137
Zur Durchführung des Open Market werden die Einrichtungen der Börse genutzt. § 48 Abs. 1 BörsG enthält die Ermächtigung an die Börsen, einen Freiverkehr zuzulassen, wenn durch (zivilrechtliche) Geschäftsbedingungen eine ordnungsmäßige Durchführung des Handels und der Geschäftsabwicklung gewährleistet erscheint. An der Börse Frankfurt etwa ist die Deutsche Börse AG Trägerin des Freiverkehrs[75].
138
Für die Einrichtung eines Freiverkehrs ist eine schriftliche Erlaubnisder Börsenaufsichtsbehörde erforderlich (§ 48 Abs. 3 Satz 1 BörsG). Hintergrund ist, dass für die Öffentlichkeit oft nicht erkennbar ist, ob ein Wertpapier im regulierten Markt oder im Open Market gehandelt wird, sodass die Gefahr besteht, dass Missstände des Freiverkehrs der Börse insgesamt angelastet werden. Liegt ein Missstand vor, kann die Börsenaufsichtsbehörde nach § 48 Abs. 2 BörsG den Handel im Freiverkehr untersagen.
139
Gemäß § 48a Abs. 1 BörsG kann der Börsenträger unter bestimmten Voraussetzungen einen Freiverkehr bei der Börsenaufsichtsbehörde als KMU-Wachstumsmarkt[76] registrieren lassen. Dieser wurde mit der MiFID II als neue Kategorie von MTF-Märkten eingeführt, um KMU den Zugang zu den Kapitalmärkten zu erleichtern.
Beispiel:
Das Segment Scale für KMU an der Frankfurter Wertpapierbörse ist seit Dezember 2019 ein registrierter KMU-Wachstumsmarkt.
Hierfür bestehen geringere regulatorische Anforderungen als für den regulierten Markt. So gibt es Erleichterungen bei der Prospekterstellung[77] und es besteht unter bestimmten Voraussetzungen eine Befreiung von der Erstellung einer Insiderliste. Der Inhalt und das Verfahren bei der Einstufung eines multilateralen Handelssystems als KMU-Wachstumsmarkt ist in § 76 WpHGbzw in Art. 77 ff DelVO 2017/565 geregelt. Inzwischen wird die KMU-Wachstumsmarkt-Initiative der EU-Kommission teilweise als misslungen kritisiert, da nur wenige Emittenten zu verzeichnen seien[78].
140
Die Aktien werden im Open Market nicht förmlich zugelassen, sondern es erfolgt „nur“ eine Einbeziehungin den Börsenhandel. Die Teilnahme am Handel sowie die Einbeziehung von Wertpapieren zum Handel sind durch zivilrechtliche Geschäftsbedingungen geregelt, die regelmäßig von den Trägern der jeweiligen Börse erlassen werden[79]. Rechtsgrundlage sind etwa an der Börse Frankfurt die Richtlinien für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse. Die Deutsche Börse AG entscheidet auf Antrag über die Einbeziehung in den Open Market. Werden die Wertpapiere eines Emittenten ohne dessen Zustimmung in den Freiverkehr einbezogen, kann dieser nicht durch Geschäftsbedingungen dazu verpflichtet werden, Informationen bzgl der Wertpapiere zu veröffentlichen (§ 48 Abs. 1 Satz 4 BörsG).
141
Die (zivilrechtlichen) Richtlinien für den Freiverkehr sind nach hM Allgemeine GeschäftsbedingungeniS der §§ 305 ff BGB[80]. Verstöße hiergegen sind nur zivilrechtlich verfolgbar, etwa durch Klage auf Vertragserfüllung. Der Ablauf des Handels im Freiverkehr sowie die Geschäftsabwicklung sind dagegen in einer öffentlich-rechtlichen Handelsordnunggeregelt, welche vom jeweiligen Börsenrat erlassen wird (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 BörsG)[81]. Verstöße hiergegen können vom Sanktionsausschuss ( § 22 BörsG) verfolgt werden[82]. Aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters ist der Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten.
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Eine Prospektpflichtbesteht nicht nur durch die Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt, sondern auch durch das öffentliche Anbieten von Wertpapieren (vgl Art. 1 Abs. 1 ProspektVO)[83]. Ein öffentliches Anbietenist eine Mitteilung an das Publikum in jeder Form und auf jede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, über den Kauf oder die Zeichnung dieser Wertpapiere zu entscheiden (Art. 2 lit. d ProspektVO)[84]. Da neue Anleger regelmäßig durch ein öffentliches Angebot gewonnen werden, ist zumeist auch im Freiverkehrdie Erstellung eines Prospekts erforderlich.
