftete, wie sie ihn gefährdet sah, in eine lästige Ammenrolle verfiel und ihn mit Tu's-nicht bedrängte. Etwas Ähnliches baute sich anscheinend jetzt in Ingrid zum ersten Mal auf.
»Es ist halb so wild, Ingrid. Mehr eine Frage des Willens. Ich habe schon Sprünge aus größerer Höhe und mit schwierigerem Bewegungsablauf geschafft, die allesamt riskanter waren«, sagte er betont beiläufig.
»Ich weiß. Dieses Argument kenne ich bereits. Du willst mich damit doch nur beruhigen«, erwiderte sie.
»Du solltest dich jetzt nicht verkrampfen. Mach dir keine Sorgen. Ich dachte, du hättest meinen Sprung schon längst abgehakt.«
»Das dachte ich auch. Aber gestern Mittag ist mir urplötzlich klar geworden, worauf du sich da einlässt. Ich war viel zu naiv, habe einfach deine Worte übernommen, nur ans Gelingen gedacht. Jetzt fantasiere ich darüber, was dir alles passieren könnte. Nicht gerade angenehm für mich. Ich bekomme es nicht aus meinem Kopf. Ich mache mir Sorgen um dich. Wenn du das nicht verstehen kannst.«
»Ingrid, ich gehe kein großes Risiko ein. Dafür lebe ich zu gerne.«
»Diesen Sprung hast du doch noch nie zuvor gewagt, Kurt. Aus 55 Metern Höhe. Das ist schon nicht mehr gewagt, das ist purer Leichtsinn. Dein Jubiläumssprung könnte dein letzter Hüpfer sein«, sagte sie mit lauter werdender Stimme. Mit einer nervösen Geste fährt sie sich durchs zerzauste Haar.
»Ziemlich unwahrscheinlich«, erwiderte er noch gelassen. »Mehr konnte für meine Sicherheit nicht getan werden. Kamikaze liegt mir überhaupt nicht.«
»Das ist ein sehr gesunder Standpunkt von dir«, sagte sie, wobei sie mehrmals übertrieben mit dem Kopf nickte.
»Morgen u m diese Zeit ist alles vorbei.«
»Ja. So oder so.«
»Es wird mir nichts passieren.«
»Kurt, morgen geht es für dich nicht um das Goldene Sport-abzeichen.«
»Da hast du zweifellos recht.«
»Warum springst du eigentlich? Etwa nur wegen des Geldes?«, fragte sie und brachte ihren Körper in eine Knieellenbogenlage, von der aus sie ihn forschend ansah. Ihre Miene hatte sich wieder aufgehellt. Er genoss kurz den Anblick ihrer appetitlichen Brüste, die vor ihm in Griffweite nach unten kurvten, dann sagte er:
»Ja, vor allem deswegen. Natürlich reizt mich der Sprung auch. Eine Art Abenteuer für mich.«
»Kurt, der Abenteurer. Bin ich für dich auch eine Art Abenteuer? Schon gut, die Frage brauchst du mir nicht zu beantworten. Nicht so wichtig«, sagte sie, ihren Kopf auf eine Hand stützend.
Wiegand lächelte unsicher.
»Ingrid, ich kann mir 5000 Euro erspringen. Mit einem einzigen Sprung. Und meine Arbeitszeit dabei ist schon kürzer als kurz, oder?«
»Sicherlich. Aber tot bist du ein bisschen länger. Wenn du Pech hast. Für lumpige 5000 Euro begibst du dich in Lebensgefahr.«
Wiegand richtete sich jäh auf, spürte Zorn, dämliches Gequatsche, wollte ihr einen heftigen Satz entgegenschleudern, besann sich jedoch frühzeitig, schwieg einige Herzschläge lang.
