I. Prospektpflicht nach der ProspektVO und dem WpPG
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Wesentliche Rechtsgrundlagen:
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ProspektVO (VO (EU) Nr. 2017/1129 v. 14. Juni 2017) |
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DelVO 2019/980 v. 14. März 2019 |
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DelVO 2019/979 v. 14. März 2019 |
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WpPG |
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WpPGebV (Wertpapierprospektgebührenverordnung) v. 21. Juli 2019, aufgehoben mit Ablauf des 30. September 2021, in Überarbeitung |
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ESMA, Leitlinien zu den Risikofaktoren im Rahmen der Prospektverordnung v. 1. Oktober 2019, ESMA31-62-1293 DE |
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ESMA, Questions and Answers on the Prospectus Regulation, ESMA/2019/ESMA31-62-1258, Version 10, 27. Juli 2021 |
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ESMA, Final Report, Guidelines on disclosure requirements under the Prospectus Regulation, ESMA31-62-1426, 15. Juli 2020 |
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ESMA, Leitlinien zu den Offenlegungspflichten nach der Prospektverordnung, v. 4. März 2021, ESMA132-382-1138 |
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BaFin, Neue Regeln für Wertpapierprospekte nach EU-Prospektverordnung 2017/1129 – Frequently Asked Questions, Stand: 6. Oktober 2021 |
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Die unmittelbar geltende EU-Prospektverordnung vom Juni 2017 (ProspektVO)[4] findet im Wesentlichen seit 21. Juli 2019Anwendung (Art. 49 ProspektVO)[5]. Zielder Verordnung ist neben dem Anlegerschutz und der Markteffizienz die Stärkung des Kapitalbinnenmarkts[6], dh sie ist eine der Maßnahmen zur Schaffung einer EU-Kapitalmarktunion[7]. Konkretisiert wird sie durch delegierte Rechtsakte[8]. Die ProspektVO ersetzt die Prospektrichtlinie 2003/71/EG sowie die entsprechende nationale Umsetzung im WpPG aF. Da die Prospektpflichten jetzt weitgehend in der Verordnung enthalten sind, besteht das WpPG nunmehr überwiegend aus nur ergänzenden Regelungen zur ProspektVO ( § 1 WpPG) .
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Die ProspektVO regelt die Erstellung, Billigung und Verbreitung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren ( Angebotsprospekt, Art. 3 Abs. 1 ProspektVO) oder bei deren Zulassung zum Handel an einem in den Mitgliedstaaten befindlichen geregelten Markt ( Zulassungsprospekt, Art. 3 Abs. 3 ProspektVO) erforderlich ist (Art. 1 Abs. 1 ProspektVO). Sie harmonisiert insbesondere die Prospektpflichtschwellen, das Billigungsverfahren und den Prospektinhalt. Das Billigungsverfahren kann durch ein einheitliches Registrierungsformular („Rahmenregistrierung“ für Unternehmen, die häufig Wertpapiere begeben) vereinfacht sein. Prospekte werden künftig v.a. in elektronischer Form vorliegen, wobei der Anleger auf Verlangen diese auch weiterhin in Papierform erhält. Die ProspektVO soll auch den kleineren und mittleren Unternehmen (sog. KMU) Erleichterungen bieten[9].
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Prospekte, die vor dem 21. Juli 2019 gebilligt wurden, unterlagen bis zum Ablauf ihrer Gültigkeit bzw während eines Zeitraums von 12 Monaten noch dem „alten“ Recht (Art. 46 Abs. 3 ProspektVO).
2. Prospektpflicht und Ausnahmen
a) Pflicht zur Erstellung eines Prospekts
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Eine Prospektpflicht besteht, wenn ein Handel an einem geregelten Markt(Art. 2 lit. j ProspektVO; Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 MiFID II) erfolgen soll (Art. 3 Abs. 3 ProspektVO, § 32 Abs. 3 Nr. 2 BörsG). Dem entspricht in Deutschland der regulierte Markt[10]. Sie besteht auch dann, wenn ein öffentliches Angebotvon Wertpapieren erfolgt (Art. 3 Abs. 1 ProspektVO ).
⇒ Definition:
„Öffentliches Angebot“von Wertpapieren meint eine Mitteilung an das Publikum in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, über den Kauf oder die Zeichnung dieser Wertpapiere zu entscheiden (Art. 2 lit. d ProspektVO).