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Da die Einbeziehung in den Freiverkehr zwecks erleichterter Handelsmöglichkeiten von einem zugelassenen Handelsteilnehmer (zB Makler, Investmentbank) und nicht vom Emittenten betrieben wird, unterliegt der Emittent nach der Einbeziehung nur teilweise den für den regulierten Markt geltenden Regeln. Das bedeutet gleichzeitig einen nur eingeschränkten Anlegerschutz, der jedoch mit der MAR zum 3. Juli 2016 erheblich erweitert wurde.
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Hat der Emittent selbst die Einbeziehung seiner Finanzinstrumente veranlasst, gilt jetzt für im Freiverkehr gehandelte Papiere nicht nur das Verbot des Insiderhandels, sondern auch (sofern eine Zulassung und nicht eine Einbeziehung durch einen Dritten erfolgt) die Ad-hoc-Publizitätspflicht (Art. 17 Abs. 1 UAbs. 3 MAR), die Pflicht zur Veröffentlichung von Directors’ Dealings bzw Managers’ Transactions (Art. 19 MAR) und zur Führung einer Insiderliste (Art. 18 Abs. 7 MAR)[85]. Außerdem ist das Verbot der Marktmanipulation (Art. 15, 12 MAR) zu beachten. Ob durch diese Verschärfung der Freiverkehr praktisch weniger attraktiv ist[86], bleibt abzuwarten.
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Vorteile der Einbeziehungin den Freiverkehr sind nach wie vor, dass die Anleger, abgesehen von den aktienrechtlichen Mitteilungspflichten[87], keine Meldepflichten bei Erreichen bestimmter Beteiligungsschwellen (§§ 33 ff WpHG) treffen. Ebenso wenig ist beim Erwerb einer Kontrollmehrheit von 30 % der Stimmrechte ein Pflichtangebot abzugeben (§ 35 WpÜG), da das WpÜG nicht für Gesellschaften gilt, deren Aktien im Freiverkehr gehandelt werden.
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Auch auf gesellschaftsrechtlicher Ebenebestehen Unterschiede zwischen im Freiverkehr und im regulierten Markt gehandelten Werten. So knüpft etwa der Begriff der börsennotierten Gesellschaft (§ 3 Abs. 2 AktG) an die Zulassung zu einem organisierten Markt an. Daher ist etwa für im Freiverkehr gehandelte Gesellschaften keine Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance-Kodex (§ 161 AktG) abzugeben[88]. Außerdem bezieht sich auch die Pflicht zur Offenlegung der Vergütung von Vorstandsmitgliedern[89] nur auf Gesellschaften, für die eine Börsenzulassung in einem organisierten Markt erfolgt ist und nicht auf solche, die im Freiverkehr gehandelt werden.
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Unter der Bezeichnung „Neuer Markt“hatte die Deutsche Börse AG 1997 eine Handelsplattform im Rahmen des Freiverkehrs der Frankfurter Wertpapierbörse eröffnet, die 2003 wegen Missständen wieder geschlossen wurde. Diese war für Aktien v.a. von kleineren und mittleren in- und ausländischen Unternehmen bestimmt, welche die Transparenz- und Publizitätskriterien nach internationalen Standards erfüllen. Emittenten waren vornehmlich innovative Unternehmen[90].
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Im Jahr 2005 schuf die Deutsche Börse AG mit dem sog. Entry Standardeinen neben dem sog. Quotation Board[91] stehenden Teilbereich des Freiverkehrs für kleinere und mittlere Unternehmen (sog. KMU) mit einen einfachen und kostengünstigen Zugang zum Kapitalmarkt und zusätzlichen Transparenzanforderungen. Zum 1. März 2017 wurde dieser durch die Segmente Basic Boardund Scaleersetzt. Die Münchener Börse entwickelte etwa m:access.
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Damit gibt es seit März 2017 innerhalb des Open Market drei Segmente. Das Segment mit den niedrigsten Anforderungen an die Transparenz ist das sog. Quotation Board. Das sog. Basic Boarderfordert ein Mindestmaß an Transparenz und stellt eine Art „Auffangsegment“ für die bislang im Entry Standard notierten Teilnehmer dar[92]. Das sog. Scale-Segment, das der Eigenkapitalfinanzierung für kleine und mittlere Unternehmen dienen soll, sieht schließlich erhöhte Transparenzanforderungen vor. Die Notierung im Scale-Segment umfasst stets auch eine solche im Basic Board, sodass dann, wenn die Voraussetzungen für Scale nicht mehr erfüllt werden, eine Notierung im Basic Board erhalten bleibt. Voraussetzung für die Aufnahme in das Segment „Scale“ ist dabei u.a. eine Mindestgröße bzgl bestimmter Unternehmenskennzahlen[93].
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