»Ich wäre doch ein Narr«, sagte er schließlich, »wenn ich es nicht machen würde. Leicht verdientes Geld und dazu noch eine super Werbung für mich. Gut möglich, dass ich deswegen besser ins Geschäft komme. Wenn Norbert mir nicht so früh den Tipp gegeben hätte, wäre aus meinem Sprung vielleicht gar nichts geworden. Ich bin leider nicht konkurrenzlos. Schön wär’s. Spektakuläre Sprünge haben auch andere anzubieten. Auch Frauen. Übrigens, jeder Tag kann für einen tödlich werden. Jede Autofahrt. Sogar ein Essen. In den USA verschlucken sich jährlich über 4000 Menschen beim Essen tödlich.«
»So? Lassen sich wohl keine Zeit zum Durchkauen. Gieriges Geschlinge sieht man ja überall. Für manche eben tödlich. Das ist mir völlig egal. Dein Sprung nicht. Das dürfte dich nicht überraschen. Mir wäre wohler, wenn ein anderer als du engagiert worden wäre.«
»Mir nicht.«
»Lass uns jetzt besser das Thema Sprung beenden, Kurt«, sagte sie nach einem kurzen Schweigen, sonst werde ich noch nervöser als ich es schon bin. Dein Entschluss zu springen, steht ja sowieso fest.«
»Ja, seitdem ich das Angebot angenommen habe. Und das war vor etwa einem Monat.«
»Sollte ich es mit der Angst zu tun bekommen, werde ich versuchen, mannhaft dagegen anzugehen. Ich will jetzt nichts dramatisieren. Vielleicht spielt auch der Föhn eine Rolle. Dann bin ich immer ganz kribbelig.«
»31 Jahre alt, 176 weibliche Zentimeter groß, 61 Kilogramm schwer, Maße: 90 mal 60 mal 86, besondere Kennzeichen: kribbelig bei Föhn.«
Sie lachte kurz auf.
»Wie viel du doch von mir weißt«, sagte sie und drängte sich enger an ihn. »Ich hoffe, du kennst noch andere Qualitäten von mir.«
»Ich denke schon. Willst du noch einen Kaffee?«, fragte er. Seine rechte Hand fuhr leicht über die Innenseite ihrer Oberschenkel.
»Ja«, antwortete sie, kurz ihre Augen schließend. »Und dich«. Sie setzte sich in den Schneidersitz.
»Reicht dir nicht erst einmal der Kaffee?«, fragte er, während er ihr aus der Warmhaltekanne einschenkte.
»Nein. Wieso fragst du? So schlapp?« Sie sah prüfend zu seinem ruhenden Zentralglied, hob es kurz an, ließ es dann wieder in seine vorherige Lage zurückfallen.
»Das wohl nicht. Aber ich kann nicht den ganzen Tag mit dir im Bett verbringen. Morgen muss ich fit sein. Ein paar Trainingseinheiten brauche ich heute noch.«
»Willst du jetzt etwa trainieren? Nimm mich doch. Unser Bettsport müsste dich eigentlich genug auf Touren bringen. Wie wär's mit einem Marathonmatch? Bist du gerne mit mir in der Horizontalen?", fragte sie und bewegte sich so, dass ihre vollen Brüste über seinen Oberkörper langsam hin und her glitten.
»Liebend gern, Ingrid«, antwortete er, umfasste ihre Hüften und zog sie an sich. Trainieren konnte er ja noch immer. Seine Hände umfuhren mehrmals genießerisch ihren reizvoll geformten Körper, den sie eng an ihn schmiegte. Sie stöhnte leise auf, biss ihn sanft in die Oberlippe, löste sich langsam von ihm, wobei sie sich auf den Rücken drehte, lächelte ihn an und öffnete einladend ihre Beine. Er küsste sie von Nord nach Süd, kam dabei in ihre verschiedenen Duftzonen, die für sie als Stimulanz einfach dazugehören, weil, ihre feste Überzeugung, Sinnlichkeit sich immer auch über die Nase entfaltet. Ihr Gesicht duftete wieder nach »Flair«, die Marke, die sie bevorzugt, ihre Brüste hatte sie mit dem Eau de Toilette betupft, das sie ihm geschenkt hatte und ihr schwarz gekraustes Dreieck, vor dem er züngelnd verweilte, verströmte einen schweren, bislang unbekannten Duft, der ihn an Zimt erinnerte. Eine Zeit lang ließ er sie noch in Kitzlerwonnen treiben, dann richtete er seinen Oberkörper auf, seine Hände folgten seinen Augen, wanderten von ihren festen halbkugelförmigen Brüsten über ihre Hüften zu ihrem nassen Zentrum, das eine starke Signalwirkung auslöste, ihn steifwillig anzog.
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