„Angebot“meint das Vorliegen eines Verkaufs- oder Tauschangebots. Ein Kaufangebot ist nicht von der ProspektVO erfasst, da es nicht auf den (nationalen) Begriff des Angebots iS des § 145 BGB ankommt[11]. Art. 2 lit. d ProspektVO erwähnt nur die Möglichkeit des Anlegers, sich aufgrund der gegebenen Informationen zum Kauf zu entscheiden, nicht, dass es möglich sein muss, diese Entscheidung unmittelbar durch einen Kauf umzusetzen[12]. Daher reicht es, wenn das Publikum zur Angebotsabgabe aufgefordert wird (invitatio ad offerendum)[13].
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Das Angebot muss öffentlichsein, dh sich an einen unbestimmten Personenkreis richten (Angebot im Internet, in der Zeitung, allgemeines Rundschreiben). Der Gegensatz zum öffentlichen Angebot ist die Privatplatzierung(private placement). Dort besteht zwischen Anbieter und Anleger bereits vor Abgabe des Angebots eine persönliche Verbindung[14]. Die Abgrenzung zwischen einem „öffentlichen Angebot“ und einer Privatplatzierung kann schwierig sein[15].
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Ein Verstoßgegen die Prospektveröffentlichungspflicht stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 Abs. 3 Nr. 1 WpPG dar und führt zu einer Untersagung des Angebots (Verwaltungsakt) durch die BaFin (§ 18 Abs. 4 WpPG). Widerspruch und Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung (§ 20 Nr. 1 WpPG). Zudem droht eine Prospekthaftung[16].
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Für bestimmte Fälle ist die freiwillige Erstellungeines Prospekts möglich (Art. 4 Abs. 1 ProspektVO). Davon wird v.a. Gebrauch gemacht, wenn grenzüberschreitende Emissionen geplant sind. Dann sind sämtliche Bestimmungen der ProspektVO und des WpPG zu beachten (Art. 4 Abs. 2 ProspektVO). Der Prospekt wird wie ein solcher nach Art. 3 Abs. 1 ProspektVO angesehen und unterliegt allen Anforderungen der ProspektVO. Er ist also von der BaFin zu billigen und zu veröffentlichen. Für diesen Prospekt wird wie für einen Pflichtprospekt gehaftet (Art. 4 Abs. 2 ProspektVO)[17].
b) Ausnahmen von der Prospektpflicht
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Da eine Prospekterstellung für den Emittenten regelmäßig mit hohen Kosten verbunden ist, kommt den Ausnahmen von der Prospektpflicht große praktische Bedeutung zu. Es gibt Ausnahmekategorien sowie für bestimmte Fälle Schwellenwerte, ab derer eine Prospektpflicht besteht.
216
Art. 1 Abs. 2 ProspektVO enthält eine Ausnahme für bestimmte Arten von Wertpapieren. So findet die Verordnung etwa keine Anwendung auf bestimmte OGAW-Anteilsscheine (Art. 1 Abs. 2 lit. a ProspektVO).
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Keine Prospektpflicht besteht bei bestimmten Arten öffentlicher Wertpapierangebote (Art. 1 Abs. 4 ProspektVO). Das gilt zB bei allein an qualifizierte Anlegergerichtete Wertpapierangebote (Art. 1 Abs. 4 lit. a ProspektVO), oder solche, die sich an weniger als 150 nicht qualifizierte Anleger pro Mitgliedstaat richten (Art. 1 Abs. 4 lit. b ProspektVO). Art. 1 Abs. 5 ProspektVO erstreckt diese für Angebotsprospekte geltende Regelung auch auf Zulassungsprospekte für bestimmte Instrumente. Auch für ein Wertpapierangebot mit einer Mindeststückelung von 100 000 Euro, besteht keine Prospektpflicht (Art. 1 Abs. 4 lit. c ProspektVO).
⇒ Definition:
Qualifizierte Anlegersind v.a. Personen oder Einrichtungen, die in Anhang II Abschnitt 1 Nr. 1–4 MiFID II aufgeführt sind und damit als sog. professionelle Kunden iS der MiFID II bzw des WpHG gelten (Art. 2 lit. e ProspektVO).
Beispiele:
Kreditinstitute, Wertpapierfirmen, Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds und ihre Verwaltungsgesellschaften sowie große Unternehmen, die zwei der nachfolgend aufgeführten Voraussetzungen erfüllen: 20 Mio. Euro Bilanzsumme, 40 Mio. Euro Nettoumsatz, 2 Mio. Euro Eigenmittel.
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